Die Lake Studios laden mit “Triple Bill” zu einem familiär anmutenden Abend mit drei Tanzperformances ein.
Es ist schon ein kleiner Ausflug – vom Ostkreuz mit der S3 Richtung Erkner. Man lässt die Stadt hinter sich, um dann inmitten der Friedrichshagener Einfamilienhäuser (Vorgärten-Idylle) in ein Refugium der zeitgenössischen Berliner Tanzscene einzutreten. Im kleinen Vorraum der Lakestudios versammeln sich vor der Show mehr Leute, als es Stühle gibt. Es ist dieser besondere Charme von Orten, die gleichzeitig Studio-, Training, Kurs -und Aufführungsort sind. Einmal hier raus gefahren, scheint man es nicht mehr so eilig zu haben, wieder in die Stadt zurück zu kehren…(Entschleunigung/ Wochenendstimmung…)
Die drei Tänzerchoreograf*innen des Abends: Telmo Branco, Sarah Bleasdale und Hinako Matsumoto zeigen kurze Performances mit Skizzencharakter. Wie gesagt, das alles steht unter dem besonderen familiären Charme und Minimalismus in den technischen/theatralen Mitteln.
Das Eröffnungsstück von Telmo Branco ist vielleicht das in dieser Hinsicht ambitionierteste des Abends. Mit reich gefüllter Requisitenkiste und vielen szenischen Ideen hat er mit „ON WIRES“ ein ganzes kleines Tanztheater auf der Studiobühne geschaffen. Konzeptueller Rahmen bildet eine durchaus originelle Verschränkung von Romantik (als künstlerische Epoche) und Technologie. Während sich die Romantiker*innen jener Zeiten reaktionär gegen einen technischen Fortschritt gewandt hatten, legt Branco diese beiden Ebenen bewusst übereinander, verknotet allerlei Kabelwerk mit einer guten Portion Kitsch (pardon, Romantik) und zeigt Parallelen zwischen den scheinbar gegensätzlichen Welten auf. Dreh- und Angelpunkt dieser Versuchsanordnung ist ein unverhohlen zur Schau gestellter Narzissmus. Wenn schon Technik, dann für hochaufgelöste Selfis. Dem romantischen Künstler*innen-Ich ermöglicht der technische Fortschritt, stets mit mit allen in Verbindung zu bleiben, Energie von den Likes und dem Begehren der Anderen abzusaugen und die eigene Überhöhung zu feiern.
Dabei nimmt der Tänzer die Rolle des narzisstischen Künstlers beinahe etwas zu überzeugend ein, trumpft mit selbstironischen Superstar-Szenen auf und stellt seinen Körper mit Augenzwinkern und echtem Genuss am Selbst zur Schau. Seine Assistentin kommt bei der ganzen Selbstinszenierung jedoch nicht wirklich gut weg – hält sich im Hintergrund, erscheint tatsächlich eher als Beiwerk zur Präsentation des Tänzers. Auch, wenn diese Dynamik sicher bewusst gesetzt ist, hinterlässt dieses Ungleichgewicht einen eher schalen Beigeschmack… Und: Warum muss sie so schreckliche Unterwäsche über der Feinstrumpfhose und unter dem ohnehin schon geblümten Morgenmantel tragen? Einige Szenen gehen (wie die Kostümwahl) im Übereifer, alle Lieblings-Ideen in 40 Minuten zu verpacken, leider auch daneben. Zwischen lustigen Momenten – eine Arie, selbstverliebt und mit Apfelstücken im Mund kauend zum Besten gegeben / eine Taufszene, in der Stroh über dem narzisstischen Haupt ergossen wird…gleiten in solche ab, die szenisch eigentlich noch nicht ganz ausgearbeitet sind. Hauptsache stylisch und gut trainiert. Darauf einen grünen Smoothie frisch aus der Maschine (Technik, die begeistert), der Branco zu einem überenergetischen, nach Entertainment schreienden Tanz versetzt, bei dem er um ein weiteres Mal zeigen kann, was er so drauf hat. (Bravo: ein großer Sprung in die Luft! Wow, toller Oberkörper! – natürlich muss man am Ende oben ohne dastehen)
Die Kritik an diesem Stück wäre, dass es leider manchmal unentschieden bleibt, wie bewusst diese eigene Eitelkeit ausgestellt wird oder doch einfach um der Anerkennung willen ausgespielt wird. „Kill your Darlings“ war wohl noch nie die Stärke der Romantiker*innen…
Dabei zeigt die zweite Performance „SMIRK“ von Sarah Bleasdale, dass ein Solo mit minimalistischen tänzerisch-gestischen Mitteln nicht minder eindrucksvoll sein kann. Darin formuliert sie eine Haltung zu Fragen von (weiblicher) Sexualität, der Artikulation von Begehren und den Rahmen der Möglichkeiten, innerhalb dieses (überhaupt) stattfinden kann. Soviel erfahren wir jedenfalls vom Programmzettel und auch, wenn das eigentliche Bewegungsmaterial sich abstrakt/schlicht hält, trägt es Indizien dieser komplexen Fragestellung.
Sarah Bleasdale steht auf einem Punkt der Bühne, ihre Füße etwas quer nach vorn eingedreht, mit prüfendem Blick schaut sie ins Publikum. Ihr Gesicht wird beständig von Zuckungen ergriffen, ihr Körper durchfährt ein zittriger Schauer. Wie ferngesteuert richtet sie ihren Blick nach allen Seiten…Ihre Hände liegen dabei ruhig (schützend? wärmend?) auf ihrem Schambein, ihr Oberkörper sackt zuckend in sich zusammen, ihre Hüfte rotiert…Auch mit ausgebreiteten Armen kommt sie nicht vom Fleck und bleibt in diesem zittrigen Krampf verharrend, der sich jedoch immer mehr zu einem rhythmischen Flow entwickelt. Der Anspannung folgt ein Groove, der sie schließlich zu Boden sinken lässt….
Auch, oder gerade weil diese kurze, aber präzise ausgeführte
Bewegungsstudie alle möglichen Richtungen im Sinne einer Interpretation
offen lässt, ist es doch die eindrücklichste Arbeit des Abends und
verbindet mit analytischer Genauigkeit zwei sehr spielerische
Kurzstücke…
„SMIRK“ würde ich mir gerne als Weiterentwicklung in einem größeren Kontext anschauen.
Das dritte Stück im der Runde, „TIDES“ von Hinako Matsumoto beeindruckt mit fast naiver Hinwendung zu den großen Themen: Verzweiflung, Überforderung, Liebe… Am Anfang steht eine gut gemachte Videoinstallation. Hinako Matsumoto und ihre Tanzpartnerin Daleya Marohn bewegen sich in einem leeren Raum als vertrautes Duett; die zwei Tänzerinnen begegnen einander mit einem großen Spiegel, der abwechselnd einander oder der Anderen als eigenes Abbild zwischen die Körper gehalten wird. Ihre Bewegungen changieren zwischen verträumt-munteren und melancholisch-zweifelnden Momenten, bis das Video abbricht und auf der Bühne Matsumoto allein zurück lässt.
Ihre Performance ist eine Ansammlung von symbolischen Gesten. In einem Zwiegespräch mit der abwesenden zweiten Tänzerin tritt sie in einen nachgespielten Dialog ein….Die Eine ruft ihre Freundin mitten in der Nacht an, um ihr zu sagen, wie schön der Himmel sei, während die Andere mitten in der Krise steckt. Den aufgenommenen Dialog (vom Band) untermalt die körperlich anwesende Tänzerin mit fast pantomimischen Bewegungen: Haare Raufen, umher Irren, Hinfallen…Am Ende steht sie mit tröstlicher Miene und einer noch nicht entflammten Kerze in ihren Händen mit geschlossenen Augen vor dem Publikum (jemand kommt der unausgesprochenen Aufforderung nach und zündet die Kerze an). Es ist schon erstaunlich, wie sehr „Sagen“ und „Zeigen“ hier zusammenfallen. Bleibt der Eindruck, dass Hinako Matsumoto in dieser Performance tatsächlich ganz unmissverständlich etwas los werden wollte:
Die Message so leichtfertig wie aufrichtig gemeint: „you have the light in yourself. You are not alone.”
Mit diesem Satz im Gepäck lässt es sich getrost wieder in die Stadt zurück fahren. Kleiner Kurzurlaub am See…