“White Dog”, Latifa Laâbissi @ Nadia Lauro

Tanz im August Review: White Dog

In einer WhatsApp-Konversation tauschen sich die tanzschreiber Autor*innen über die symbolischen und politischen Aspekte in „White Dog“ von Latifa Laâbissi aus.

Alex Hennig: Wie hat Laâbissi die Idee der Flucht oder des Weglaufens zu einem politischen Werkzeug verarbeitet?  

David Pallant: Die vier Performer*innen haben sich wiederholende Kreisläufe geschaffen, die aus einer gemeinschaftlich ausgeführten Bewegung entstanden, so als wollten sie zusammen Rituale und Traditionen aufbauen. Wenn also eine*r oder mehrere von ihnen die Gruppe verließen, interpretierte ich das als ihre individuelle Entscheidung, sich von der Gesellschaft zu entfernen oder althergebrachte Weisheiten in Frage zu stellen. Gleichzeitig glich das Bühnenbild jedoch einer in Neonlicht getauchten Waldlichtung, so dass die physischen Grenzen des Stücks stark reduziert blieben und niemand sich sehr weit oder für längere Zeit entfernen konnte. Ich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, ob diese Begrenzungen intendiert waren oder ob Laâbissi den Ausbruch als eine machbare Lösung darstellen wollte…

Vor was oder wem waren die Darstellenden deiner Meinung nach auf der Flucht?

Das ist schwer zu sagen! Obwohl die Symbolik des Stücks direkt sichtbar war, fiel es mir zum Teil schwer, es zu verstehen. Die Ausbrüche aus der Gruppe könnte man als Gegenreaktion zum Denken der Masse und den Konventionen des Mainstreams interpretieren. Die körperliche Dimension dieser ‚Ausbruchs-Solos’ hatte außerdem etwas sehr Gequältes, so dass ich mich fragte, ob sie auf die scherzhafte Freiheit, die mit gesellschaftlicher Ausgrenzung einhergeht, anspielen sollte.

Gab es in dem Stück auch Symbolik, die du gut ‚lesen’ konntest?

Das Stück begann damit, dass die Performer*inne im Schneidersitz im Kreis saßen und einen großen Haufen neonfarbener Seile zusammenknoteten. Ich musste sofort an Stammesgesellschaften denken – oder an unsere Vorfahren, die ums Feuer saßen und sich Geschichten erzählten oder Mythen webten. Dann wurde aber deutlich, dass sie die Seile zu komplexen Formen banden, die man sich dann um den Hals legen, um den Kopf binden oder rhythmisch schwingen konnte. Nach und nach wurden die Seile so mit Bedeutung aufgeladen, bis sie zu dem kulturellen oder sogar spirituellen Rahmen des Stücks wurden.

Welche Fragen hat das Stück für die aufgeworfen?

Ich habe mich gefragt, welche choreografischen Intentionen dahintersteckten. Wurden Klischees im Zusammenhang mit Ritualen bestätigt oder eher unterminiert? Wie kann ich das Stück, abgesehen von seiner zeitgenössischen Ästhetik und Musik, mit der Gegenwart in Verbindung setzen? Und schließlich frage ich mich, ob ich Fragen stelle, auf die Laâbissi gehofft hat. Oder habe ich es einfach nicht ‚verstanden’? Es würde mich interessieren, wie du das siehst (und ob du Antworten auf meine Fragen hast!), wenn du das Stück am Samstag siehst 🙂 

Deutsche Übersetzung von Mieke Woelky


Eine Kooperation zwischen dem Tanzbüro Berlin und Tanz im August 2019
Unsere tanzschreiber-Autor*innen Alexandra Hennig, Beatrix Joyce and David Pallant wurden eingeladen, Kurz-Reviews zu ausgewählten Produktionen im Rahmen von Tanz im August zu schreiben. Alle Texte werden auf www.tanzschreiber.de und www.tanzimaugust.de/magazin veröffentlicht.