Yevgieny Korniags “Latent Men” in den Sophiensaelen soll ein witziger Versuch sein, das Mann-Frau-Verhältnis auf den Kopf zu stellen.
Ein Glas klares Wasser vor einer Performance kann dazu dienen, den Alltag zu vergessen und sich auf die Performance einzulassen. Für Yevgieny Korniag jedoch geschieht der Akt des Anbietens von Wasser aus reinem Kalkül. Drei Damen in kleinem Schwarzen gießen dem Publikum so lange kühles Nass nach, bis das Licht angeht und vier viel zu hoch hängende Urinale zu sehen sind. Sie sind der eigentliche Star des Abends.
Nach und nach führen die drei Frauen fünf Männer auf die Bühne. Erst einen nach dem anderen, dann zwei auf einmal, den letzten schubst eine der Frauen einfach herein. Er landet hart auf dem Boden. Die vier Hochurinale an der Rückwand werden die Männer zur Verzweiflung bringen, denn sie haben – wie das Publikum – viel zu viel Wasser getrunken. Die Frauen verstärken den Harndrang und gießen immer wieder Wasser von einem Glas in das andere: “Uh, ah, ups”. Während sie eine einfache Choreografie auf sehr hohen Stöckelschuhen tanzen, zieht die Natur die Männer unbemerkt zu den Pissoirs. Ihre Hintern zucken schon vor lauter Ungeduld, dann springen sie hoch. Das sieht besonders schön aus, weil sie alle barfuß sind und nur weiße Unterhosen tragen. Im Infoblatt des Stückes ist die Rede von Grenzen, die zwischen Mann und Frau verschwimmen. Löst Choreograf Korniag sein Versprechen ein?
In Belarus sorgte der Weißrusse mit dem Stück für großes Aufsehen. Für “Latent Men”, das er mit Studenten probte, wurde er aus der Akademie der Künste ausgeschlossen. Als Konsequenz dessen gründete er danach das Korniag Theatre. Sein Ensemble mit wechselnder Besetzung möchte die traditionelle Theaterästhetik des Landes und das archetypische Frauen- und Männerverhältnis in Frage stellen. Im Rahmen des 14. Augenblick Mal! – Festival des Theaters für junges Publikum versucht Korniag dies mit “Latent Men” in Deutschland.
Anfangs wird der Mann in “Latent Men” als wehrloses Wesen
dargestellt. Ein Mann streckt einer der Frauen die blutige Hand
entgegen, sie tupft ihm wie eine Mutter das Blut ab und hält ihm ein
Taschentuch hin. Er schnäuzt sich. Knicken die Frauen ihre Hüften
synchron ein, dann geben die Männer im Hintergrund Orgasmuslaute von
sich. Ein Moment, der so witzig wie lächerlich ist. Frau, wieder auf
ihre Rolle als sexy Schönheit reduziert, tanzt ein wenig und die Männer
drehen durch. Die Frauen werden meist als dominant dargestellt, doch
wenn der Mann Kraft anwendet, sind sie wehrlos. Ein ausgestreckter
Männerarm drückt den Kopf einer der Performerinnen an die Wand. Frau
schön und schwach, Mann stark und hormongesteuert? Ein Bild, das in
einer Performance über wechselnde Geschlechter(rollen) wenig überzeugt.
Der Witz ist da schon überzeugender. Als drei der Männer Stöckelschuhe
tragen, balancieren sie so schlecht, dass sie immer auf dem Boden
landen. Das ist zwar etwas banal, aber durchaus unterhaltsam. Mit nach
außen gewendeten Füßen schafft es der eine zum Pissoir, die anderen
beiden humpeln hinterher. Das tut schon fast weh, sie so laufen zu
sehen.
Letztlich werden Frauen und Männer das Pissoirproblem gemeinsam lösen. Drei Frauen fangen sich einen vor ihnen flüchtenden Mann ein, drücken ihn gewaltsam auf den Boden, eine der Frauen presst ihre Brust auf seinen Mund, so dass er nicht schreien kann. Sie ziehen ihm eine Superheldenhose an, als Musik wird “Supermario” eingespielt. Die anderen vier Männer machen ihn zum Helden, halten ihn quer, und er streckt die Faust wie – ja, klar, wie ein Superman aus. Und dann wird er endlich punkten. “Latent Men” mag in Weißrussland das Theater revolutionieren, doch hier amüsiert das temporeiche Stück nur. Der Lerneffekt bleibt aus.