In 12 Tagen begegneten sich 40 Tänzer*innen und Musiker*innen in 17 Produktionen auf der Bühne und in den Studios des DOCK11 im Rahmen des internationalen Festivals für zeitgenössischen Tanz und Klang SOUNDANCE in Berlin. Die gerade zu Ende gegangene dritte Ausgabe des Festivals schuf Begegnungsräume für analoge und digitale Klangräume, Echtzeitmusik, Tänzer*innen, Performer*innen, Lichtdesign, Projektionen und zahlreiche Geschichten.
Vom 17. – 29. Juni verwandelte sich das gesamte DOCK11 in einen Ort des Austausches zwischen Klangkünstler*innen und Tänzerchoreograph*innen diverser Stilausprägungen. Nicht nur die neun Aufführungsabende boten Gelegenheit sich mit den Überschneidungspunkten von Sound und Bewegung zu beschäftigen. Auch die warmen Sommertage konnten mit dem umfangreichen Rahmenprogramm und zahlreichen Workshops gefüllt werden. In Künstler*innengesprächen, interaktiven Stückbegehungen und verschiedenen Publikumsformaten gab es verschiedene Ansätze, um miteinander und mit Zuschauenden ins Gespräch zu kommen. Das gesamte Festival hatte dieses Jahr außerdem einen Schwerpunkt auf Inklusion gesetzt und bot u.a. einen Inklusionsworkshop mit Joris Camelin in Kooperation mit Bernhard Richarz (Initiative tanzfähig) an.
Die Tänzerin, Videokünstlerin und Choreografin Jenny Haack hat mit SOUNDANCE eine offene Austauschplattform mit flachen Hierarchien geschaffen. Dieses Jahr konnten sich erstmals auch Festivalperformer*innen kuratorisch beteiligen, indem sie weitere Künstler*innen einladen durften, so dass sich das Netzwerk immer weiter verzweigt und einige wundertütenartigen Überraschungen das Programm erfrischten.
Neu war ebenfalls die Offene Plattform, die ich als erste Abendperformance besucht habe und die für die nächste Festivaledition noch weiter ausgebaut werden soll. Vier 30-minütige Stücke wurden aus insgesamt 114 Bewerbungen ausgewählt. „Me, Viola und I“ von der kroatischen Musiker-Choreografin Nastasja Štefanić war eines der vier Stücke des Abends. Ein Duett in einem Solo wie eine Matrjoschka-Puppe. Štefanić behandelt ihre Viola als Musikinstrument und als Tanzpartner gleichermaßen. Ihr Fuß hält den Bogen und streicht über die Saiten. Beine und Oberkörper zu einem nach oben geöffneten Bogen gekrümmt, schaukelt sie auf dem Boden liegend auf dem Bauch und spielt gleichzeitig ihr Instrument. Im Raum sind vier Aufnahmegeräte aufgestellt, die die während der Performance aufgezeichneten Sounds übereinander gelagert wenige Minuten später abspielen. So schichten sich virtuoser Tanz, Echtzeit-Spiel und Live-Recordings zu einem dichten, komplexen Sound- und Tanz-Gewebe mit akrobatischen Floorwork-Teilen bis hin zu einem streng (scheinbar) durchchoreographierten Betätigen der kleinen Recorder.
Das Duett „Dance’nBass“ von der Tänzerin Anna Westberg und der Kontrabassistin Nina de Heney, das ebenso im Rahmen der Offenen Plattform aufgeführt wurde, ist ein einfühlsamer Dialog zwischen drei Körpern; einem Tanzköper, einem Klangkörper und einem verbindenden Körper. Im Tanz ließ sich eine Sammlung von Zitaten und Bruchstücken der Tanzgeschichte erkennen, die an das Lecture-Format von Katja Vaghis „Crashkurs Dance History“ anschloß, die wiederum ebenfalls als Performerin auf dem Festival vertreten war. Nina de Heneys Kontrabass bildet einen stabilen Ankerpunkt in dem Duett, indem er am gleichen Ort auf der Bühne stehen bleibt und ihm mit Fingern und Bogen quietschende Töne entlockt werden, die einen spannenden Gegenpol zu den vorwiegend ästhetisierten Tanzsequenzen bilden.
Auf dem Festival SOUNDANCE treffen sich Tanz- und Musik-, Theorie- und Praxis-Hybride, so dass Schnittpunkte aus den verschiedenen Feldern Zeit und Raum bekommen, ausgiebig angeschaut und ausgebaut zu werden. Das bewusst partizipative kuratorische Konzept von SOUNDANCE ging auf – Die Wundertüte des Festivals hielt beispielsweise Parallelen und ungeplante Zitate innerhalb der vier kurzen Stücke des Abends bereit, über die sich anschließend Performer*innen und Musiker*innen überrascht und begeistert, ob der starken, unbeabsichtigten Synchronisation, austauschten.
Eine lustige Wiederholung über die zwölf Tage waren auch verschiedene Stückanfänge, in denen man immer wieder minutenlange Rückenansichten und ein Verdecken und Verstecken des Duopartners sehen konnte. „Did U Hear“ von Matthias Erian (Komposition, Live-Interpretation) und Howool Baek zeigte eine Körper- und Klanginterpretation des Gedichts „The Rose that Grew from Concrete“, verfasst von 2PAC. Die stroboskophaften Zuckungen in den Körperbewegungen und den Lichteinstellungen spiegeln sich darin ebenso in den elektronischen Sounds. Mit der Zeit nimmt der hoch technisierte Körper der Tänzerin Howool Baek seltsame kopflose Gestalten an und erinnerte mich ein bisschen an Xavier Le Roys „Self Unfinished“.
Die beiden Produktionen „Quatuor for two dancers“ und „Human. Error.“ schlossen das Festival mit ganz unterschiedlichen Impulsen. Rossella Canciello und Mimi Jeong haben als Tänzer*innen schon in jeweils einem Duo mit dem Klangkomponisten Luca Canciello und dem Lichtdesigner Julien Brun zusammengearbeitet und sich für „Quatuor for two dancers“ nun zum ersten Mal zu einem Quartett vereint. Der Sound kommt hier aus den zwei kleinen Boxen, die die Tänzerinnen, auf dem Rücken geschnallt, tragen. Illustrative Handgesten erzählen angeregt eine Geschichte nach der anderen, während sich das auditive Thema in kleinen Variationen stetig wiederholt, auch wenn Klang und Bewegung live im Moment entstehen. Der Tanz erscheint als Dialog, ich hatte den Eindruck, dass die fein artikulierten Finger und Hände sich hier sowohl wirklich gegenseitig als auch den Zuschauer*innen etwas erzählen, auch wenn die Inhalte abstrakt bleiben.
„Human. Error.“ von der Tänzerin Anna Bogdanowicz und der Baritonsaxophonistin Paulina Owczarek wird um ein erfrischendes Element der projizierten Live-Zeichnung durch Lena Czerniawska erweitert und von Aurora Rodriguez ins (wechselnde) Licht gerückt. Anfangs ist der Overhead-Projektor, der inzwischen fast schon aus der Zeit gefallen scheint, die einzige Lichtquelle. Die zweifarbigen Zeichnungen entstehen auf Folien, wie ich sie noch aus meiner Schulzeit kenne, sie werden übereinandergelegt und an die rückseitige Steinwand und auf den Boden geworfen, so dass sie auch auf die Tänzerin projiziert nochmals in Bewegung gesetzt werden. Während der Performance wird die Tänzerin mit Stoffbahnen, Plastikfolie und einer weißen Maske in eine sich bewegende Skulptur geformt – zum Ende hin mit einer Art Recycling-Schleier – so dass „Human. Error.“ als objekthaft skulpturale Sound-Licht-Projektion langsam von einer Form in die nächste fließt. Thematisch wird hier an Nietzsches Frage nach der Natur des Fehlers angeknüpft und die Existenz des Menschen in seiner Seinsweise hinterfragt.
SOUNDANCE ist aus dem Improvisationsfestival XChange hervorgegangen, für das Jenny Haack Performer*innen und Soundkünstler*innen eingeladen hat, gemeinsam auf einer Bühne zu improvisieren. Während bei XChange erste Begegnungen und improvisierte Strukturen im Vordergrund standen, setzt SOUNDANCE auf länger bestehende Musik- und Tanz-Zusammenfindungen und auf ein breites Spektrum von gesetzten Choreographien und offenen Scores. In den am Tage stattfindenden Workshops steht das gemeinsame Improvisieren, Spielen und Ausprobieren noch immer im Fokus und kann hoffentlich nächstes Jahr fortgesetzt werden.