„i ride in colour and soft focus, no longer anywhere“, Last Yearz Interesting Negro ©C.Jimenez/K.Perlak

Überlebensgroß. Oder: nicht länger irgendwo.

Abschluss des Festivals Freischwimmer*innenThe Future is F*e*m*a*l*e* in den Sophiensælen: Jamila Johnson-Small alias Last Yearz Interesting Negro kreiert mit ihrem Stück „i ride in colour and soft focus, no longer anywhere“ poetische Bewegungs-Sound-Landschaften und meditative Abschweifungen, die Fragen nach dem Verbleiben der Körper nahelegen.

„Deswegen komm’ ich am Ende immer zu dem Schluss, dass Tanz einfach am spannendsten ist“, resümiert meine Freundin nach der Vorstellung im Foyer der Sophiensæle. Wir pflichten einander bei und kommen auf den bewegten Körper zu sprechen, auf die Komplexität von Welt, all das Unsagbare, das im Tanz einen adäquaten, wenn auch schwer bestimmbaren Ausdruck finden kann… Dabei ist dieser tanzende Körper hier die meiste Zeit halb oder sogar ganz abwesend, für den Blick der Zuschauer*innen nur schemenhaft zu erahnen, immer ein Stück neben dem Rampenlicht oder stellvertretend als Videoprojektionen seiner selbst zu sehen.

Was den meditativen, tranceartigen Charakter gerade der ersten Hälfte dieses Tanzstücks mit epischer Länge von 90 Minuten ausmacht, ist in der Sog, der sich entfaltet, wenn Bühne, Sound und Licht den gesamtem Raum in Bewegung versetzen. Jamila Johnson-Small spricht von einer ‚tänzerischen Meditation’, eine Formulierung, die treffend ist, wenn wir diesen Abend als ein Hybrid zwischen Theater, Installation und sozialem Raum begreifen. Sie arrangiert das Bühnenbild, das Licht, den Sound und schließlich sogar das Publikum als choreografische Elemente, die allein dadurch interagieren, dass sie einen gemeinsamen Raum teilen. 

Wenn der Körper als Projektionsfläche zurücktritt, werde ich als Zuschauer*in plötzlich auf mich selbst zurück geworfen und kann meinen Gedanken beim Abschweifen zusehen. Vorschlag an die Leser*innen: denken Sie sich in einen verdunkelten, weitläufigen Raum hinein – vereinzelt treffen zaghafte Scheinwerfer auf Ihre geschlossenen Augenlider. Ein Soundteppich trägt Sie im wummernden Technobeat davon. Denken Sie laut:  i ride in colour and soft focus, no longer anywhere.  

Der Körper ist ein fragiles Konzept. Können wir unseren Leib, unsere Sterblichkeit und Verletzlichkeit überwinden? Jamila Johnson-Small alias Last Yearz Interesting Negro vertritt hier auch eine postkoloniale Geste, indem sie ihren Körper der Verfügbarkeit der Blicke immer wieder entzieht, das Fantasma vom ‚natürlichen Körper‘ enttarnt und den schwarzen Körper als Projektionsfläche aus dem unsicheren ‚irgendwo‘ abholt und in ein futuristisches ‚anderswo‘ überführt. Während besonders People of color noch immer als Stellvertreter*innen für die Sehnsucht nach einer wie auch immer ‚ursprünglichen‘ Verbindung von Mensch und Natur herhalten müssen, hören wir die Künstlerin aus dem Off: „I no longer believe in nature as a concept, I don’t even see trees anymore (…) the countryside won’t safe us (…) White people. Do something.

Keep moving ‚no longer anywhere‘

Auf der riesigen Leinwand in der Mitte der Bühne tritt der tanzende Körper sehr prominent in seiner ganzen Zweidimensionalität auf. Über-Lebensgroße Versionen ihrer selbst grooven zum unablässigen Beat als Trio, im Quartett, in Scharen. Last Yearz Interesting Negro alias die Überwindung ihrer physischen Grenzen, als aus sich selbst wiedergeborene Körper – übereinander geschichtet, immer im Groove, schwebend auf flachem Screen – unnahbar, überlebensgroß, unsterblich. Diese Videoprojektion könnte ob ihres Style-Faktors und ihrer Hochglanzästhetik fast als H&M-Werbung durchgehen, wenn die schwebend-tanzenden Klone nicht immer wieder ihre eigene Perfektion zu durchbrechen verstehen würden: scheinbar versunken im Beat schauen sie uns an und wenden ihren Blick immer wieder ab, auf ihren Gesichtern verzerrtes Gähnen, Grimassen, Augenrollen; ihre Körper werden zusehends fragmentiert – haltlos schweben Beine, Unterkörper, Arme voneinander getrennt über den Screen…

Wenn Jamila Johnson-Small dann im zweiten Teil des Stücks doch selbst mit ihrem ‚realen Körper‘ in Erscheinung tritt, hat sich der Raum bereits transformiert: Zwischen Dunkelheit und Halbdunkel, ongoing Technobeat und den abwesend-anwesenden Leinwandkörpern landet ein dumpfer Ton, dessen Schallwellen den Raum erschüttern, wie ein Ufo inmitten einer Mondlandschaft. Ein Körper schält sich aus einer Goldfolie heraus und tritt selbstvergessen auf die Bühne. Zwischen den Zuschauerreihen – sichtbar und unsichtbar – changierend, hält die Präsenz der Tänzerin den Raum zusammen. Utopische Intervention: Wenn sich scheinbar unvermittelt und spontan zwei freiwillige Mit-Tänzerinnen (eine davon Cilgia Carla Gadola, Produktionsleiterin des Festivals und Multitalent) zu ihr auf die Bühne gesellen, klingt hier Kompliz*innenschaft an. 

„i ride in colour and soft focus, no longer anywhere“ hinterlässt darum auch einen besonderen Eindruck, weil hier ganz eigene Maßstäbe an Blickachsen, Zugänglichkeit und Involviert-Sein gesetzt werden. Während die Tänzerin am Ende des Stücks einzelne Zuschauer*innen zu sich auf die Bühne bittet, um vor einem Publikum zu performen, dessen Augen sie mit Tiermasken verdeckt anschauen und nicht-anschauen, spricht sie über den Tod ihres Vaters, vom Verlust eines geliebten Menschen, und von Trauer, die sich in ihren eigenen Körper eingeschrieben hat. No longer anywhere ist in diesem Sinne vielleicht auch der Versuch, den Körper ins Ungewisse, Abwesende, und nicht Verfügbare abdriften zu lassen, und (trotzdem) verbunden zu bleiben. Woauchimmer. Anderswo und immer: no longer anywhere.