Mit dem Showing „Mirroring“ gaben Isabelle Schad und Josephine Findeisen am 17. Dezember 2022 in der Tanzhalle Wiesenburg erste Einblicke in ein zukünftiges Solostück: ein Gefüge aus Körperbewegungen und ihren visuellen und akustischen Spuren.
Schwere, unhandliche Metallplatten säumen die hintere und linke Studiowand, kalt und abweisend bilden sie eine doppelte Mauer, die unverrückbar scheint. Ihre mal stumpfe, mal changierende Oberfläche lässt Lichtreflexionen zu, ohne aber wirklich widerzuspiegeln. Die Tänzerin Josephine Findeisen stemmt sich gegen sie, Platte für Platte setzt sie ihr Körpergewicht gegen das feste und dichte Material ein, das nicht nachgibt und keine Verschiebung erlaubt. Immer wieder rutschen ihre Füße auf der weichen Oberfläche der Aikidomatten weg, die einen kleinen Bühnenraum bilden. Wie Geister erscheinen ab und zu Josephines Schatten an der Wand und verstärken die kalte, abweisende und entrückte Atmosphäre, in der das work-in-progress Showing von „Mirroring“ in der Wiesenburg beginnt.
Ein fast leerer Bühnenraum, ein verlassener Nicht-Ort, begrenzt durch diese mysteriösen Metallformationen, die nicht spiegeln, aber stumpf das Licht reflektieren, in denen irgendwo eine Präsenz von etwas, das mal da war oder von dem wir glauben, da gewesen zu sein, durchschimmert? Ein Eindruck, der zwar auch visuell aber vor allem akustisch inszeniert wird. Denn Josephine Findeisens Bewegungen hinterlassen akustische Spuren: eingefangen (im Moment ihres Auslösens) von im Boden verteilten Mikrofonen bilden sich Tonspuren. Diese erweitern gleichzeitig den Raum durch das Verhältnis zur Physikalität des sich bewegenden Körpers, und verschieben auch unser Gefühl von Zeit. Weniger als eine Abfolge von Loops, sondern vielmehr als ein kontinuierliches Auslösen, Anordnen und Auflösen von Klangfragmenten suggerieren sie eine zeitliche Disjunktion: Loops, die im Moment ihrer Materialisierung sogleich wieder zerfallen. „Sound and image flakes falling like luminous grey snow – falling softly from demagnetized patterns into blue silence.”, heißt es irgendwo bei William S. Burroughs in The Ticket that Exploded.
Irgendwann dann gelingt es Josephine eine der Platten aus ihrer Position zu lösen. Sie hebt sie an, schleift sie über den Boden und nimmt sie in ihre Arme. Den Oberkörper über die jetzt ausgeleuchtete Platte gebeugt, scheint sie tief in ihre eigenen verschwommenen Reflexionen der metallenen Oberfläche hineinzublicken. Raumgrenzen legen sich übereinander – und öffnen sich. Hinten an der Studiowand tritt eine Schattengestalt klar und deutlich in Erscheinung: Als Spiegelung, als Gespenst, als eine Spur, als illusionäre Öffnung, in der sich Erinnerungen an nicht eingelöste Vergangenheiten und ein gespenstischer Vorschein auf eine Zukunft, die uns vielleicht ereilt, übereinanderlegen. Spiegelungen, Schatten und ihre Verzerrungen erweitern den Raum in multiple Richtungen, eröffnen zeitliche Tiefen und mögliche Metamorphosen …
Zum ersten Mal habe ich Josephine Findeisen 2016 in Isabelle Schads Gruppenstück „Pieces & Elements“ auf der Bühne gesehen. Ich wohnte damals schräg gegenüber von der Wiesenburg, studierte noch und schrieb eine (mir heute schwer verständliche) Seminararbeit, in der ich Vorgänge aus der Quantenphysik (wohin ist dieser Hype eigentlich verschwunden?) und Karen Barads Konzepte der Diffraktion und Intra-aktion mit genau diesem Stück in Verbindung setzte. Darin schrieb ich: „Die Performer*innen interagieren nicht – weil sie keine Individuen sind – sie intraagieren – weil sie nur Körper sind, die mit anderen Körpern im Raum sich wechselseitig hervorbringen.“ Kritische Anmerkung damals von meinem Dozenten: „Präziser formulieren: weil sie nicht mit ihrer Individualität partizipieren – oder so.“ Sechs Jahre und einige Gruppen- und Soloarbeiten später sind es in der Recherchephase von Isabelle Schads „Mirroring“ vor allem die klang-räumlichen Gefüge, ihre Verschränkung mit Phantomen und Schattengespenstern, die die Grenzen zwischen Selbst und Umgebung, zwischen Wirklichkeiten und ihren Spuren verschieben.