„Speaking Volumes“, Mirjam Sögner © Dieter Hartwig

Schäumendes Erdzeitalter

Mirjam Sögner entführt uns mit „Speaking Volumes“ in eine Welt verschiedener Materialität, in deren subtile Veränderungsprozesse und in eine entschleunigte Zeitlichkeit. Zwischen schwarzer Plane, fußballgroßen Steinen und sehr viel Schaum erkunden die drei Performer*innen Vorstellungswelten von Plattentektonik und artifiziellen Landschaften.

Große Mengen schwarzer LKW-Plane bedecken den schwarzen Tanzboden des in eine Blackbox verwandelten Hochzeitsaals der Sophiensæle. Von der Decke hängen Steine und es flackert eine Art Slowmotion-Stroboskoplicht. Die Plane wirft immer wieder andere Falten auf und erinnert an zerklüftete Strukturen der Erdkruste sich übereinander schiebender Kontinentalplatten. Die Lichteinstellungen wechseln kontinuierlich und entwerfen eine sich transformierende düstere Landschaft, durch die Ana Laura Lozza, Luan de Lima da Silva und die Choreografin Mirjam Sögner zu reduzierten elektronischen dumpfen Bässen wabern und robben. Bedächtig, meditativ, vorsichtig forschend wühlen sich ihre Körper durch die schwarzen Wellenstrukturen, gleichzeitig verändern sie diese durch ihre Bewegungsaktionen. Sie verschwinden – komplett schwarz gekleidet – unter der schwarzen Plastikfolie und bäumen sich zu langsam bewegenden Skulpturen auf, die durch die Plane weder einzelne Bewegungsmuster noch definierte Gliedmaßen erkennen lassen. Die österreichische Choreografin und Performerin Mirjam Sögner lebt und arbeitet in Berlin und Wien, hat an der MUK – Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und der ArtEZ Kunsthochschule in Arnheim studiert, und war bereits 2016 bei den Tanztagen Berlin zu sehen.

Sattes Schwarz in einem fast vollständig abgedunkelten Bühnenraum, als Zuschauerin kann ich die Performer*innen in den Planenmassen mitunter kaum ausmachen. Erst in der zweiten Hälfte des Abends richten sich die Körper langsam auf und die vereinzelten Planenhaufen bewegen sich aufeinander zu und treffen sich zu einem Trio – verborgen unter der massiven Folie. Minutenlang sitzen wir in absoluter Dunkelheit – Black. Begleitet von einem rauschenden Gebläse kriechen Schaumkronen über das schwarze Linoleum, die sich zunehmend zu riesigen Schaumbergen auftürmen. Mit vorn über gebeugtem Oberkörper surfen die Tänzer*innen auf der schaumbedeckten Plane. Sie tragen kleine Schaumberge – aus erstaunlich festem Schaum –  wie fragile, wertvolle Objekte, um sie dann in der Bühnenperipherie jenseits des großen Schaummeeres auf den schwarzen Boden gleiten zu lassen.

Dieser Schaum – wie man ihn vielleicht von seichten Schaumparties kennt – hat hier eine gänzlich andere Rolle. Der Schaum verändert die schwarze Plane, macht sie geschmeidiger, so dass die Bewegungen viel detailreicher und aufgebrochener zu erkennen sind. Es entsteht eine stärkere Tiefendimension sowohl in der Bühnenraumarchitektur als auch in den Bewegungsmustern der Performer*innen. Die eingeschäumten Körper gleiten in kontrollierter Entschleunigung über die zusammen geknüllten Planeninseln. Die Performer*innen versetzen bewusst ein Körperteil nach dem anderen, ohne sich der extrovertierten Ausgelassenheit rutschender Körper hinzugeben. Wie aufstiebende Federn beim heftigen Kissen aufschütteln wirbeln Schaumflocken schließlich doch noch durch die Luft – und erst jetzt bemerke ich den seifigen Geruch auf der Zuschauertribüne.

Ein vergnügtes, rasantes oder exzessives über den Boden Rutschen und Schlittern bleibt aus. Jede Bewegung scheint so konzentriert und nach innen gerichtet, suchend und innehaltend,dass man beim Zuschauen schnell in diese monochrome, ruhige und kontemplative Stimmung fällt und eingeladen wird, Details zu beobachten oder sich einfach nur auf das einzulassen, was stattfindet. Keine laute Musik, keine sich verausgabende Bewegung, keine kreischenden Farben. „Speaking Volumes“ besticht durch durchdachtes Reduzieren und gewinnt durch das, was nicht passiert. Die Produktion erscheint mir als ein Mapping, das Körper inmitten sich stetig transformierender Landschaften verortet, ohne sich im Ephemeren zu verlieren.