„Der Bau“, Isabelle Schad © Gerhard F. Ludwig

Auf Träumen reiten

Isabelle Schad entzückt und inspiriert mit „DER BAU –Gruppe/Kids“ auf dem diesjährigen PURPLE-Festival

Düster grollend und einigermaßen unheimlich hat man die 2014 erstmals aufgeführte und an Franz Kafkas Erzählung „Der Bau“ angelehnte Gruppenarbeit von Isabelle Schad in Erinnerung. Mit scheinbar wenigen Handgriffen und subtilem Humor hat die Choreografin das Stück nun in Richtung junges Publikum gelenkt. Ihrer minimalistischen Ästhetik der Wiederholung, Variation und Präsenz ist sie dabei treu geblieben. 

Ruht Leben in allen Dingen: Als die ersten von insgesamt sechzig Sitzsäcken sich zu bewegen beginnen, geht ein Kichern durchs junge Publikum. Auch als Erwachsener fällt man auf diese optische Irritation noch gerne herein: Hat sich in dem erdfarbenen Kissen dort vorne tatsächlich etwas geregt? 

Seinen Augen trauen kann man in Schads geheimnisvollem Verwandlungsspiel nie, der eigenen Fantasie hingegen schon. Bald sind es zusammenhängende Gebilde; Glieder-Gestalten, die sich wie aus dem Winterschlaf erwachte Tiere auf dem Boden rekeln. Als sich die Kissen-Masse in pulsierendem Rhythmus an der Bühnenrückwand aufschiebt, tauchen darin die Gesichter der Performer*innen auf wie rosige Kinder-Antlitze im Bettdeckengewühl. Zwei Jungen im Publikum grüßen sie spontan mit „Hallo“. Doch die zum Greifen Nahen entwischen gleich wieder in ihre traumversunkene Schlummer-Welt.

Noch mal! Voller Freude am wiederholten Erleben experimentieren kleine Kinder täglich mit der sie umgebenen Welt. Dazu bringen sie sich gerne an ihre Grenzen — toben, bis sie nicht mehr können oder erproben ihr noch wachsendes Selbst ganz räumlich, indem sie beispielsweise Verstecken spielen. In einer spontanen und endlosen Verkettung aus alltäglichen Erlebnissen und eigener Fantasie entspringen dabei immer wieder neue Ideen. Ihre Wahrnehmung von Körpersignalen ist oft noch so intakt, dass sie einem natürlichen Rhythmus aus Anspannung und Entspannung folgen. 

Ein organisches Wechselspiel aus anschwellenden und abschwellenden Dynamiken findet sich auch in Schads Stück. Ihre Performer*innen werden diesem scheinbar nicht müde: Mit Leichtigkeit, beinahe elegant, schleifen sie gleich mehrere der schweren Sitzsäcke im Rotationsrhythmus ihrer Schultern und Torsi über die Bühne wie vornehme Damen zu anderen Zeiten ihre Reifröcke spazieren trugen. Auch türmen sie, gemeinsam im Kreis laufend, Sitzsäcke zu einem meterhohen Berg auf, der nebenbei von zwei Performer*innen erklommen wird – „Wie schaffen die das nur?“ staunt eine Junge laut, fasziniert vom akrobatischen Können der Turmbauer- und -besteiger*innen.

Was mich als erwachsene Zuschauerin begeistert, ist die scheinbar nicht versiegende, kindliche Energie der Performer*innen. Diese dürfte – ruft man sich Schads von Body Mind Centering und asiatischen Kampf-, Heil- und Meditationspraktiken geprägten tänzerischen Ansatz ins Gedächtnis – in einer gewissen Zweckfreiheit des Handelns verborgen liegen; in der Kunst, sich im Moment oder mit dem Moment zu bewegen.

Dass die Kissen-Bauten im Laufe der Aufführung nie zu einer vollendeten Form finden, nehmen die Performer*innen mit Humor: Wie beim Bauklötze stapeln, deutet sich – kurz vor dem Moment des Einstürzens bzw. hier der Auflösung einer angedeuteten Form –in ihren Gesichtern eine Freude an, die Vergänglichkeit als Lustgewinn und gleichsam als Neubeginn versteht. 

Nach der Vorstellung gibt es das Angebot ans Publikum, die Sitzsäcke gemeinsam mit den Performer*innen und Schad auszuprobieren. Spätestens als meine Sitznachbarin und ich voller Feuereifer die Arme in die Luft recken, wird klar: Es sollte unbedingt mehr Kindertanzstücke für Erwachsene geben. Als Expertin des Alltags (mit Kleinkind) denke ich, dass in Isabelle Schads Ästhetik auch ein Potenzial für allerkleinste Zuschauerinnen ruht. Das hoffentlich alsbald seinen Weg in die Tanzwelt findet.