„Between Sirens“, Jeremy Wade © Dorothea Tuch

Caring is Caring

Jeremy Wade kümmert sich in „Between Sirens“ im HAU 3 um Strukturen und Ethiken der Care-Arbeit – und entwirft so queere Strategien der Selbstfürsor

Sich einfach mal fallen lassen, auch mal jammern, den Kopf auf einen anderen Schoß ablegen, getröstet werden. Jemand hat schon ein Bad eingelassen. Es ist okay. Kaffee gekocht. Die Bettdecke aufgeschüttelt. Danke. Super, danke. Hey, danke nochmal. Gern geschehen.

Wem haben wir was zu verdanken? „Between Sirens“ kreist um das Phänomen der Care-Arbeit – jener nicht-produktions- oder nicht-erwerbsgebundenen Arbeit, die in den meisten Fällen mit prekären Verhältnissen verbunden ist. (Wer leistet eigentlich all die Care-Arbeit in Beziehungen, Freundschaften und Familien und Arbeitsstrukturen…?) Dabei verschieben er und seine Mit-Tänzer*innen Olympia Bukkakis und Mmakgosi Kgabi das Augenmerkt auf die Agens und die Gefährdung jener Fürsorger*innen, die so oft gar nicht selbst in Erscheinung treten. Also, who cares?

Der Neoliberalismus macht uns alle zu Einzelkämpfer*innen und doch lebt er davon, dass einige Wenige sich um das Wohl von Vielen sorgen. Wie können wir füreinander einstehen, ohne die Sorgenden hinter uns zu lassen? Wird es uns nicht langsam schwindelig, während wir uns um uns selbst kreisen und wer räumt nach der Party den Müll weg? Wenn wir das ausbeuterische System sabotieren wollen, dann ist gegenseitige Fürsorge vielleicht eines der letzten Kampfmittel. Wie sieht eine queere Utopie des Carings aus?

Jeremy Wade kümmert sich um die Beantwortung dieser Frage auf besondere künstlerisch-analytische und kühne Weise. Nachdem er im vergangenen Herbst das Symposium „Take Care“ kuratiert hat, ist mit „Between Sirens“ ein Stück entstanden, das in seinen choreografischen und theatralen Mitteln fast epische Dimensionen annimmt und das Thema in seiner ganzen Komplexität und Vielschichtigkeit zu beleuchten sucht. Selbst-Überforderung bleibt da nicht aus. Dennoch schaffen es die drei Performer*innen in diesen gewaltigen eineinhalb Stunden immer wieder, die Energie am Laufen zu halten. Geschäftig, mit einigem düsteren Humor, präzise in ihren Bewegungsqualitäten und mit unschlagbar charismatischem Auftreten führen sie uns durch die Abgründe und bunten Sonnenseiten einer füreinander sorgenden Gemeinschaft.

Dazu begrüßen uns die Drei zunächst in freundlich zuvorkommender Art, wobei alle Komplimente und Nettigkeiten schnell in jene Aufmunterungsfloskeln abdriften, bei denen wir uns fragen können, ob wir sie eigentlich hören wollen. Caring als Dienstleistung, positivistische Durchhalteparolen, getarnt als Selbstfürsorge: „be your own best friend!“ Gleich zu Beginn etabliert Wade ein Bewegungsvokabular, das Caring in eine kinästhetische Form überführt: die rechte Körperhälfte der Performer*innen scheint außerhalb ihres Wirkungsbereiches, fast automatisiert zu laufen: Arm und Handflächen sind von beständigen Wellenbewegungen durchzogen. Von dort aus werden sie zu Tentakeln, die ihre Umgebung abtasten. Aus dem Wellenmotiv entstehen immer ruckartige, zackige Wisch und Schub-Bewegungen. Die Drei sind immer unter Strom, Staub aufwirbelnd, taumelnd, treten sie äußeren unsichtbaren Widerständen entgegen, nehmen Kämpfe gegen Geistergestalten auf, fallen in eigene und fremde Albträume hinab, saugen die Luft ein, um sie gereinigt wieder auszustoßen…Die Szenerie (Bühnenbild: Julian Weber) und Musik („COOL FOR YOU / Vika Kirchenbauer) versetzt die drei Held*innen in eine kühle urbane Landschaft – zwischen Bauzäunen und hängenden Gitterwänden klemmen Mikros in Metallgestellen, psychodelische Chorgesänge und aufheulende Stimmen bilden den wummernden Soundteppich, in dem die drei mit hochgerissenen Armen, Fäusten in den Mündern und fragmentarisch zitternden Leibern um ihr Bestehen ringen…

Wenn die Grundstimmung in „Between Sirens“ auch eine düstere ist, wird sie immer wieder durch klugen und schrägen Humor durchbrochen. So der Auftritt im Self-Care Packet (man kann niemandem mehr trauen) – eine Art moderner Ritterrüstung gegen die scheinbar omnipräsente Gefahr und Ignoranz unserer Mitmenschen. „Between Sirens“ reagiert so auch auf ein erstarktes Gefahrenbewusstsein, dass in seiner schlimmen Form zu Abschottung und Misstrauen führt, ebenso wie auf das Phänomen, dass wir alle viel zu busy (und ego) sind, um einander beizustehen… Auf lange Sicht kommt da niemand mehr voran. Zwischen Arbeit und Ekstase stehen Wade, Bukkakis und Kgabi wie angekettet in einem diagonalen Dreieck, kommen sich mit ausgebreiteten Armen und zitternden Fingen keinen Zentimeter mehr näher, alle versinken im eigenen, von kreischenden Sirenen begleiteten Taumel.

Epilog: Am Ende werden wir auch noch richtig gut unterhalten. Olympia Bukkakis gibt unter Einsatz aller charmesprühenden Drag-Queen-Werkzeuge zwei mögliche Szenarien im alltäglichen Großstadtleben zum Besten. Stell dir vor, du hattest einen Fahrradunfall und liegst mit angebrochener Schulter und halb zerbrochenem Handy auf der Straße. Version A) Niemand hilft dir, dein Handy kann irgendjemand noch zu Geld machen (darum muss es geklaut werden), du fährst auf deinem geschrotteten Rad unter Schmerzen zur Notaufnahme. Variante B) Ein queerer Tagtraum voller Liebe und Tanz und rauschhaften Wolkenformationen.
Wenn es da draußen immer schroffer zugeht, muss es auf den Bühnen vielleicht bunter werden. Danke!