„It’s All Forgotten Now“, Company Christoph Winkler ©Gabriella Fiore

Die Gespenster von Mark Fisher

Das neue Stück der Company Christoph Winkler “It’s All Forgotten Now” widmet sich dem Gedankenerbe des verstorbenen britischen Poptheoretikers Mark Fisher. Pandemiebedingt wurde das Stück – von Winkler als performatives Mixtape bezeichnet – nicht vor Publikum aufgeführt, sondern in den Sophiensælen als Film aufgezeichnet, der noch bis zum 29. November 2020 online zu sehen ist.

Teile von Berlin wirken gerade wie eine Geisterstadt. Melancholisch, dystopisch, voller Verzweiflungen und Erwartungen. Vor allem jene Orte, die nur mit Synergie zwischen Menschen atmen können, sind von einem gewissen Trauergefühl geplagt, zum Beispiel die Bühnen. Christoph Winklers “It’s All Forgotten Now” ist eins der zahlreichen Stücke, deren Premiere wegen der Pandemie-Regelungen abgesagt wurde. Daraufhin hat er sich für eine Aufzeichnung in den Sophiensælen entschieden. Für eine Filmversion seines Stücks – ergänzt um die Videos von Tänzer*innen, die Covid19-bedingt nicht für die Produktion nach Deutschland einreisen konnten –, die wir eine Woche lang auf der Webseite von den Sophiensaelen sehen können. Die Bedingungen dieser außergewöhnlichen Begegnung mit dem Stück passt seinem Stoff perfekt, denn “It’s All Forgotten Now” ist eine Hommage an den britischen Kultur- und Pop-Theoretiker und Schriftsteller Mark Fisher. Und niemand hat sich mit dem Geisterhaften und dem Gespenstischen der postindustriellen Gesellschaft und dem nie kommenden Ende des Kapitalismus kulturwissenschaftlich so intensiv auseinandergesetzt wie Fisher. Wir werden nie wissen können, was er zur kulturellen Wirkung der Corona-Pandemie als ein Symptom des Kapitalismus sagen würde, weil er sich 2017 sein Leben nahm. Er litt an Depressionen und sah Depressionen sowie andere psychische Krankheiten als Störungen kapitalistischer Gesellschaften.

Fisher hat von langsamer Annulierung der Zukunft geredet, die von einer Deflation von Erwartungen begleitet wird. Von kultureller Erschöpfung, von Gespenstern der Vergangenheit, die heutige Kultur heimsuchen. Er hat seine Thesen in Musik, Filmen, Serien und Büchern begründet. Trotz seines starken Bezugs auf Musik aus der Peripherie des Pop und vor allem aus der Rave-Kultur, ist es keine leichte Aufgabe, sein gedankliches Erbe, das von seltsamen Zwischenzuständen geprägt ist, auf die Bühne zu bringen. Spannenderweise gelingt das Winkler und den fünf Performer*innen (Lois Alexander, Lisa Rykena, Michael Gagawala Kaddu, Raha Nejad, Kevin Lau) am besten, wenn sie nur tanzen.

“It’s All Forgotten Now” wird als performatives Mixtape bezeichnet und bringt, neben viel Tanz und Musik, auch Videos und Spoken-Word zusammen, die nicht nur Fisher, sondern auch andere Künstler und Denker, u.a. Derrida, zitieren. Von dem unscharfen Video, das eine Hafenstadt als ein Kapitalismussymbol zeigt, bis zu der ergreifenden Musik von jenen wie King Midas Sound oder Caterina Barbieri, ist jedes Detail liebevoll durchdacht und gibt die bedrückende, dunkle, verzweifelte aber immer nach Alternativen suchende Gedankenwelt von Fisher ästhetisch und atmosphärisch wieder. Es ist zu spüren, wie sehr Winkler sich für Fisher begeistert. Der rote, glitzernde Sand, der von den Händen von Tanzer*innen auf den Boden fließt, erinnert an die Zeit und Vergänglichkeit, und zwar nicht nur als Themen von Fisher, sondern auch als symbolische Trauer um ihn. 

Die Wortebene (die Zitate oder die Spoken-Word-Sequenzen) ist nicht das, was diese Hommage beeindruckend macht. Die Wörter, die ohne eine weitere Auseinandersetzung mit den Ideen dahinter nicht einfach zu entschlüsseln sind, lösen sich schnell wieder in der Luft auf. (Wobei Fisher selber gesagt hat, dass in den Zeiten der Digitalisierung nichts verschwindet und nichts verloren geht. So könnten wir theoretisch immer zurückspulen und uns mit einzelnen Gedanken beschäftigen, wenn wir das Stück nicht unbedingt als ein einmaliges Bühnenstück wahrnehmen möchten.) Anders ist der Tanz. Der fasziniert in allen Ebenen. Als eine Verinnerlichung der Sehnsucht nach Zukunft, als Erinnerung an das solidarische Miteinander alter Rave-Parties, die in dieser Form nicht mehr existieren, aber auch jenseits jedweder Kontextualisierung. Alle fünf schwarz bekleideten Tänzer*innen auf der dunklen Bühne unterscheiden sich in ihrer Körpersprache sehr, aber eins haben sie gemein: Ihre zuckenden, mit dem Rhythmus der Musik pulsierenden Körper bewegen sich so, als ob sie sich in einer nicht existierenden Welt nach einer Existenz sehnen. Als ob sie die Musik verinnerlicht haben, selber zur Musik wurden und jetzt als abstrakte Wesen eine konkrete Form suchen, um auf die Welt zu kommen. Aber die Zeit der Geburt kommt nicht. Und sie pulsieren weiter wie geisterhafte Menschenmaschinen bis sie irgendwann bewegungslos sind und die Zuschauer*innen mit einer hallenden Stille allein lassen – und mit der Frage, ob eine Zukunft frei von Fesseln der Nostalgie möglich ist. Ob wir uns nach vorne bewegen können, oder immer wieder von vergangenen Mustern und Traumata heimgesucht werden müssen. 


“It’s All Forgotten Now”, die performative Hommage an Mark Fischer der Company Christoph Winkler, ist als Online-Adaption noch bis zum 29. November sowie erneut vom 11.-18. Dezember 2020 über die Webseite der Sophiensæle abrufbar.