„bodytext“, Modjgan Hashemian © Ute Langkafel MAIFOTO

Sprachbegabt versus sprachversklavt

Modjgan Hashemians neue Choreografie “bodytext” für das Gorki Theater lotet die Interferrenzen von Sprache und Körper aus.

Körper und Sprache gleich Körpersprache: eine Rechnung, die garantiert nicht aufgeht. Zwar kann der Körper auch ein buchstabengenaues lesbares Zeichen sein, genauso aber sperrt er sich dagegen, sprachlich gelesen zu werden. Ausdruck dessen – dieses noch mit einer anderen Logik und Realität als der der Sprache in Fühlung Seins – ist der Tanz. Trotzdem steht, gerade in der politischen Ausdeutung, der tanzende Körper in unzähligen Beziehungen zur Sprache und dem Schreiben als deren Ausdruck: Der Körper wird (choreografisch) beschrieben, es ist ihm etwas eingeschrieben, er ist Objekt für Zuschreibungen oder wird eben auch selbst zur Metapher, zum Symbol, zur Schrift sowie nicht zuletzt zum Schreibenden.

In das Gebiet dieser Interferrenzen hat sich Modjgan Hashemian mit ihrem jüngsten Stück “bodytext” begeben, das nach einer fast durch die deutsche Visapolitik geplatzten Preview in der Akademie der Künste nun im Studio Я des Gorki Theater zur Premiere kam. Besser wäre es anders herum gewesen, denn die Weite und Distanz der Akademiebühne im Hanseatenweg tat dem Stück, das stark mit perspektivischen Projektionen und Spiegelungen arbeitet, gut. Betonte das Akademie-Setting das Räumliche von Hashemians Entwurf, ist es nun im Studio – dem Stücktitel gemäß – das Körperliche, das, in religiös reinlich wirkende Wickelgarderobe gekleidet, in den Vordergrund rückt: Mechanik, Muster, Funktionsmagie. Und die unmittelbaren Reaktionen darauf: Verletzlichkeit, Brachialität, Dominanz, Unterwürfigkeit, Aufmüpfigkeit, ein Unversehrtheitsstreben als das Harmoniebedürfnis des Körpers.

Wie in vielen von Hashemians Arbeiten bilden die gesellschaftlich-politischen Verhältnisse des Iran die Folie für ihre Choreografie. Und dieses Mal sind nicht nur iranische Tänzer*innen per Technik zugeschaltet, sondern Ashkan Afsharian, Kaveh Ghaemi und Elahe Moonesi sind tatsächlich vor Ort. Tanz ist in ihrem Heimatland immer noch verboten, auch wenn es zahlreiche Wege gibt, dieses Verbot zu unterlaufen – was nicht zuletzt ein Blick ins Programm der nächsten Tanztage im Januar 2017 zeigt, für die Kuratorin Anna Mülter in der Teheraner Underground-Tanzszene unterwegs war. Dass Modjgan Hashemian wiederum analog diesem Tun im Verborgenen für “bodytext” eine Verbindung zur Graffiti-Kunst legt, ist gut nachvollziehbar: zweimal Dämmerungskunst, operierend unter dem Adrenalinkick eines möglichen Entdecktwerdens. Und diese magische Chemie steht, einschließlich Lösungsmittelgeruch, dann auch am Anfang des Stücks. Hektisch, aber in genau einstudierten Bewegungen besprühen die Tänzer*innen einen Paravent aus Plexiglas – der Körper als Vollstrecker der Schrift.

Die erste choreografische Sequenz ist dann wie ein Nachbeben dieser Aktion. Das Öffnen der Sprühdosendeckel wird zu mühlenartigen Drehbewegungen der Hände, ein rhythmisches Schnipsen steht für das kugelartige Geräusch beim Schütteln der Dosen, ein ausgeblasenes S als Entsprechung des Sprühgeräusches generiert einen Sog für Bewegungslinien. Ein schöner minimalistischer Tanz mimetischer Abstraktion entsteht, nachvollziehbar wie das Verhältnis von Studie und Gemälde eines mittleren Kandinsky. Auch die persische Klangfarben verwendende Musikcollage von Oliver Doerell, die sich später eher zur Begleitmusik entwickelt, fügt sich in das Spiel mit der Vorlage. Diese Verbundenheit, eine Assimilation der Tänzer*innen an den Sprachakt, kann jedoch nicht durchgängig aufrecht erhalten werden. Immer wieder will der Körper nicht nur Werkzeug der Sprache sein sondern sich auch an ihr messen. Da wird via Alphabetjoggen von A bis Z (beziehungsweise der persischen Entsprechung) versucht, Sprache als rein numerisch zu begreifen, dann wieder wird einvernehmlich eine tragende Silbenharmonie hergestellt. In der schönsten, durch eine Videoprojektion (Aidan Boyle) hergestellten Szene fluten Kaveh Ghaemi kalligrafische Schriftzeichen aus dem Mund, ein magischer Strom verborgener Welten, dann wieder werden Zeichen mit schweren Säcken voller Steine wie beim Schattenhaschen zu zerschlagen versucht.

Dieses Spannungsverhältnis lässt sich als eine vielleicht notwendige Logik angesichts der konstitutionellen aber nie ganz ergründbaren menschlichen Losgosverhaftung als entsprechend ambivalenter Balance-Akt erleben. Geradezu allzu deutlich setzen sich vor diesem abstrahierten Hintergrund die Szenen ab, in denen Hashemian den Körper symbolisch als soziokulturellen Bedeutungsträger inszeniert: In der passiven Haltung von Ashkan Afsharian, der in einer fast zu bewegungsschönen Kontakt-Improvisation von Ghaemi auf seine Fügsamkeit hin geprüft wird, oder in den Zuschreibungen, die Elahe Moonesis Körper erfährt, wenn er von den beiden Männern wie ein Bündel hin- und hergeworfen und mit Kreidezeichen, die gefühlte Narben hinterlassen, versehen wird. Hier zeigt sich gewissermaßen das Gegenteil des sprachbegabten Wesens: der sprachlose, nicht artikulierte Körper, der letztlich ein kontrollierter und damit auch nicht-tanzender Körper ist. Der tanzende Körper würde sich wie der nicht-zensierte Text, der als Graffito im urbanen Raum auftaucht, der äußeren Kontrolle entziehen. Aber er tut es nicht. Dass der symbolische Duktus sich am Ende zu verselbstständigen scheint, indem aus Kreidesteinen Buchstaben gelesen werden und so ein plakativ theatraler Akt alphabetisierter Folgsamkeit die Oberhand gewinnt, ist schade, wenn auch symptomatisch: Am Ende gewinnt der Text.