„Soft Offer“, Angela Alves © Gerhard F. Ludwig

Weich werden

Angela Alves macht uns mit „Soft Offer“ mehr als nur ein zartes Angebot. In ihrer ersten Soloarbeit thematisiert sie (unsichtbare) Andersartigkeiten intelligenter Körper im Rahmen der Tanztage 2019.

Ein Goldfolien-Vorhang, davor ein Stuhl im Zentrum der Bühne, ein Mikrofonständer. Zwei weiße, weiche Schaumstoffwürfel links und rechts rahmen den zentralen Freak-Show-Lichtkegel. Neben dem Stuhl liegt ein seltsames Pappmaché-Requisit, welches sich Angela Alves später über den Arm stülpt und das sich so als Körper-Erweiterung und versteifende Einschränkung entpuppt.

Das Publikum wird schon in einem vorangehenden Warm-up eingeladen, durch eine Meditation in eine andere Wahrnehmungswelt und einen Zustand des physischen Spürens einzutauchen. Die Grenze zwischen Performerin und Publikum soll weicher, durchlässiger werden; wir versuchen ein Körper zu werden. Vielleicht erleben wir hier gerade einen Ausschnitt aus ihrer täglichen Praxis des Spürens, Knochen-Schmelzens und Weich-Werdens.

Trotz oder gerade durch dieses Nach-Innen-Richten zieht die Performerin Angela Alves uns mit ihrer unglaublich starken Präsenz in den Bann. Nicht nur wir schauen, auch sie beobachtet uns mit durchdringendem Blick.

Ihre Krankheit, Multiple Sklerose, ist Ausgangspunkt, aber nur einer von vielen Aspekten, die in den folgenden fünfzig Minuten verhandelt werden. Die Erfahrung, dass der eigene Körper sich selbst bekämpft, dass sich gute Zellen gegen das Selbst und gegen das Zentralnervensystem im Besonderen wenden, hat die Performerin zur Reflexion von Körperdiversitäten inspiriert oder anders gesagt: gezwungen.

In Freak-Show-artigen Szenen und Videoprojektionen sucht Angela Alves nach anderen Übersetzungen intelligenter Körper. Führt die allmählich sich ausbreitende Unzulänglichkeit des eigenen Körpers zu einer anderen Bewegungs- und Wahrnehmungsqualität? Die MS-spezifischen Verhärtungen von Körpergewebe versucht die Tänzerin in ihrer eigens entwickelten Embodiment-Technik aufzuweichen. Und gleichzeitig mit zwei Objekten sichtbar zu machen: den Schaumstoffwürfel-Schuhen und dem Papp-Arm zur Körpererweiterung. Aber es geht nicht nur um einen soften Körper.

Wie schauen wir andere Körper an, die ihre Versehrtheit zunächst nicht visuell offenbaren? Wie lesen wir die scheinbar „normalen“ Bewegungsspektren eines zweifach ausgestellten Körpers? Ich bezweifle, dass die anfängliche Aufforderung, ihren Körper nicht mit unseren Blicken zu scannen, Erfolg hat, weil sich – wie von ihr voraus gesagt – keine Einschränkung entdecken lassen wird.

Ein Solo-Körper inmitten einer fast leeren Bühne auf einem zentral platzierten Stuhl in einem Ganzkörper-Strumpfhosen-Outfit stellt sich zweifelsohne aus. Die Aufforderung nicht zu schauen, führt wahrscheinlich eher zu einem unentwegt nach Makeln suchenden Blick.

„Soft Offer“ ist eine persönliche autobiographische Erzählung einer körperlichen, emotionalen und mentalen Transformation von einem Körper der tanztechnischen Expertise hin zu einem anderen, nicht minder fähigen oder weniger intelligenten Körper, der seine Grenzen aber erst erneut ausloten muss.

Angela Alves, Tanzwissenschaftlerin, Gogo-Tänzerin und alleinerziehende Mutter, vereint viele intelligente Körper in ihrer mehrschichtigen Biographie und lässt diese auf der Bühne sichtbar werden. In zwei weißen, weichen Schaumstoffwürfel-Schuhen stakst und schwankt sie über die Bühne, um im nächsten Moment in der Krieger-Yoga-Pose zu verweilen. Bilder physischer Stärke lösen solche fragiler Zerbrechlichkeit oder eines zu Boden Schmelzens ab. Die abwesende Sichtbarkeit des unzulänglichen Körpers birgt Risiken; Risiken des Verständnisses, des Verstehens, des Mitgefühls – und besonders eine Irritation, Menschen nicht in Schubladen einordnen zu können. Aus der persönlichen Geschichte wird eine zunehmend politische Fragestellung: Wie gehen wir mit nicht-normativen Körpern um? Und wie lebt es sich damit, an den Rand des gesellschaftlichen Selbstoptimierungswahns gedrängt worden zu sein? Die Performance führt uns vor Augen, in welchen Rastern wir Körper lesen, und wie schwer wir uns vom Leistungsgedanken des funktionierenden Körpers lösen können.