„Take me somewhere nice“, Christina Ciupke & Darko Dragičević ©Dieter Hartwig

Ein kleiner Moment zum Verweilen

Christina Ciupke und Darko Dragičević geben sich in „Take me somewhere nice“ dem Reisen hin. Für ihre profunde, räumliche Kontemplation verwandelten sie Uferstudio 5 in ein düsteres Portal, das sich anlässlich der Premiere im Rahmen der Tanzfabrik Berlin-Reihe Fold – New Works am 13. Oktober 2022 mit konzeptionellem Wasser gefüllt präsentierte.

Travel/Reisen als Moment(e) performativer Manipulation in unserer Zeit. Leichter ist es geworden, das Unterwegssein, und so verwandelte sich die Welt in einen Spielplatz. Ein paar Klicks nur, und schon entziehst du dich dem Alltagsstress – jedenfalls, wenn du das nötige Geld dafür hast. Reisen/Travel ist auch der Ort der permanenten Performance. Hier geriert sich eine Ökonomie oder Identität in ihrer Dominanz gegenüber einer anderen, nicht selten auf einer spezifischen globalen Bühne, in einem ganz bestimmten – globalen – Zustand. Die Show ist eine oberflächliche. Sie findet statt für eine unsichtbare Armee von Followern in den sozialen Medien.

„Take me somewhere nice“ [Bring mich irgendwohin, wo es nett ist] ist eine Koproduktion der Choreografin und Performerin Christina Ciupke und des bildenden Künstlers, Filmemachers und Choreografen Darko Dragičević. Dabei thematisieren die beiden weniger die Idee des Reisens, als dass sie sich der intensiven Betrachtung seiner wesentlichen – vielleicht auch vergessenen – Charakteristika hingeben. Nach dem Eintauchen in ein traumhaftes Lichtermeer und magische Projektionsfelder (Lichtdesign: Martin Beeretz), beginnt die Performance mit der Seitwärtsbewegung des Wassers, ein träger Rhythmus, der Wellen imitiert (metaphorisch vielleicht auch als Metronom oder tickende Uhr zu interpretieren). Die Zeit – ein Thema, auf das Ciupke und Dragičević in dieser Produktion immer wieder zurückkommen – hat hier ihren zentralen Platz als prägendes Feature des des Fortgehens und Unterwegsseins, eine Entscheidung, sich an einen anderen Ort zu begeben, die zugleich die Wahrnehmung von der Realität verschiebt.

Langsam fügt sich das Plätschern des bewegten Wassers in Aufnahmen von Wellenklängen (Sound Design: Vera Pulido), ein asynchroner Bouncing-Effekt, der eine immersive Stimmung eines sich exponentiell erweiternden Raumes schafft. Die Künstler:innen bewegen sich ins Zentrum der Bühne, nehmen entspannte Posen ein, sorgsam platziert im Kontext ihrer Inszenierung. Dragičević erzählt, immer wieder auf Zeit und Wasser anspielend, die Geschichte von einem Besuch auf dem Vulkan. Zeilen wie „the time flows so smoothly on this island“ [„die Zeit vergeht so langsam auf dieser Insel“] oder „from time to time, my perception changed“ [„hier und da veränderte sich meine Wahrnehmung“] mischen sich – oder kollidieren – mit der sensorischen Erfahrung des Körpers und lassen so die metaphorische Prämisse der Ouvertüre Wirklichkeit werden.

Die Performance geht über in die Darstellung eines intensiven Austauschs oder Dialogs. Die Performenden nehmen verschiedene Positionen auf der Bühne ein, nähern sich einander, adressieren sich irgendwann sogar mit „Liebe Christina“ und „Lieber Darko“. Ihre Konversation wird zu einer Art Dia-Abend im Familienkreis, ganz klassisch, ganz traditionell. Zwei Projektoren zeigen – asynchron – Urlaubsfotos, manchmal die Geschichten begleitend, die gerade erzählt werden, manchmal als eigener optischer Soundtrack, zum Beispiel mit der Ansicht eines abfahrenden Zuges. In manchen Momenten ist es fast ein narrativer Wettkampf, die Erzählungen konkurrieren miteinander, ja komplizieren sich geradezu. Unterminiert werden sie durch vandalistische Kratzer auf den Bildern, die deren Wahrheitsgehalt oder die Authentizität des jeweiligen Blickwinkels zu hinterfragen scheinen. Derweil verändern Christina Ciupke und Darko Dragičević ihre Positionen im Raum, verweilen, verharren, starren an die Decke. In manchen Momenten scheinen sie fast zu schlafen.

Die Vorstellung endet mit dem ersten und zugleich finalen direkten Austausch der beiden sich gegenübersitzenden Performenden. Ein Chor schräger Harmonien soll ihre bisher manifestierte Entfremdung wohl noch einmal betonen. Er vervollkommnet das seltsame Gefühl des „Mit-Denkens“, das „Take me somewhere nice“ durchzieht. Denn am Ende ist es weniger eine Flucht als eine Rückkehr in ein durch die Trennung vermitteltes Zusammensein, eine Retour in die Zeit durch ihre Aufhebung. Es ist die Vollendung einer komplexen Auseinandersetzung mit dem Konzept des Reisens als dialektisches, widerspruchsreiches Puzzle: ‚eine Rückkehr ins Selbst durch die/den Andere:n‘, eine Suche nach dem Zuhause vollzogen im Akt des Fortgehens. Der Wunsch nach Reise vermittelt sich hier als Bedürfnis der Selbstfindung, wenngleich am Ende mehr Fragen als Antworten stehen.

Während das Stück sich mit den verbleibenden fünf geplanten „Almanacs“ fortsetzt, wird – vermutlich – auch dieser Trend andauern. Denn Reisen ist doch nichts anderes als die Akkumulation von Fragen, die niemand beantworten kann. Oder?

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


“Take me somewhere nice” von Christina Ciupke und Darko Dragičević wurde vom 13. – 16. Oktober 2022 im Rahmen von Fold – New Works der Tanzfabrik Berlin im Uferstudio 5 gezeigt.