„Dark Field Analysis“ jefta_van_dinther (c)__max_stuermer

Dunkles Feld

Jefta van Dinther erkundet bei Tanz im August mit „Dark Field Analysis“ Tiefenschichten des Körpers. Ein Duett über den Sog des Lebendigen, leuchtende Farben und das Hereinbrechen der Nacht.

Dunkelheit ist die Abwesenheit von Licht. Weil Objekte Licht nicht nur absorbieren, sondern auch einen Teil des Lichtstrahls ablenken, können wir kleine tanzende Staubteilchen in einem Raum voller Dunkelheit sehen, wenn sie von einem Lichtkegel durchflutet werden. Das nennt man dann „Streuung des Lichts an kleinen Teilchen“, und ein ähnliches Prinzip ist dafür verantwortlich, dass Tiefenansichten von Körpern als helle Flächen vor dunklem Hintergrund mit Hilfe der (vor über 250 Jahren!) entwickelten Dunkelfeldmikroskopie sichtbar werden – ein alternatives medizinisches Verfahren, um Blutuntersuchungen durchzuführen.

Das ist auch alles für die neueste Arbeit „Dark Field Analysis“ des Berliner Choreografen Jefta van Dinther nur insofern entscheidend, als dass er einen Voyeurismus der Tiefenschichten erkundet, die die zwei Tänzer Juan Pablo Cámara und Roger Reyner Sala bravourös ausführen. Durch den Abend zieht sich konzeptuell eine rote, pulsierende Linie – aus Blut.

Die Bühne eine Art doppelt abgeschlossene Versuchsanordnung – ein türkis erleuchteter Boden wird von einem quadratischen Lichtrahmen aus Neonröhren in einiger Höhe darüber gespiegelt. (Szenografie: Cristina Nyffeler). Das Publikum sitzt an den vier Rändern dieser Begrenzung, innerhalb derer sich zwei nackte Männerkörper zunächst sitzend bewegen und das ganze Potential ihrer tänzerischen Gewandtheit nur erahnen lassen. Auch durch die raffinierte Lichteinstrahlung fällt das Augenmerk auf jeden einzelnen Muskel dieser Oberkörper, auf die Verdrehungen ihrer Wirbelsäulen, Oberarme, Hände. Es sind Blicke des Begehrens, die hier provoziert werden und zwischen den zwei Tänzern eine unverhohlen erotische Beziehung markieren (die interessanter Weise über die Dauer des Stücks niemals ganz eingelöst wird).

„Have you ever entered the body of someone else?“

Zwischen ihnen entspinnt sich ein psychoanalytischer Fragenkatalog um die Beziehung zum eigenen Körper, zum Fallen, darum, einem anderen Körper so nahe zu sein, um die Grenze zwischen Innen und Außen zu überqueren – vielleicht weniger explizit im Sinne von Sex (obwohl) – sondern (auch) auf dieser metaphysischen, melodramatischen Ebene, zu der das Stück immer wieder emporsteigt:

Die grundlegende Erfahrung, dass wir/der Andere/ man selbst/ alive sind – und darum sterben werden, ist wohl etwas, dass sich nicht begreifen lässt und dann, ganz unvermittelt, überdeutlich auf einen hereinbrechen kann. Das ist vielleicht eine Spur, die unter diesem allzu schön anzusehenden Duett brodelt und warum sich Jefta van Dinther entschieden hat, neben dem cleanen und reduzierten Bewegungsmaterial auf große, pathetische Bilder zu setzen:

Die zwei Tänzer verlieren sich über die Dauer des Stücks in einem immer stärker werdenden Sog, der wie ein schwarzes Loch über dieser Deckenkonstruktion zu schweben scheint und sich im vollen, anrufenden und fast rituellen Gesang Bahn bricht, über den sich wiederkehrende Melodien ausbreiten:
„Could you be my colleague?”

Wortstolperungen des Anderen unterbrechen die Fülle mit ihrem eigenen, kurzatmigen Rhythmus. Sie sprechen von Blut, das durch die Adern gepumpt wird, vom Herzen, das in den Ohren pocht. Blutlinien, Blaues Blut, Blutsbrüder… „Could you be mine?“ Sie sitzen sich gegenüber, geöffnete Münder, weit aufgerissene, abwesende Augen.

Warum nicht im Theaterraum – mit all seinen Kontexten des Abwesenden, der Geister und der Toten – zu jenen (kitschigen?) Mitteln greifen (unechte Kontaktlinsen zum Beispiel) und sich selbst dem Pathos mal ganz ernsthaft hingeben?

Nachdem der ganze Raum von Finsternis erfüllt wird, die auf die Augen drückt, erscheinen die zwei Körper wie Wärmebilder in ihren tieferen Schichten durchleuchtet, sie durchkreuzen die nun nur noch als schwache Umrisse zu erkennende Landschaft – die Konturen des Bodens verschwimmen – wie gehetzte, scheue Tiere steigen übereinander hinweg und raffen obsessiv die Falten des Teppichs zusammen. Bald wird es Tag werden.

Jefta van Dinther schafft – gerade mithilfe des herausragenden Lichtdesigns (Minna Tiikainen) und Sounds (David Kiers) eine choreografische Schärfe im Umgang mit dem immer schon gefährdeten Zustand des Lebendigen, Schönen – das da in diesem Raum zwei Körper sich bewegen lässt. Er verhehlt die morbide Melancholie nicht, die sich diesem Gedanken anschließt und schafft eine (im sonst so stylo-unaufgeregten zeitgenössischen Berlin) erfrischend pathetische, dick aufgetragene und sakrale Atmosphäre.
Turning Things Red.