Das Radialsystem holt im Rahmen der Reihe New Empathies Ginevra Panzetti und Enrico Ticconis „HARKLEKING“ zurück nach Berlin.
Das erste Mal, dass ich Ginevra Panzetti und Enrico Ticconi sah, war bei den Open Spaces 2016 der Tanzfabrik, zu denen sie ihre Arbeit „Le jardin“ präsentierten. Ich erinnere mich, dass ich von der Art gefesselt war, wie sie zeitgenössische Idiome und klassische Formen kombinierten, während sie mit ihren Stiefelchen, die unter den Spitzen mit Stahl beschlagen waren, ständig den Rhythmus ihres Tanzes mitsteppten. Das mag sich nicht nach viel anhören, doch sich selbst klanglich zu begleiten, während man zu Boden sinkt und umgekehrt, in die Arme eines*r anderen Tanzenden und wieder heraus, über die Dauer einer Stunde hinweg, ist eine beachtliche Leistung. Ich war beeindruckt.
Als sich also die Chance bot, eines ihrer neuen Werke, ein Duo mit dem Titel „HARLEKING“ zu sehen, war ich gespannt. Das Stück – zuvor bei den Open Spaces im letzten Jahr in Berlin gezeigt – ist Teil der Radialsystem-Reihe New Empathies. New Empathies möchte eine Programmreihe von Konzerten, Installationen, choreografischen Arbeiten, Workshops und Veranstaltungen schaffen, während derer das Publikum Arbeiten erleben kann, „die sich den Möglichkeiten einer Praxis des Empathischen nähern“.1
„HARLEKING“ beginnt mit zwei Kreaturen, die in einer hinteren Ecke der Bühne kauern und hämisch vor sich hin lachen. Als sich das Licht über die Bühne ausbreitet, präsentieren uns Panzetti und Ticconi, die in Scherenschnittschwarz gekleidet sind, ihre Körper, um uns cartoonhafte Gesichter und die hyperaktive, zuckende Gestik verkrampften Skript-Lachens gleich mit zu offenbaren. Durch einen mechanischen, klickenden Track verstärkt und ergriffen, bewegen sich die beiden dämonisch über die Bühne. Lange, dunkle Schatten springen hinter ihren Rücken hervor, die uns flüchtig an Peter Pan auf der Suche nach seinem Schatten im Disneyklassiker von 1953 erinnern.
Durch das Portal eines einhüllenden Bassklangs gehen sie zu einer frontalen Haltung über. Aus dieser Position, mit fließenden Bewegungen und kunstvoller Präzision führen sie ein erweitertes, exquisites Port de Bras aus. Panzetti und Ticconi winden ihre Schultern, Ellenbogen und Handgelenke wie eine Art Ringmanipulation eines Zauberers oder eine immer-blühende Orchidee. Als wir komplett hypnotisiert sind, beginnen die Performenden langsam von der Konstanz ihres Musters abzuweichen, indem eine*r die Zeit ausdehnt und eine*r den Rhythmus hält. Eine*r grinst und schneidet Grimassen, während der*die andere einen leeren Gesichtsausdruck behält. Die Variation, die uns präsentiert wird, ist spannend: Ihre emotiven und rhythmischen Desynchronisationen entwickeln sich nie wirklich zu etwas Anderem – wie uns zu erwarten so oft beigebracht wird, insbesondere im zeitgenössischen Tanz. Eher sprudeln diese Unregelmäßigkeiten weiter unter der Oberfläche dröhnender Klänge und hypnotisierender, nicht nachverfolgbarer, kreisender Arme.
Im nächsten Teil der Arbeit spielen sich Panzetti und Ticconi abwechselnd die Aufmerksamkeit zu, und werden dann eins miteinander. An dieser Stelle ist die Energie der Performance etwas abgeschwächt; man sieht eine Collage vieler kurzer Sketche, die Mühe haben, einen reibungslosen Zusammenhang zu finden. Aber dennoch treffen schließlich zwei Momente kraftvoll aufeinander. Der erste zeigt Panzetti und Ticconi mittig stehend, zu ihrer Rechten schauend, die rechten Arme erhoben zu einem flachhändigen Römischen Gruß (der später von den Faschisten übernommen wurde), dann splitten sich ihre Finger zu Spocks berühmtem vulkanischen „Lebe lang und in Frieden“ und am Ende kommt die geballte Faust eines Freiheitskämpfers, die zuerst von den Kommunisten des Spanischen Bürgerkriegs popularisiert wurde.2 Hier tragen Panzetti und Ticconi auf kraftvolle Weise die Schichten der Ikonographien des Körpers ab, wie auch das historische Gepäck, das diese Gesten – verwendet, wiederverwendet und oftmals missbraucht – über die Zeit gesammelt haben. Es ist eine kraftvolle Sequenz, die schwer wiegt – so schwer tatsächlich, dass Panzetti Ticconi in ihre Arme nimmt, ihn zu Boden führt, und ruhig und langsam seinen Hals umdreht. Er ist still. Sie ist still. Panzettis Augen blicken neugierig, nicht vor Reue, Traurigkeit oder Erleichterung, sondern eher als wäre es noch nicht vollbracht. Sie schaut, als hätte sie noch zu handeln, als hätte sie einen großen Hunger nach diesem Akt, wie eine flinke Katze, die still eine Maus beobachtet. Dann beginnen beide Performende zu beben, zu zittern. Sein Kopf schnappt nach oben, ihrer nach unten. Als sich ihre Blicke treffen, hüpfen und schlottern sie unkontrolliert, springen dann zu Boden und –
Licht aus.
Das kleine Publikum tobt nicht zu sehr, aber unser Klatschen reicht für vier Verbeugungen. So habe ich Zeit zum Nachdenken. Das Stück ist Vieles: Bizarr, faszinierend, graziös, wohlstrukturiert, exzellent performt, aber empathisch finde ich es nicht. Tatsächlich scheint der Titel auch schon darauf zu verweisen, so ist: „Harlekin: (1) Eine stumme Figur in der traditionellen Pantomime, gewöhnlich maskiert und in ein Rautenmusterkostüm gekleidet. (1.1) historisch Eine komische Figur im Bestand der Italienischen Commedia dell’Arte.“3 Eine Anmerkung verweist, was eher faszinierend ist, auf das „Späte(s) 16te(s) Jahrhundert: aus dem Altfranzösischen, früher Herlequin (oder Hellequin) Name des Anführers einer legendären Truppe dämonischer Reiter.”4 Aber während Dämonen tatsächlich irgendwie eine große Rolle in „HARLEKING“ spielten, rührte ihre Präsenz nicht von einem gewissen Ausdruck von Dunkelheit, der empathisch zwischen Performenden und Zuschauenden übermittelt worden wäre, sondern eher von unserer Beobachtung veränderter Realitäten — der Oberflächlichkeit, der Unaufrichtigkeit und dem Unheimlichen, mit welchen wir konfrontiert waren. Mit hyperrealem Gelächter, hyperbolischen Armbewegungen, gefaktem Tod und Realitätsbrüchen vermittelt das Stück den Eindruck einer Wiederholung unserer politischen Wochenschauen, oder einer Art historisch umgekehrter, frühmoderner Übertragung von Ryan Trecartin. Was ich gesehen habe, macht mich nicht empathisch. Wenn überhaupt, dann war ich perplex – eine kalte, abgekoppelte Empfindung – und nebenbei haben mir Panzetti und Ticconi die Art und Weise gezeigt, wie sich emotionale, Meinungs-, und politische Masken in solch schneller Folge auf unser menschliches Selbst setzen können.
„HARLEKING“ ist schön, seltsam und unterhaltsam, aber es ist auch ein Distanzakt. Durch Panzetti und Ticconis durchdachte Verkörperung und Manipulation von Form, Klang und Bewegung habe ich weder eine Reise des Mich-Verbindens erlebt, noch fühlte ich mich etwas gegenüber nah, verständnisvoll oder empathisch. Stattdessen, als hätte ich einen leichten elektrischen Schock von einem mich in seine Fänge nehmenden Gerät erhalten, bin ich gleichzeitig fasziniert und auf der Hut. Der Harlekin – als politischer oder Unterhaltungsakteur in unsere Zeit versetzt (die Linie bleibt verschwommen) – war immer schon ein Instrument der Unterhaltung und Zerstreuung gewesen, aber es ist auch eines, das sich durch Überbeanspruchung abnutzen, durch geringe Abweichungen außer Kraft gesetzt werden oder durch falsche Versprechen zögerlich werden kann. In „HARLEKING“ können wir viel über Geschichte, Wiederholung und Ausdifferenzierung lesen, sowie über Psychologie und Kultur, wie wir es auch über Empathie können – wenn nicht noch Vieles mehr.
Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski