„ecologies of practise“ Siegmar Zacharias, Técha Noble, Emma Haugh und Roni Katz © Técha Noble

Verflüssigungsprozesse

Das Gesprächsformat „ecologies of practice“ der Tanzfabrik bietet einen theoretischen Hintergrund zum (Berliner) Tanzgeschehen.

Ganz im Zeichen der Fluidität steht die vierte Ausgabe des Forschungs- und Gesprächsformates „ecologies of practice“, das sich mit Arbeitsmethoden und Themenkomplexen in Choreografie und Performance auseinandersetzt. Dieses Mal begibt sich die Künstlerin und Theoretikerin Siegmar Zacharias in Austausch mit den KünstlerInnen Técha Noble, Emma Haugh und Roni Katz, die Einblicke in ihre künstlerische Praxis gewähren. Während die drei vorherigen Editionen sich bereits mit Themen der Durchlässigkeit in der Dramaturgie, Subjektivität als künstlerischer Praxis und dem Umgang mit Abfall als Materialität beschäftigt haben, geht es in der vierten Folge nun um die Erforschung von Verflüssigungen als visuelles und philosophisches Phänomen.

Es sei erstaunlich, findet Emma Haugh, als sie sich leger auf ein Podest im Studio 13 der Uferstudios setzt, dass sich das Publikum immer zuverlässig einfinde in Berlin, egal bei welchem Wetter. Und tatsächlich: Die vielleicht 50 Sitzgelegenheiten im Studio reichen kaum aus, obwohl „ecologies of practice“ ein hochspezialisiertes Format ist, das einen theoretischen Hintergrund zum (Berliner) Tanzgeschehen bildet.

Siegmar Zacharias ist an Prozessen der Verflüssigung, der „liquefaction“, interessiert und fokussiert das Verhältnis von Flüssigsein (als Zustand) und Flüssigwerden als künstlerischer Praxis. Als Moderatorin des Abends gibt sie noch einmal die Richtung des Diskurses vor: Wie verhalten sich Prozesse der Verflüssigung zur Ethik des Queering (als Methode), zum Erotischen und zum Unheimlichen?

Die australische, multidisziplinäre Künstlerin Técha Noble eröffnet den Abend mit der Schilderung einer ihrer Performances, bei der drei KünstlerInnen mit dem Rücken zum Publikum durch die Bewegung ihrer Körper und ihre maßgeschneiderten Kostüme die Illusion eines Tigergesichtes erzeugen. Die Koordination der körperlichen Bewegung erfolgt über einen kleinen Monitor, auf dem sich die KünstlerInnen sehen können, während ihre Bewegungen gleichzeitig auf eine große Leinwand projiziert werden. Und obwohl wir als ZuschauerInnen die Performance nur ausschnitthaft als Video erleben, stellt sich durch die Aktivierung dieses Körper-Tiger-Bildes ein unheimlicher Effekt ein. Die Gleichzeitigkeit des Sehens von Tiger und menschlichen Körpern wird hier nicht nur zu einem ästhetischen Bild, sondern auch zu einer belebten Form, die nicht einzuordnen ist. Die Verflüssigung der Grenzen zwischen Illusion und menschlicher Bewegung, die Noble uns mit der Projektion zeigt, thematisiert auch die Auflösung von körperlichen Hierarchien und starren Genderkonzeptionen.

Diese Auflösung von Hierarchie lässt sich auch bei Roni Katz und Siegmar Zacharias erkennen, die auf einem Sofa sitzend und Orangen pellend ein Fragespiel beginnen, das ohne Antworten auskommt. Jede Frage wird mit einer Gegenfrage so lang auf die Spitze getrieben, bis sich das Gefühl einstellt, auch ohne konkrete Aussagen sehr viel zu erfahren zu haben. Wenn du eigentlich meditieren willst und plötzlich anfängst, zu masturbieren, was sagt das dann über deine Meditationspraxis?, fragt Katz und löst damit eine Kaskade an weitern Fragen aus, ohne dabei auf Antworten zu beharren.
Viele Denkanstöße, die erst einmal verdaut werden wollen. Emma Haugh, bildende Künstlerin und Forscherin, sorgt für Auflockerung und bringt uns mit ihrer unprätentiösen Art zum Lachen. Sie liest einige Texte, denen, als Verwobenes von Anekdoten und eigener Fantasie, bisweilen nicht ohne verschämtes Lächeln zu begegnen ist. Sie liest von feuchten Muschis, Ärschen voller Vaseline und Gruppenpenetration – vielleicht auch eine Art der Verflüssigung im Modus der Auflösung herkömmlicher Geschlechterrollen. Die Sprache ist poetisch, aber unkonventionell, sodass die Texte zu einem Teil von Haughs Forschung zu Repräsentationen von Begehren werden.

Am Ende der „ecologies of practice“-Session fühle ich mich wie nach einem Uni-Seminar: Randvoll mit neuen Denkanregungen, aber auch satt an Informationen. Das Konzept der Reihe, eine Plattform für den Austausch von Kuratieren, Choreografie, Forschung und Theorie zu bieten, geht in diesem Sinne voll auf – adressiert allerdings vor allem Kunstschaffende.