„Solange die Nacht wirbelt“, Josep Caballero García © HAU Hebbel am Ufer

Utopie vor klischeeverhangenem Nebel

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Josep Caballero García möchte mit „Solange die Nacht wirbelt“ binäre Machtverhältnisse aufbrechen und errichtet stattdessen im HAU 3 ein destruktives Konstrukt aus eindimensionalen Schablonen

Titel wie Ankündigungstext klingen so verheißungsvoll, dass es erstaunlich ist, wie wenig Substanz nach diesen eineinhalb Stunden übrig bleibt. Josep Caballero García hat sich zusammen mit fünf Tänzer*innen auf queere Identitätssuche und Zukunftsvisionen begeben. Zwischen Ritual und Fest soll ein utopischer Raum errichtet werden – getragen vom Wirbelwind in nach Revolution duftenden Nächten…Das romantische Bild beginnt schon nach kurzer Zeit zu kippen, wenn deutlich wird, dass dieses laute, kämpferisch und selbstvergessen agierende Ensemble sich schlicht leer gewordener Konnotationen von „Queerness“, bzw. vom „Anderen“, bedient. Wenn die Zuschauer*innen zu Beginn des Stücks gleich von der lauten, ‚wild‘ klatschenden Meute begrüßt werden, um im besten Fall selbst in den Aufruhr einzustimmen, wird es schon mal unangenehm. Im diffusen, nebeligen Licht soll scheinbar eine Gemeinschaft eingeschworen werden, die sich nur schrill und dumpf selbst beklatschen kann. Zwischen Hysterie und Aggression agieren die Tänzer*innen neben und auf zwei Bühneninseln aus Stahlträgern, die sie durch den Raum ziehen und auf die sie immer wieder einschlagen, um so richtig Krach zu machen, sich gegenseitig anzufeuern und die Stahlrohre zusammen oder auseinander zu schrauben. Achtung: Aufruhr. Verzerrt wirkende, ferngesteuerte Körper stürzen zwischen die Zuschauer*innen, geben sich betont ‚grotesk‘ oder ‚außer sich‘, wobei hier weniger an einem Bewegungsmaterial, als an Schablonen gearbeitet wurde. Diese gewollte Groteske führt jedoch nirgendwo hin. Queerness wird als ein flaches Bild von Sexyness und vermeintlicher Grenzüberschreitung inszeniert – das „Andere“ damit harmlos bis problematisch hinter Klischeebildern verhangen.

Dabei verausgaben sich die 7 Tänzer*innen des multinationalen und betont queeren Ensembles auf physischer Ebene mit einiger Ausdauer, versuchen bis zuletzt ein Energie- und Spannungslevel zu halten, das sich leider unaufhörlich im Kreis dreht. Ein eindimensionaler Wirbelsturm. Denn, die „Utopie“, die hier ausgerufen werden soll, zielt in ihrem Vorhaben mit einigen Missverständnissen genau daneben.

Sind etwa queere Lebensrealitäten zwangsläufig im „archaischen“, „triebhaften“ oder „destruktiven“ ‚Anderen‘ zu finden? Indem sich die Performerinnen in High Heels wankend über die Bühne bewegen, die Augen verdrehen, uninspiriert umher taumeln oder verdrehte Wörter ins Mikrophon sprechen, stellt sich nicht gerade die Revolution ein. Das individuelle Potential der Tänzer*innen geht in undefinierten Gruppenkonstellationen fast verloren. Das Einzige, was wirklich brodelt, ist der Soundteppich. Hier ist niemand außer sich. Neben einigen Textpassagen zum Thema „The Future is Pussy“ lassen sich fast keine Zwischentöne, Ambivalenzen oder Denkanstöße finden. Wie das so ist mit Utopien, sie verkehren sich allzu leicht ins Gegenteil. In den schlimmen Momenten hat man das Gefühl, die ganze Entgegensetzung sei dazu da, die bestehende Ordnung am Ende zu bestätigen und das ist dann auch fast das Einzige, was daran Aufsehen erregend ist.