A.PART 2021 – Keeping on dancing through times of physical distancing, ada Studio ©Jenny Mahla

Vertrauen in den Prozess

Das A.PART-Festival schafft Begegnungen zwischen Berliner Tanz-Studierenden und Alumni. Unter dem diesjährigen Festivalmotto PATCH//WORK haben sich zwölf eingeladene Künstler*innen in Tandems durch einen kreativen Prozess bewegt und gegenseitig begleitet. Für uns als Publikum formt sich das Festival des ada Studios vor allem auf einem Online Blog.

Was bleibt uns als Zuschauer*innen, wenn es nicht die Aufzeichnung und der anschließende Online-Stream eines fertigen Bühnenstücks ist, für das sich ein Festival entscheidet? Was bleibt vom Tanz, wenn die so flüchtige Kunst nicht einmal in die scheinbar konkrete Form einer Aufführung gebracht wird?

Echte Begegnungen im Kleinen und eine Spurensuche für uns Zuschauenden – dafür haben sich die Kuratorinnen des A.PART-Festivals in der Edition von 2021 bewusst entschieden. Julek Kreutzer, Diethild Meier und Alex Hennig brachten in Zusammenarbeit mit Gabi Beier und dem ada Studio über einen Zeitraum von zwei Monaten unterschiedliche Menschen zusammen. Mit kuratorischer Intuition luden sie keine konkreten Produktionen ein, sondern Künstler*innen, denen sie einfach Raum zum Arbeiten gaben.[1] Was letztes Jahr noch ein notwendiger Balanceakt schien (Ein Festival mal anders: Das A.PART-Festival im Dialog zwischen Recherche und Produkt, 6. Mai 2020 von Katja Vaghi), ist in dieser Festivalausgabe bewusst weitergedacht. 

In Zweierteams verkuppelt, haben sich die Tanzschaffenden über den Verlauf der letzten Wochen kennengelernt, ausgetauscht, befragt und in ihren jeweiligen kreativen Prozessen inspiriert. Einblicke in diesen künstlerischen, performativen und teils auch persönlichen Dialog können wir Zuschauer*innen online auf dem Festivalblog gewinnen. Diese digitale Dokumentation der Fragen, Gedanken und Inspirationen ist für das Publikum, nebst dem eigens produzierten Podcast der diesjährigen Festivalausgabe, die konkreteste Form der Teilhabe. Sie ist zunächst ungewohnt, da Tanz hier nicht nur über Videos, sondern mit unterschiedlichsten Blogeinträgen vermittelt wird. Doch genau das ist der spannende Prozess, den wir als Zuschauende miterleben können – ein radikales Infragestellen. Nicht nur für die Künstler*innen in Bezug auf Arbeits- und Produktionsweisen, sondern auch wir als Festivalpublikum müssen uns fragen, wie wir Kunst konsumieren. 

Ist das noch Tanz?

Ist das schon Tanz?

Mal sind die Blogeinträge Probenvideos und es sind tatsächlich tanzende Körper zu sehen. Auch beim öffentlichen Zoom-Showing am 9. Mai ging es bei Tatjana Mahlke und Franziska Doffin beispielsweise um konkrete choreografische Ideen der Improvisation. Das Tandem kommentierte den eigenen Mitschnitt einer Probe, in der sich die beiden mit „drunken feet“ bewegten. Die Erklärungen des Bewegungskonzepts luden umittelbar dazu ein, es zuhause einmal selbst auszuprobieren und mit „in Whisky gebadeten Füßen“ zu tanzen. 

Andere Beiträge des wachsenden Online-Archives scheinen zunächst abstrakter. Es sind immer wieder auch Texte – Gedanken und Fragen, die den Künstler*innen gerade in den Köpfen herumzuschwirren scheinen. „Sind alle Ängste mit dem Wunsch verbunden, geliebt zu werden?“ posten Merle Gebauer und Tabea Antonacci, die sich in ihrer Arbeit mit den Themen Angst und psychischer Gesundheit beschäftigen. Sie erforschen, wie Gefühle unseren Körper bewegen.

Ok, ja es geht um Tanz.

PATCH//WORK – zusammenbringen, was (auf den ersten Blick) nicht zusammenpasst, heißt es in der Pressemitteilung des Festivals. Und so scheinen es zunächst vor allem Tanz und ein Online Blog als Hauptmedium der Kunstrezeption zu sein, die wohl nicht intuitiv assoziiert, aber hier zusammengeführt werden.

Wie viel Tänzerisches im Blog steckt, fragt Alex Hennig während des Podcast-Gesprächs die Projektleiterin der Mediathek für Tanz und Theater im Deutschen Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI), Christine Henniger, die beispielhaft auf das selbstbestimmte Hin- und Herbewegen auf der Webseite des Blogs verweist. Es geht um das Verständnis von Bewegung und den damit einhergehenden Begrifflichkeiten selbst, wie der Dramaturg und Tanzwissenschaftler Giovanni Sabelli Fioretti im Gespräch mit den Kuratorinnen weiter treffend ausführt. Was bedeutet es, im Jahr 2021 ein Festival zu veranstalten? Was ist eine Bühne und was ein repräsentatives Kunstwerk? Wie und wohin bewegen wir uns? All diese kuratorischen aber auch organisatorischen Fragen teilt das Team.

Zwischen dem Abtauchen in die Metaebene und dem Klicken des Touchpads bewegen wir uns als Publikum mit dem Festivalblog durch digitale Sphären. Wir können zwischen den verschiedenen Blogposts hin und her springen und lernen die unterschiedlichen Menschen sowie deren Welten ein Stück weit kennen. Und wir gehen dabei in der Zeit zurück – das ist tatsächlich ungewöhnlich für das Erleben der sonst so ephemeren Kunstform Tanz.

Im sich darauf Einlassen, welche Universen sich im Blog öffnen, wird deutlich, dass das alles durchaus mit Tanz und Bewegung zu tun hat. Vor allem mit der Notwendigkeit, sich in der Selbstreflektion zu bewegen – starre Konventionen, Erwartungen und Begriffe aufzubrechen und letztlich auch nach über einem Jahr Pandemie zu verstehen, dass es nicht einfach so wieder zurück zum Alten gehen wird. Auch wenn jetzt mehr und mehr Menschen geimpft werden und wir auf Live-Veranstaltungen hoffen dürfen, bleibt die Zäsur. Wir sollten sie nutzen, um uns immer noch und immer wieder zu fragen, was zeitgenössischer Tanz ist und was er alles sein kann.

Er kann das stille Filmen einer Blüte sein. Jemand hat für uns im Großstadtgetümmel angehalten und einem Detail die ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Eine Art Ruhe inmitten des Sturms und ein Fokus, den uns früher vielleicht der abgedunkelte Raum des Theaters bringen konnte. Begriffe weiteten und bewegten sich schon immer organisch.

Das Zusammenkommen der verschiedensten künstlerischen Ausdrucksformen im Festivalblog ist selbst ein Patchwork. Im Stil eines bunten Flickenteppichs treffen visuelle Medien wie Bilder, Zeichnungen oder Videos auf unterschiedliche Texte. Viele Einträge kombinieren die Elemente, sind bereits Collagen in sich und manche verweisen mittels externer Links in die teils absurden weiten Welten des Internets. Ob der jeweilige Blogbeitrag die Reaktion auf einen früheren Post ist oder ob die Gedanken aus dem Alltag zu Hause oder dem Probenstudio kommen, bleibt uns meist verborgen. Doch es spinnt sich ein spannendes Netz an Impressionen, welches als Einblick in die Hintergrundrecherche zugänglich werden kann. Sind das die ganzen inhaltlichen sowie ästhetischen Inspirationen, die ein Tanzstück im Werden prägen? Im Versuch, innerhalb des bisher bekannten Systems zu verstehen und zu kategorisieren, könnte der Blog also auch die chronologische Sammlung dessen sein, was es sonst nur fein säuberlich selektiert ins Programmheft schafft. 

Aber nein – dieser Einblick in die Arbeitsprozesse der Künstler*innen ist bereits die Kunst selbst.

Der Blog als öffentlich sichtbarer Teil des Experimentierraums, den das Festival schafft, dokumentiert vor allem die Prozessualität der Arbeiten. Prozessorientiertes Arbeiten heißt hier, die Freiheit zu haben einfach zu forschen, ohne den Erwartungsdruck, zu einem konkreten Ergebnis kommen zu müssen. Neugierig und so frei wie möglich Dinge auszuprobieren und Fehler oder Umwege nicht zu vermeiden, sondern in die künstlerische Praxis integrieren zu können – auch darum ging es dem Kurationsteam. Und dabei war es auch für sie ein Prozess, darauf zu vertrauen, dass das, was die Dynamik der Gruppe und der jeweiligen Paare hervorbringen, bereits das Kunstwerk ist. „Es geht darum zwei Monate miteinander zu arbeiten, aktiv zu sein und rauszufinden, was man mit so einem Format überhaupt machen kann“, formuliert Julek Kreutzer. 

Das Konzept, dem Moment zu vertrauen und mit dem zu arbeiten, was gerade da ist, klingt als Tool für Bewegungsimprovisationen aus dem Tanzstudio durchaus vertraut. Übertragen auf die strukturelle Ebene eines Festivals ist es jedoch mutig, visionär und vor allem politisch. Einen offenen Prozess zu ermöglichen, anstatt ein premierenfähiges Produkt zu fordern, widersetzt sich der neoliberalen Produktionslogik, die auch die Kunstwelt längst durchdrungen hat. Allein das Premierendatum als zeitlicher Druckfaktor hat sich im letzten Jahr oft genug selbst als trauriges Konstrukt entlarvt, wenn alles darauf ausgerichtet wurde, fertig zu werden, aber die Aufführung dann doch nicht stattfinden konnte. Es braucht, wie die Pandemie katalysatorisch deutlich macht, auch ein Umdenken davon, wie Kunst entsteht. 

Der Ansatz des A.PART-Festivals, sich auf die Suche nach neuen Produktions- und Präsentationsweisen zu machen, ist daher nicht nur zeitgemäß, sondern vor allem konsequent und vielversprechend. Vielleicht sind es eben solche kleineren Formate, die einen geeigneten Experimentierraum dafür bieten, dass neue und progressive Arbeitsweisen ausprobiert und etabliert werden können.


[1] Die eingeladenen Künstler*innen des A.PART-Festival 2021 sind: Asya Ashman, Camille Jemelen, Merle Gebauer, Sofia Seta, Tatjana Mahlke, Milena Sundari Nowak, Tabea Antonacci, Iris Rosa Gravemaker, Milica Tančić, Zoë Lazos, Franziska Doffin und Matilde Flor Usinger.


Das A.PART-Festival fand vom 13. März – 16. Mai 2021 in Zusammenarbeit mit dem ada Studio & Bühne für zeitgenössischen Tanz Berlin statt und der zweisprachige Festivalblog mit den künstlerischen Beiträgen ist weiterhin online und aktiv: https://apart-festival.blog/

Den Podcast gibt’s hier zuhören: https://player.vimeo.com/video/546149818