Baumarktästhetik zum Staunen und Entspannen: Der dritte Teil von WILHELM GROENERS Trilogie „Becoming Undone“ in den Uferstudios
Der mutmaßliche Vorteil: Ich habe „Becoming Undone Part III“ von WILHELM GROENER zweimal gesehen. Der mehr als mutmaßliche Nachteil: Ich habe die anderen Teile nicht gesehen. Beziehungsweise von Part I nur das Ende, in dem das Duo Mariola Groener und Günther Wilhelm 2000 Tischtennisbälle zusammenfegt und dann in ihre Haushaltsschürzen aufsammelt. Das war noch vor der Politisierung des Ping-Pong-Balls durch Trumps Propaganda-Apparat. Falls man einen Ball, der den Nationalsport Chinas symbolisiert, überhaupt jemals als nicht-politisch einordnen konnte. Bei WILHELM GROENER symbolisierte er das Verhältnis zwischen Mikro- und Makro-Kosmos. Dass der Tänzer und die bildende Künstlerin ein eigenartiges Verhältnis zu eher unsinnlicher Gebrauchsmaterie haben, ist schon in früheren Stücken aufgefallen. Eine Art Baumarkt-Ästhetik, mittels derer sie einen Zustand herstellen, der poetisierend auf das Wahrnehmen wirkt, die aber gleichzeitig etwas (fast zu) Bodenständiges hat, eine Art calvinistische Profanität.
So ist es bei Part III – die Teile werden als einzeln rezipierbar angekündigt – auch wieder. Das durch sein abgesenktes Fliesenbecken bekannte Studio 1 der Uferstudios wurde in einen „Performance-Salon“ verwandelt. Wer sich darunter ein Michiel-Keuper-Design, also ein stimulierend-dekoratives Raum- und Objektarrangement, vorstellt, liegt falsch: schwarze Bistrotische, schwarze Hocker, beides nicht gerade schön, an vier Seiten eingerahmt von schweren schwarzen Vorhängen, auf dem Boden Holzplatten. Nach der Performance werden bunte Fläschchen mit gefärbtem Wasser und Geschmacksrichtungen verteilt, von denen man ganz sicher nicht high wird. Vielleicht lässt es sich auch so sagen: Es gibt nichts Gefühlsduseliges, nichts Magisches, nichts Effekthascherisches. Alles ist, was es ist. Und das ist: letztlich unbegreiflich.
Zum Beispiel die Körperhaftigkeit einer Seifenblase, deren Film, wie Groener beim Salon-Gespräch sagt, 20000 Mal dünner als ein menschliches Haar sei. Die Ping-Pong-Bälle sind in Teil III Seifenblasen, die mal unter dem Overheadprojektor ein Mandala bilden, indem jede per Strohhalm dazugefügte Blase sich von selbst geometrisch organisiert, mal aus den Handflächen geblasen werden, und am Ende, 1000-fach aus der Seifenblasenmaschine ausgestoßen, wie Glühwürmchen auf einem liegenden Walross wirken. Jahrmarkteffekte in zwanglos-meditativer Atmosphäre. Oder, bei all dem leisen Blasenrieseln, auch Vorweihnachtsstimmung.
Auch wenn alles in Schwarz ist, einschließlich der Garderobe von
Groener, Wilhelm und dem äußerst sparsam eingesetzten Mitperformer Assaf
Hochman, geht es um Licht. Die Trilogie über das „Ungeschehen werden“ –
oder auch das auf den Ursprung zurückgeführt Werdens – ist in ihrem
immateriellsten Teil angekommen. „Rauschen“, „Lichter Tanz“,
„Lichtzwang“, „Welle“, „Lichtzauber“ etc. heißen die einzelnen
Sequenzen. So sphärisch sich das anhört, so konkret sind die szenischen
Entsprechungen zu den Begriffen. Bei „Rauschen“ ein Stimmengewirr aus
den Boxen, zu „Lichter Tanz“ wird Wilhelm von Reflexen erfasst, die ihn
innerkörperlich berühren wie äußerlich ein Sonnenstrahl die Haut,, zu
„Welle“ macht er die typische Gelenkaufwärm-Wellenbewegung der Hände,
zu „Dreiklangdimensionen“ läuft gleichnamiger Song von Rheingold (bei
dem mein Tischnachbar von Tag II ganz nostalgisch wird), mit
„Lichtzwang“ (der Titel des posthum veröffentlichten Gedichtbands von
Paul Celan, der stark auf Psychiatrie-Erfahrungen referiert) verbinde
ich mit der Blendung durch einen Spiegel und „Wort-Licht Ton-Raum“
scheint für den zentralen wissenschaftlich-ästhetisch-philosophischen
Text zu stehen, der via Projektion auf die Hinterwand getippt wird. In
dem aus unterschiedlichsten Quellen informierten Dokument werden die
Phänomene verhandelt, die das Material für WILHELM GROENERS Szenen liefern: Licht als Strahlung, Teilchen, Welle, Farbe, Energieträger, Lebensspender, als Metapher.
Meine Lieblingsstelle:
„Licht wird also erst dadurch sichtbar, dass es gebrochen oder reflektiert wird oder auf Körper fällt, die Schatten erzeugen. Daraus folgt die Erkenntnis, dass mit dem Licht untrennbar auch Lichtpausen, also Lichtunterbrechungen, also Schatten verbunden sind. In umgekehrter Folgerung ergibt sich, dass erst die Körper Licht erscheinen lassen.“
Das Programmmusik-artige Wiedererkennen der Szenen befriedigt, es schafft – auf die Gefahr der Simplifizierung hin – eine einladende Zugänglichkeit, die vielleicht sogar sozialpolitisch zu verstehen ist. Was mir dennoch fehlt, ist ein Tick Fantasie, um die Variationsbreite der Impulse noch interessanter zu machen. Vielleicht ein bisschen mehr Spielwiese als Labor, mehr Farbkasten als Primärfarben, ein bisschen mehr tänzerisches Eigenleben der Quallenarme oder des Flossenfüßlers, der kurz ins Bild rückt. Wenn sich der Vorhang, hinter dem sich die eigentliche Zuschauertribüne verbirgt, auftut und Wilhelm plötzlich aufgebahrt auf den pyramidenförmig zulaufenden Stufen liegt, ist das ein gelungener Bruch mit dem Beschaulich-Anschaulichen. Ein Hauch von einem irrationalem Freimaurer-Ritual, der fast zu schnell wieder der phänomenologisch-didaktisch aufbereiteten Physik des Lichts weicht.