Commanding the Relentless Gaze ©Goitseone Montsho

Den unnachgiebigen Blick kommandieren

Goitseone Montsho* untersucht, wie Schwarze Femmes in der Berliner Performance-Szene durch Mode dem weißen, cis, männlichen Blick standhalten, ihn beschwichtigen und ihn halten.

Auf meinem Schreibtisch ist ein Bild einer Frau. Sie ist Schwarz. Sie steht auf etwas, das allem Anschein nach eine Seifenkiste ist, umgeben von weißen Augen, die ihre nackte Gestalt anstarren und befühlen. Es ist ein bekannter französischer Druck namens La Belle Hottentote. Es zeigt Saartjie Baartman, eine Khoikhoi Frau , die im 19. Jahrhundert auf europäischen Bühnen als „Freakshow“ zur Schau gestellt wurde, weil sie aufgrund ihres großen Hinterns und ihrer empfundenen „Andersartigkeit“ in Bezug auf weiße Ideale von Frauenkörpern objektiviert wurde. Dieses Bild spricht Bände. Es hat mich auf meiner Reise, mich selbst zu begreifen, begleitet und hat für mich den weißen, cis, männlichen Blick entscheidend definiert.

Saartjie Baartman wird immer nackt oder mit einem braunen Lendenschurz abgebildet. Aber ihr Hintern, die „Show“, ist immer zu sehen. In diesem mit Pseudowissenschaft durchzogenen europäischen Diskurs steckt die Theorie, dass einer Frau aufgrund ihrer Menschlichkeit Respekt gezeigt wird oder sie als Mensch betrachtet wird. Diesem Maßstab entspricht Saartjie Baartman nicht, deswegen erlauben sich denjenigen, die sich ihre „Performance“ ansehen, sie anzufassen und zu fetischisieren.

Das Collins Dictionary definiert „Performer“ als „Eine Person, die vor einem Publikum schauspielert, singt oder auf andere Weise auftritt“. Das Wort „Person“ in der Definition beruht auf einer Idee von Menschsein, Konsens und Anerkennung als Mensch – etwas, das Saartjie Baartman und vielen anderen Schwarzen Femme-Körpern auf Bühnen aber nicht zugestanden wurde. Die Bühne für ihr empfundenes „Anderssein“ ist bereits aufgestellt, bevor sie auf einer Bühne ihrer Wahl auftreten können. Dies könnte als eine „Performance“ innerhalb einer Performance gelten. Schwarze weibliche Formen zur Schau zu stellen, als Kontrast zum Weißsein und als Bestätigung der weißen Überlegenheitsideologie, ist ein historischer Vorläufer dafür, wie Schwarze Femmes auf der Bühne betrachtet und interpretiert werden. 

Es war das Jahr 2009; ich war gerade nach Berlin gezogen. Auf meinem Laptop verfolge ich, wie in derselben Stadt die südafrikanische Leichtathletin Caster Semenya mit stolzer Brust durch ein Meer von weißen Körpern sprintete, in oberschenkellangen Laufshorts und Muskelshirt, das ihre breiten Schultern zeigte. Im 800-Meter-Sprint überquerte sie als Erste die Ziellinie in nur 1:55 Minuten – eine Rekordleistung. Später musste Caster Semenya ihren Titel und ihren Platz in den Laufmeisterschaften der Frauen überhaupt verteidigen, als die IAAF [International Association of Athletics Federations, Internationaler Verband der Leichtathletikverbände – Anm. d. Übers.] ihre Teilnahme aufgrund ihres „Hyperandrogenismus“ ausschloss, eine „Hormonstörung“, die angeblich dazu führt, dass ihr Körper mehr Testosteron produziert als der einer „durchschnittlichen“ Frau. 

Der weiße Blick stützt sich auf bewusste und unbewusste Vorstellungen, die auf kolonialen Kategorisierungssystemen aufbauen. Wie kannst du es wagen, diesen Raum zu betreten, sagt das eine Auge. Wie kannst du es wagen, in diesem Raum selbstbewusst zu sein, sagt das andere Auge. Es ist bei weitem nicht das erste Mal in der Geschiche, dass eine auf der Weltbühne auftretende Schwarze Femme gefragt wird, ob sie auch wirklich eine Frau ist.

„Die Gesellschaft will Schwarze Femmes in eine Schublade stecken – aber es gibt keine Schublade“, sagt Maiy Cade, eine in Berlin lebende Performance-Künstlerin. Schwarze Weiblichkeit ist vielfältig und für jede Person, die sich damit identifiziert, anders und einzigartig. Etwas so Weitreichendes wie Schwarze Weiblichkeit ist nicht in einer einfachen, monolithischen Definition zu fassen.

„Durch die Art und Weise, wie wir uns schmücken, sagen wir auf kreative Art aus: Ich existiere… ich existiere… ich existiere“, sagt Theaterkurator*in Keith Zenga King. Ob strenge Pferdeschwänze, Baby Hairs und Box Braids oder lange bunte Acrylnägel, Head Wraps oder Cornrows: auf Schwarzen Körpern gelten sie immer als „billig“ und „unprofessionell“. Das, was wir unter Schwarzer Femme-Mode verstehen, kann man nicht festlegen. Es ist einfach Mode, die von Menschen getragen wird, die sich sowohl als Schwarz als auch als Femme identifizieren. Sie wird aber angesichts der Geschichte der Unterdrückung, die Schwarze Femmes im öffentlichen Raum und auf der Bühne erfahren, zum Politikum. In ihr lebt die Kühnheit, der Reduzierung des eigenen Körpers auf eine Stätte der Armut, der Zerrüttung und der gewaltvollen Projektionen, Widerstand entgegenzusetzen. Sie erwidert einen Blick, der die Erwartungen verreißt, die von dem ausgehen, was als minderwertig betrachtet wird, und fordert sich einen Ort der Selbstbestimmung ein, der die Idee, dass „schöne Dinge für arme Schwarze Menschen nicht zu haben sind“, umwälzt. Was auf den Laufstegen „Streetwear“ und in den sozialen Medien „Instagram-Baddie-Kultur“ genannt wird, ist eine Form der Konsumfetischisierung Schwarzer Femme-Ästhetik, wobei die tatsächlichen Erfinder*innen und manchmal sogar ihre Menschlichkeit aber nicht anerkannt werden. 

Weiße Frauen – insbesondere weiße Frauen aus der Mittelschicht – haben oft das Privileg, verschiedene Aspekte ihrer Weiblichkeit zu „performen“ und sogar sich Schwarze Femme-Ästhetik anzueignen, ohne als „billig“ oder „unprofessionell“ verschrien zu werden, und ohne dass ihre Selbstdarbietungen hypersexualisiert würden.

Schwarze Femme-Performer*innen sehen sich auf Bühnen, die größtenteils von weißen Regisseuren, weißem Management und weißen Kreativen gestaltet werden, in stereotype Rollen gedrängt; sie müssen Aspekte ihrer selbst unterdrücken, um in diesen Performance-Räumen zu überleben. Vor Kurzem wurde das Berliner Staatsballett von einer seiner ehemaligen Ballerinen, Chloé Lopes Gomes, öffentlich beschuldigt, sie nicht vor dem abscheulichen und andauernden Rassismus ihrer Ballettmeisterin geschützt zu haben. Es gab darauf viele Reaktionen und unterstützende Stellungnahmen von Schwarzen Performer*innen, insbesondere von Misty Copeland, die sich seit Langem für Vielfalt in der Tanzgemeinschaft einsetzt. Mehr dazu hier.

Die jüngsten sozialen Bewegungen, die durch die Proteste gegen Polizeigewalt in den USA und die Black Lives Matter Bewegung entfacht wurden, haben auch die Mode- und Performance-Industrie in den Blickpunkt gerückt und die Unternehmen gezwungen, mehr „Diversität“ an den Tag zu legen. Auch wenn die Veränderungen dann zumeist nur oberflächlich waren, durch Rebranding und Tokenismus der Erfahrungen Schwarzer Kreativer, hat es aber immerhin Diskussionen über Schwarze Performances in den Vordergrund gerückt und kleine fortschrittliche Aktionen angeregt. 

Mode ist untrennbar mit Unterdrückung verbunden; Schwarze Modeästhetik wurde schon immer als „ghetto“ abgewertet, bis sie vom weißen Blick als modisch erkannt wurde. Schwarze Performerinnen sind daher mit der schmerzhaften Realität von Rassialisierung und Hypersexualisierung konfrontiert.

„Als Schwarzer Femme-Körper ist es so, dass egal wo du in der Welt bist, die Leute eine bestimmte Perspektive auf dich haben und dich in eine Schublade stecken“, sagt Esther Jeroboan, eine Performerin aus Berlin.

Den eurozentrischen Klassifizierungspraktiken zufolge ist der Schwarze weibliche Körper ein „primitives“ Anderes, das von der eurozentrischen Norm abweicht. Diese perverse Geschichte des Othering – das auf dem aufbaut, was der weiße, cis-männliche Blick zu erfassen vermag und seine Reaktionen darauf – wirkt sich, von Saartjie Baartman bis hin zu Caster Semenya, auf gewaltsame Weise auf Schwarze Femmes aus und bestimmt, wie sie durch die Welt gehen. Dieser Blick sagt, dass Schwarzen Femmes, die sich auf eine bestimmte Weise kleiden, keine Gerechtigkeit zusteht, wenn ihnen etwas Schlimmes zustößt. Dieser Blick brütet sich bestimmte Vorstellungen über Schwarze Femmes aus und weist ihnen aufgrund dessen einen Platz in der Gesellschaft zu. 

Als Antwort auf den weißen männlichen cis Blick riefen Schwarze Kreative viele Produktionen ins Leben, hauptsächlich von Schwarzen Femme-Performer*innen, Schwarzen Menschen in der künstlerischen Leitung von Projekten und Künstler*innen, die ihre eigenen Performances in Projekten inszenieren, die Schwarze Femme-Körper und ihre verschiedenen Erfahrungen in den Mittelpunkt stellen. Die Machtverhältnisse in Performances verschieben sich stark, wenn Schwarzen Femmes mehr Freiraum zur Selbstbestimmung zur Verfügung steht und sie sich selbst so darstellen können, wie sie wollen. Daher brechen die Vielschichtigkeit und Überschneidungen Schwarzer Kultur, insbesondere Schwarzer Femme-Ästhetik, diese Erfahrung, ständig beobachtet und kontrolliert zu werden, weiterhin durch und sind eine Form des Widerstands.

Europäische Bühnen waren, von Saartjie Baartman über Caster Semenya bis hin zur Chloé Lopes Gomes, nie für Schwarze (und insbesondere Schwarze Femme-)Körper in ihrem vollen Ausdruck gemacht; auch ging es nie darum, diese in ihrem vollen Ausdruck zu repräsentieren. Sie haben in ihren kreativen Darstellungen immer auf rassistische Tropen über Schwarze Femmes zurückgegriffen. Auf den Bühnen, in deren Wesen es liegt, sie abzuwerten, kommandieren Schwarze Femmes wie Maiy, Esther, Keith, Chloé und Caster weiterhin diesen unnachgiebigen Blick. 


Deutsche Übersetzung von Nine Yamamoto-Masson 

*Goitseone Montsho ist eine südafrikanische Dichterin, Erzählerin, Performance-Künstlerin und regelmäßige Kollaborateurin, die in Berlin lebt. Ihre Arbeiten wurden in Brüssel, Basel und berlinweit inszeniert. In Basel nahm sie als Performance-Künstlerin am Image Afrique Festival teil. Sie wurde im Literarischen Colloquium Berlin während des Symposiums Parataxe III über afrikanische Geschichte und Sprache vorgestellt. Sie ist auch Mitveranstalterin des Tanti-Table-Podcast.