Tuna by the lake ©Inky Lee

Twinkle, ein hormoneller Tanz

Inky Lees Überlegungen zu Hormonen, Verlangen und Liebe im Kontext des Sound- und Bewegungsevents Twinkle, und ihre Beobachtungen zum hormonellen Chaos ihrer Katze.

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Die einzigen Lichter am Himmel waren die Sterne – unzählig viele Sterne. So viele, dass der Himmel fast schon strange aussah. Mehrere Stunden lang lag ich auf dem Holzboden des Balkons auf dem Rücken und blickte auf zum Himmel. Ich wurde eins mit diesem Boden. Je länger ich dort lag, desto mehr schien sich der Himmel zu wölben, als sei er flüssig. Ich erinnerte mich, dass ich einmal auf einer wilden Insel war; an den Anblick der von leuchtendem Plankton bedeckten Meeresoberfläche erinnere ich mich bis heute. Der Himmel über mir wurde zu diesem Nachtozean. Ich hörte die Grillen, das Wiehern der Pferde und das Heulen der Wölfe in regelmäßigen Klangwellen in der Ferne. Ich fühlte das Leben in mir. Inmitten dieser glückseligen Stille und getragen von diesem elektrischen Gefühl der Lebendigkeit masturbierte ich. Genau in dem Moment, als ich den Höhepunkt erreichte, flackerte eine Sternschnuppe über dem Himmelsozean auf. Wie ein kleiner Fisch, der aus dem Wasser schießt. Was ich mir wünschte, war Liebe. Dann überlegte ich, dass ich eigentlich nicht wirklich weiß, was Liebe ist (auch wenn ich gerade zwei Bänder Liebeslyrik gelesen hatte…). Nichtsdestotrotz wünschte ich mir Liebe. Es stellte sich heraus, dass der kleine Liebesfisch sich direkt in die Muschi meiner Katze geschossen hatte. Das war an einem Dienstagabend. 

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Am Samstagabend war ich bei einem Sound- und Bewegungsevent namens Twinkle im Studio einer befreundeten Person. Wegen PMS steckte ich tief in einer Hormonsuppe. Die befreundete Person, die den Abend organisierte (die ich ‚B‘ nennen werde), hat in den letzten Monaten verschiedene hormonelle Veränderungen durchgemacht, weil sie angefangen hat, Testosteron (oder ‚T‘) einzunehmen. B erzählte mir, dass sich die eigene Stimme vertieft habe und dass diese körperlichen Veränderungen verwirrend seien. Darauf antwortete ich mit einer Zeile aus einem Gedicht von Frank O’Hara: you don’t have to fight off getting in too deep / you can always get out if you’re not too scared

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Ich bereitete mich darauf vor, einige Tage aufs Land zu fahren. Seit Dezember letzten Jahres hatte ich Berlin nicht verlassen. Es war auch das erste Mal, dass ich und meine Katze Tuna getrennt sein würden. Ich gab sie bei einer*m Nachbar*n ab, wo sie drei Tage lang, während meiner Abwesenheit, bleiben würde. Aber mein süßes Kätzchen wurde fast sofort, nachdem ich mich von ihr verabschiedet hatte, zu einem geilen, missmutigen Monster.. Mein*e Nachbar*in sagte mir, dass Tuna am Dienstagabend rollig geworden war. Sie war überwältigt von einer Flut von Hormonen, die sie in eine überdrehte, gequälte Muschi verwandelten. Sie maunzte verzweifelt und wollte nur noch ihren natürlichen Trieb befriedigen. Mein*e Nachbar*in schickte mir Videos von Tuna, wie sie sich auf dem Boden wälzte, kreischend wie ein Otter, und fragte mich: „WAS KANN ICH DENN TUN?“

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Da saß ich nun, bei Twinkle, mitten im schlimmsten hormonellen Durcheinander, allein in der Ecke des Studios. Normalerweise muss ich, wenn ich in diesem Zustand bin, einfach ins Bett kriechen, auch am helllichten Tag. Ich muss mir eine Decke über den Kopf ziehen und mich eine Stunde lang im Dunkeln verstecken, bevor ich überhaupt in der Lage bin, jemanden auf eine Tasse Tee zu treffen. Selbst etwas so Einfaches würden meine Nerven nicht aushalten; es würde mich in Angstzustände versetzen. Auch wenn ich mich ängstlicher und reizbarer fühlte als sonst brachte ich meinen Körper zu Twinkle, weil ich darauf vertraute, dass es einen sicheren Raum geben würde, in dem ich existieren könnte in einem sanften Zusammensein mit Anderen, und das brauchte ich. Wir tranken heißen Tee mit einem Schuss Whisky und sangen, schlugen auf Instrumenten herum und ließen unsere Körper schwingen. An einem Punkt erklärte B, dass es nicht mehr möglich sei, so hoch zu singen wie früher, dass es aber nicht schlimm sei. Ich erinnerte mich daran, wie ich B ganz zu Beginn der Einnahme von T getroffen hatte: noch nie hatte ich B so selbstbewusst gesehen, so verankert im eigenen Körper. B beschrieb das Gefühl, wie die eigene Haut buchstäblich dicker wurde, und dass es sich deswegen einfacher anfühle, sich durch die Welt zu bewegen. B hatte den Eindruck, mehr Energie zu haben, weil die Regelblutung häufig ausblieb. Diese Energie wollte B darin investieren, sichere Räume für die LGBTQIA+Community zu schaffen. 

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Als ich sah, wie verrückt sich Tuna verhielt, dachte ich, das ist der Beweis dafür, dass Hormone real sind. Ich hielt die fauchende Tuna in meinen Armen und sagte ihr, dass ich sie so liebe, wie sie ist. Aber es war ganz offensichtlich, dass sie litt. Ich dachte daran, sie sterilisieren zu lassen, aber dann stellte ich mir die Szene vor: Tuna, bewusstlos auf einem kalten Tisch liegend. Tuna unter dem Messer. Tuna wird der Bauch aufgeschnitten. Tuna, blutend. Oh nein. Ich fühlte mich hin- und hergerissen. Ich kontaktierte einen Freund, der an seiner Doktorarbeit in Philosophie über den Unterschied zwischen Mensch und Tier arbeitete. Ich fragte ihn: „Wenn Katzen sich paaren, tun sie das nur zur Fortpflanzung oder tun sie es auch aus Liebe? Sollte ich Tuna sterilisieren lassen? Wenn ich es tue, entziehe ich ihr dann Liebe?“ Zum Glück meldete er sich schnell zurück. Seine umsichtige Antwort: „Ich denke nicht, dass es ‚Liebe‘ ist, die Du ihr dadurch entziehen würdest, aber ich glaube, dass Du dadurch damit eine Art von ‚Begehren‘ abstumpfen würdest. Dies scheint irgendwie schade. Was Du aber vielleicht bedenken solltest, ist, dass Geschlechtsverkehr für die weibliche Katze schmerzhaft ist. Das sind jetzt schon irgendwie schauerliche Details, aber auf dem Penis der männlichen Katze sind viele ganz kleine Widerhaken – wie Dornen am Rosenstiel – die erstens den Eisprung der weiblichen Katze anregen und zweitens den Samen anderer Kater herauskratzen, um sicherzustellen, dass der Samen aus diesem Penis die Eizelle befruchtet. Die arme Tuna wird also biologisch dazu getrieben, etwas zu wollen, das für sie sehr unangenehm sein würde. Und ein weiteres Problem für Dich wäre der unerwünschte Nachwuchs. Deshalb denke ich, dass es in Ordnung ist, Katzen sterilisieren zu lassen.“

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Bei Twinkle traf ich auf eine Freundin von mir, die unter ihrem Begehren litt. Sie sagte mir einmal, dass ihr Begehren ihr Angst mache. Beim Aufbrechen, als wir beide unsere Jacken anzogen, um nach Hause zu gehen, begann sie, langsam singend die Worte „I want to be OK“ zu wiederholen. Ich wiederholte ihre Worte singend in Harmonie. B schloss sich uns mit dem Schlagzeug an, und eine weitere Person kam dazu, mit elektronischen Sounds. Wir stimmten uns sanft auf diese nonverbale Umarmung unserer kollektiven Sensibilität ein, als wir einander aufmerksam zuhörten. Als wir zusammen zur Bushaltestelle gingen, sagte mir diese Freundin, dass sie sich für ihr Verlangen schäme, und dass sie sich manchmal so einsam fühle, dass es schmerzhaft war. Durch Twinkle habe sie sich jedoch viel besser gefühlt. „Meine Gefühle mit den anderen einfach in den Raum zu singen, das hat wirklich geholfen“, sagte sie mir.

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An diesem Punkt sollte ich sagen, dass ich gerade etwas verwirrt bin. Was will ich mit diesem Text sagen? Ich habe ihn mir mehrere Male nochmals durchgelesen, bin mir aber noch immer nicht sicher. Ich kann sagen, dass ich lange gebraucht habe, um von Twinkle nach Hause zu kommen, da alle Züge und Bahnen, die ich nehmen musste, irgendwelche Probleme und Verspätungen hatte. Aber das machte mir nichts aus. Was ich auch noch sagen kann, ist, dass Tuna zum Zeitpunkt von Twinkle wieder „normal“ war. Das Leben, die Ehrfurcht, die Überwältigung, die Gelassenheit, das Verlangen und die Liebe, die ich beim Anblick des nächtlichen Himmels auf dem Land gespürt hatte, finden sich irgendwie in diesem Text verteilt wieder, aber auf eine chaotische und menschliche Art und Weise, die oft einfach nur verwirrend erscheinen kann. Ich kann es nicht genau sagen. Am Tag nach Twinkle schrieb mir B: B verstünde, wie schwierig PMS sein kann, und sagte, dass ich an dem Abend trotzdem strahlend war. Ich erinnere mich, dass B während Twinkle einmal wütend in das Mikrofon schrie und dabei mit einem eigenen funkelnden Licht strahlte. Die Scham und der Schmerz unserer anderen Freundin waren in ihrer Art auch ein Strahlen. Die hormongetriebene Tuna war ebenfalls ein starkes Licht. Durch dieses geheimnisvolle Wirrwarr glühender Lichter wird mein Nachthimmel zu einem Sternenchaos, und ich fühle das Leben in mir.


Deutsche Übersetzung von Nine Yamamoto-Masson