Ein schwarz-weißes Bilderrauschen in ungebrochener Schönheit des Tanztheaters des 20. Jahrhunderts. Sasha Waltz inszeniert ihr neues Stück „rauschen“ an der Volksbühne Berlin und beschäftigt sich mit unserer digitalen Gegenwart in einem dystopischen Entwurf voller technoider Gedankenschnipsel.
A Day in the Life – Die Beatles eröffnen die Soundkulisse der folgenden zwei Stunden konzentrierter, formaler choreographischer Anordnungen. Es rauschen sämtliche Sounds des Maschinen- und Computerzeitalters an diesem langen Abend an uns vorbei. Analog dazu zucken und rucken die Körper der zwölf Tänzerinnen in vereinzelten Soli und synchronen Gruppensequenzen über die Bühne. Roboterhafte detailverliebte Isolationen ziehen sich wie kontrolliert sich brechende Wellen durch die Oberkörper der Performerinnen.
Im Sinne eines derzeit angesagten Minimalismus beschränkt sich die Farblichkeit auf einen Schwarz-Weiß-Kontrast. Zeichen der Uniformität unserer digitalen entindividualisierten Jetzt-Zeit tragen unter anderem die puristischen Hosenanzüge, die für fast alle Tänzerinnen den gleichen Schnitt haben. Gegen Ende – das sich mehrfach ankündigt, um dann doch noch einmal zu einer weiteren Tanzsequenz anzusetzen – dominiert mehr nackte Haut. Schwarze bodenlange weit schwingende Röcke erinnern in der Art wie sie in Bewegung gesetzt werden stark an Loïe Fuller. Sasha Waltz bedient sich einer Vielzahl an minimalitisch-ästhetisierenden Effekten wie etwa zarte cremefarbene Papierkleidchen, die sich im Einsatz weißer Wasserschläuche ins Nichts auflösen und die entblößten Körper der Ensemblemitglieder freilegen. Doch dieses Entblößen und verletzlich zeigen bleibt auf einer körperlichen Ebene stehen. Obwohl wir persönlichen und berührenden Biografien der Companytänzerinnen lauschen, vermittelt sich wenig jenseits schön anzuschauender hoch stilisierter Körper und ihren mechanisierten, sterilen Bewegungen. Hier ist nichts hässlich oder brutal – selbst der kurze Kampf mit schmalen, langen transparenten Plexiglasrohren wirkt wie eine weitere harmonische Choreographie. Eine Schönheit, die nicht gebrochen wird, nutzt sich nur leider auch ziemlich schnell ab. Die übermäßige Länge der Performance lässt die vorhergehenden Bilder schwächer werden und an Kontur verlieren, die durch den Schwarz-Weiß-Kontrast und sorgfältig gearbeitete Isolationsbewegungen mit Klarheit und Präzision überzeugen konnten.
In „Activation-Sessions“ finden absurde Siri-Dialoge statt, die auf das Bekunden eines vermeintlichen menschlichen Mangels „my forehead is too flat“ nur mit sinnentleerten Statusmeldungen wie „low battery“ antworten und keineswegs auf das geäußerte Problem eingehen. Fragile, scheinbar fremdgesteuerte Körper ruckeln mit kantigen Bewegungen und angewinkelten Roboterarmen hörbar rhythmisiert atmend über die leere weiße Bühne, bis wenige klinisch weiße Möbel einziehen, die zusätzlich noch in Plastik verpackt werden. In dieser sterilen Dystopie-Welt wird auch Mensch in Plastik eingeschweißt und findet sich auf einer in Plastik umwickelten Matratze wieder. Assoziationen von Filmen, die sich mit der Verwahrung von mental erkrankten Personen beschäftigen, drängen sich auf.
Aufgelöst wird diese bedrückende Stimmung durch beeindruckendes Echt-Zeit-Airbrush-Malen auf der ebenfalls weißen halbrunden Bühnenrückwand. Wie von Zauberhand erscheinen Worte wie „NOW“ oder „ALIVE“, um nach einer Weile wieder zu verschwinden. Minutenlang wird die Stoffbahn mit Wasserschläuchen gewässert, die sich daraufhin flächig, zu den Rändern hin ausfransend, schwarz färbt. Hypnotisch auf die hintere Wand starrend, lässt sich über die Message der Produktion kontemplieren. Verkommen wir zu fremdgesteuerten technoiden Wesen, die versuchen mit Siri ihre Probleme zu lösen und unfähig sind Empathie zu empfinden und sich mit Emotionen auseinander zu setzen?