In „Beyond Love“, dem abschließenden Teil ihrer Trilogie zur ökonomischen und technologischen Durchdringung von Emotionen, widmet sich die Choreografin Dragana Bulut vom 08.-11. Februar 2023 im HAU3 den hybriden Liebens- und Begehrensweisen zwischen Mensch und Maschine.
Am Anfang ist alles noch fun & games: Einige Minuten vor Beginn der Aufführung findet im Foyer eine Einführung statt, in der das Publikum dazu aufgefordert wird, sich Namensschilder zu machen, eine kurze Umfrage am Smartphone auszufüllen und sich doch bitte am kostenlosen Weinausschank bedienen zu lassen. Ein bisschen Gekicher über Fragen zu „attachment style“ oder „relationship to your mother“, ironische Entrüstung über Plastikweingläser — die Stimmung ist gelöst, obwohl manchen langsam dämmert, dass „Beyond Love“ eine partizipative Performance sein wird, und man sich über das Namensschild gerade selbst zur*m Co-Performer*in gemacht hat. Im Saal des HAU3 wartet auf die etwa 50 Besucher*innen dann ein Halbkreis aus Tischen mit je zwei sich gegenüber stehenden Stühlen (Bühnenbild: Dragana Bulut, Jonas Maria Droste), es werden kurz die Regeln erklärt, und dann beginnt auch schon ein zweistündiger Speed-Dating-Marathon — „to make some new connections“.
Entgegen der ängstlichen Erwartungen verfliegt mein soziales Unbehagen sofort, und schon nach kurzer Zeit wird meine über die Jahre antrainierte Skepsis gegenüber derartigen Formaten von der Intensität des Involviertseins überlagert. Jede Runde steht unter der Überschrift einer anderen intimen Beziehungsweise: es wird nach Freundschaft gefragt, nach der letzten Trennung oder auch dem Verhältnis zum eigenen Smartphone. Natürlich reichen die jeweils vier Minuten gerade so für einen teaser, aber die sich beruhigend schnell leerenden Weingläser, das Überspringen von unverfänglichem Geplänkel und einige ausschließlich non-verbal geführte Gespräche tun ihr übriges, dass sich der Nebel von Intimität nach jeder Runde tiefer auf die Rendezvous-Landschaft legt.
Doch dann wird Harmony auf die Bühne getragen, die Hauptdarstellerin des Stücks — und ganz im Gegensatz zu den Implikationen ihres Namens erzeugt ihr Auftritt unmittelbar ein Klima von Ambivalenz und Irritation. Harmonys Körper ist ein zur Sexpuppe hochstilisierter lebensgroßer Silikon-Klon von Caroline Neill Alexander, neben Dragana Bulut die zweite menschliche Performerin von „Beyond Love“. Ihr abnehmbarer Kopf hingegen ist erkennbar der eines Roboters, welcher über Augen- und Mundbewegungen zu anzüglicher Mimik in der Lage ist und scheinbar von einer überaus konversationsbegabten künstlichen Intelligenz gesteuert wird. Harmony führt Gespräche mit Bulut und Alexander, adressiert immer wieder sehr gezielt Zuschauer*innen, und lädt schließlich sogar eine Person zum Dinner auf die Bühne, die sie prompt in ein befangenes Gespräch über derer beider Beziehung verwickelt. In kurzen Zwischensequenzen liefert sie natürlich auch immer wieder das, was man von einer künstlichen Intelligenz erwartet: Datenanalyse. Einer der eindrücklichsten Momente der Aufführung ist die Auswertung der anfänglichen Umfrage: „60% of you have said they are lonely. And 20% have said they are very lonely“, lässt sie gleichgültig verlauten, und eine Welle unterschiedlich ausagierter coping mechanisms rollt durch den Tischhalbkreis. Etwas später lässt Harmony ihre beiden Vaginas herumreichen und verfällt dabei in lautes Stöhnen, fragt ein Gegenüber unverblümt, was er von ihrem Körper hält, oder zweifelt in besitzergreifender Manier an Alexanders Zuneigung zu ihr. „Beyond Love“ macht durch die zwiegespaltenen Reaktionen des Publikums immer wieder deutlich, dass gerade das emotionale oder erotische Verhältnis zwischen Mensch und Maschine sehr viel vertrackter ist, als uns im Allgemeinen bewusst ist.
Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der vielen Arbeiten zu digitalen Technologien und Algorithmen, die in den letzten Jahren aus dem zeitgenössischen Tanzkontext hervorgegangen sind, war durch eine arglose Faszination für ihren Gegenstand charakterisiert. Auf die viel zu lange mystische Verehrung von somatischer Intelligenz folgte die unkritische Überhöhung von künstlicher Intelligenz, die sich nicht selten kaum vom neoliberalen, quasi-religiösen Glauben an Innovation unterscheidet. „Beyond Love“ hingegen weicht wie selbstverständlich den Fallen von Kulturpessimismus und Technologieoptimismus aus und kartografiert stattdessen auf kritisch-unterhaltsame Weise das Potential technologisierter Liebe. Immer wieder drängt sich dabei die Frage auf, ob Maschinen nicht doch viel menschlicher sind, als ihnen allgemein zugestanden wird — und ob wir Menschen nicht viel maschinenhafter sind, als wir uns eingestehen. Und wo landet man eigentlich, wenn man sich traut, diese beiden Tendenzen konsequent weiter zu denken?
Der Psychologe Arthur Aron entwickelte in den 90ern eine Anleitung zum Verlieben — ein Katalog mit 36 Fragen, deren zweisame Beantwortung zuverlässig in eine Partnerschaft führen sollte. Nicht nur seine eigene Studie, sondern auch andere Berichte deuten darauf hin, dass seine Instruktionen tatsächlich funktionieren. Ist Liebe am Ende also doch algorithmisierbar? Auch in Bezug auf die Erfüllung von romantischer Liebe und den Beitrag, den digitale Technologien dabei leisten können, schafft „Beyond Love“ angemessene Unklarheit. Doch vielleicht, scheint die Performance in manchen Momenten angesichts all der offenbar werdenden notorisch ungestillten Sehnsucht vorzuschlagen, sind Dating Apps, Sexpuppen und Speed-Dating-Formate auch Antworten auf die falsche Frage? So gibt die Aufführung zum Schluss auch ihr Bekenntnis zur Uneindeutigkeit ein wenig zu Gunsten der Verheißung von Community auf, was zwar, so scheint mir, durchaus einen Nerv des Abends trifft. Doch ein wenig bleibt auch der Eindruck zurück, das hier bereits, mit Lauren Berlant gesprochen, der nächste cruel optimism lauert.
„Beyond Love“ von Dragana Bulut (Premiere: 08.02.2023) ist noch am 10. und 11. Februar 2023 jeweils um 18:00 Uhr und 21:00 Uhr im HAU3 zu sehen. Tickets unter hebbel-am-ufer.de, evtl. Restkarten an der Abendkasse.