„FoliFoli_III._Interhuman“, Caroline Kühner © Joern Hausner

Viel Folie ums Ich-Sein

Caroline Kühner zeigt ihr Stück „FoliFoli_III._Interhuman“ am Ballhaus Ost. Eine philosophische Selbst-Vergewisserung zwischen Objekttheater und Tanzperformance

Caroline Kühner liegt in der Mitte der kleinen Studiobühne des Ballhaus Ost. Ihr Körper ist umschlossen von einer Blase aus Polyäthylen. Langsam beginnt sie sich darunter zu bewegen, suchend und tastend. Ihre Finger berühren von innen die milchig weiße Folie, streifen an ihr entlang wie an einer gallertartigen Masse. Ab und zu taucht unter der Quallen-Haut eine weiße Theatermaske auf. In ihrer mimischen Regungslosigkeit wirkt diese wie abgetrennt vom restlichen Körper.

„FoliFoli_III._Interhuman“ ist eine phänomenologisch orientierte Performance mit Anleihen aus Objekttheater, Tanz und Performance. Kühner, ausgebildete Puppenspielerin an der HfS „Ernst Busch“ und HZT-Gast-Studentin, bringt hier Materialforschung an Malerfolie mit Trauerarbeit um einen verstorbenen Elternteil zusammen. Dem Gefühl, dass die eigene Existenz aus allen Fugen geraten ist, setzt sie eine von Körper und Haut aus gedachte Selbst-Befragung und -Vergewisserung entgegen: „Wie ist das, wenn jemand verloren geht, was bleibt? Ich bleibe. Wo höre ich auf, wo fange ich an?“. Die Malerfolie agiert dabei als Metapher für die Haut als Grenzgeberin des eigenen Ichs, aber auch für dessen Entfaltungsmöglichkeiten.

Die Blase platzt. Caroline Kühner liegt eng umhüllt von Folie auf dem Bühnenboden. Wenige Szenen später wiegt sie das hauchdünne Material als Knäul wie ein Baby in ihren Armen. Kurz davor wird John Lennons „Oh My Love“ (mit kleinen Textveränderungen) von der Schauspielerin Julia Keiling live eingesprochen. Das Anliegen ist klar: Mit dem naiven Blick eines Neugeborenen (und dem einer auf das Essentiellste im Leben zurückgeworfenen Trauernden) möchte Kühner die Zuschauenden auf die Welt blicken lassen. Per Abendzettel beruft sie sich dabei auf den Phänomenologen Maurice Merleau Ponty: „Die Welt der Wahrnehmung bleibt in hohem Maße von uns unerkannt (…) und es gehört zu den Verdiensten der Kunst und des Denkens der Moderne, uns diese Welt, in der wir leben, und die wir doch ständig zu vergessen geneigt sind, wiederentdecken zu lassen“.

Das mit ca. 60 Minuten etwas zu lang geratene und theoretisch überladene Stück aus Bewegung und selbstreflexiven Texten ist eine lockere Aneinanderreihung von Haut-zu-Körper- und Körper-zur-Welt-Exkursen: Teils kritisch bis komisch angedacht, wenn die Malerfolie ganz plastisch zur künstlichen 90-60-90 Körper-Hülle umfunktioniert und mit der Frage „Do you ever feel like a plastic bag?“ konfrontiert wird. Teils im Zitat auf historische Tanz-Wahrnehmungsexperimente — Loïe Fullers raumgreifende und Stab geschwungenen Lichtspieltänze werden anzitiert — teils in ironischer Anspielung auf zeitgenössische Körperbewusstseinspraktiken wie Yoga. Am Ende der getanzten Lecture holen Kühner und Keiling das Publikum ganz direkt mit ins Boot. Face to face mit einer Bahn Malerfolie dürfen sie mit philosophischen Fragen à la Merleau-Ponty ihre eigene Körpergrenzen-Wahrnehmungsfähigkeit erproben. So eingestimmt auf die eigenen Hüllen, lässt sich Kühner hinter besagter Folie nackt von der Wahrnehmung ihrer Haut bewegen. Der eigentliche Star an diesem Abend aber ist Kühners Stimme. Zwischen entschlossener Selbstbestätigung und einsetzendem Wahnsinn oszillierend, lässt das flüchtige Phänomen nicht nur die anfängliche Folienblase, unter der Kühner nun nackt sitzt, vibrieren. Immer lauter singt sie „Oh My Love“ und schlägt dabei mit den Händen — Haut an Haut — auf ihre Oberschenkel.