„Lyrical Ping Pong“, Véronique Langlott © Helena Robles

Copy Your Coolness Lyrically

Zum 60. Mal “Nah Dran” im ada studio – kein Jubiläum sondern Business as usual

Kuratierte Spielstätten vermieten ihre Bühnen nicht, Veranstaltungsorte wie das Radialsystem sind unbezahlbar (und auch zu groß) für angehende Bühnenkünstler*innen und so manches Hinterhofstudio zu unorganisiert, um eine professionelle Erfahrung zu gewährleisten. In diese Lücke springt die senatsgeförderte Reihe “Nah Dran” des ada studios in den Weddinger Uferstudios.

Bewerben kann sich jede*r, der/die ein 25-minütiges Stück in der Tasche hat, Bühnenprobenzeit, Technik und dramaturgische Beratung wird gestellt. Vor allem an Studierende und Absolvent*innen, an Neuberliner und an Tänzer*innen, die auf dem Weg sind ins Choreografiefach zu wechseln, richtet sich das Angebot.

In der 60. Folge sind aus jeder der genannten Zielgruppen Tänzer*innen vertreten, und so unterschiedlich ihre Hintergründe sind, so klar ist: “Nah Dran” mit seiner intimen Atmosphäre, dem zugewandten Publikum (an die 40 Leute) und der Halt gebend präsenten ada-Frontfrau Gabi Beier ist genau das Richtige für sie. Unterschiedlich sind wiederum die künstlerischen Suchrichtungen und Ansprüche. Frida Yngvesson und Marie Rechsteiner arbeiten sich auf ihrer Suche nach dem Copy-and-Paste-Zustand des sogenannten Individuums so ehrgeizig wie nachvollziehbar an einer formalistischen (Punkt-)Spiegelungsdramaturgie ab. Was ich mir noch wünsche, ist die Freiheit gegenüber dem Material.

Ganz anders geht es bei Johanna Ackva und Magdalena Meindl zu, die ihr performatives Kammerkonzert “haunting heroines” in betont lässiger HZT-Manier als “Nebenprodukt” verkaufen. Entsprechend relaxed agieren sie sich auch durch ihr rätselhaftes Komponistenzitieren, in dem Beethoven, Feldman und Cage eine Rolle zu spielen scheinen. Dass diese zwei road-erprobten Heroinen (Motorradhelm) mit Coolness-Barometer ausgestattet sind, ja, zweifellos, wenn auch Meilen davon entfernt, ihre Auslassungsdramaturgie mit einer nachvollziehbaren Bühnensprache zu paaren.

In einer Mischung aus Offenlegung des Materials und ebenso gefilterter wie lebendiger Verspieltheit geht es dagegen bei Véronique Langlott zu, die mit “Lyrical ping pong” eindeutig die kondensierteste Arbeit von Folge 60 zeigt. Nur: Warum eigentlich ein englischer Titel für ein auf Deutsch aufgeführtes Stück? Die Ausgangsbasis bildet das Gedicht “Alphabet” der dänischen Lyrikerin Inger Christensen, ein Klassiker der zeitgenössischen Lyrik von 1981, das die Schöpfung der Welt aus zwei Ordnungen, einer mathematischen und einer sprachlichen, generiert: der Fibonacci-Reihe und dem ABC. Das Verfahren der Fibonacci-Reihe addiert jeweils die vorausgehende mit der folgenden Zahl – 1,2,3,5,8,13,21,34,55 und so weiter. Christensen setzt dieses Verhältnis für die Vers-Anzahl der einzelnen, dem Alphabet folgenden Strophen an. Beim Buchstaben N bricht ihr Poem dann ab. Sich choreografisch mit den Verhältnissen der oft auch in den gestalterischen Ordnungen des Natur vorkommenden Zahlenreihe zu beschäftigen – ein immer mal wieder auch in Komposition und Bildender Kunst auftauchendes Thema –, wäre sicher naheliegend gewesen. Langlott interessiert sich aber vor allem für den Moment des Ab-Bruchs. Einerseits, indem sie sich Sprünge im Text und sogar Vergessen erlaubt, anderseits dadurch, dass sie bereits in der achten Strophe abbricht – was im Gegensatz zum gestellten Text-Aussetzer gut greift.

Auch das Sprunghafte des Konzeptes wird gut in die Textur der Bewegungen weitergeführt. Die Tänzerin springt wie ein Rehkitz durch Rhythmus, Klang und Inhalt der Zeilen, der Text wirkt wie eine Weide mit jungem, grünem Gras für sie. Mal spürt sie intensiv einzelnen Klangqualitäten nach, mal setzt sie an zum Tänzeln im Nachsetzschritt, der auch mal in einen Lindy Hop übergehen kann, dann wieder ziehen in mehr oder weniger abstrakter Mimikry Brombeeren, Fischköpfe, Kometen, in sich zusammensinkende Hyazinthen und Elche vorbei. Dass diese gut geprobte Verspieltheit mit einem unflexiblen und kopfigen Sprechen ohne Register einhergeht, ist die Kehrseite des lyrischen Ping Pongs. Vielleicht wäre eine Erweiterung des Stücks auf zwei Performer*innen eine Lösung. Das Potenzial, etwas über die Berührungsflächen von Lyrik und Tanz zu erzählen, hat das Stück auf jeden Fall intus.

So pädagogisch sich das anhört, so schwierig ist es, zu sich noch im Reifungsprozess befindenden Kreativleistungen, die ganz ohne Mittel entstehen, Position zu beziehen. Ich möchte daher eine Frage ans Ende dieses Textes stellen: Müsste eine Auseinandersetzung mit Außenpositionen hier vielleicht eher in die Präsentation integriert werden, beispielsweise als professionelles Feedbackgespräch direkt im Anschluss? WEITERE INFORMATIONEN