U-förmig an Tischen platziert, wird das Publikum von „Market of Love“ erst einmal zum Speed-Dating aufgefordert, obwohl es dafür nicht gekommen ist
Sukzessive wird die Situation von neuen Anweisungen oder kleinen performten Szenen durchbrochen. Allesamt greifen sie Zitate aus klassischen Liebesfilmen auf, betten diese jedoch kaum atmosphärisch ein. Wurden wir mit dem Dating-Auftrag überrumpelt, nur um eine Zitatensammlung verstaubter Liebesideale präsentiert zu bekommen? Meine Erwartungen an die Tanz-Performance-Macherin Dragana Bulut wurden jedenfalls komplett unterlaufen. Eigentlich mit einer Kritik beauftragt, suchte ich spontan das Gespräch mit ihr. Sie willigte, direkt am Morgen nach der Berlin-Premiere, ein. Dieses Interviewdokument folgt der – beiderseits – spontanen Argumentationsfolge in von mir übersetzter und leicht zusammengefasster Form. Bemerkenswert ist, dass Dragana bei meiner durchgehend kritisch-abweisenden Haltung, für die ich mich inzwischen ein bisschen schäme, durchweg die Contenance bewahrte.
Danke für Deine Bereitschaft zum Gespräch, Dragana. Der Grund, warum wir es führen, ist, dass ich Deine Berliner Premiere von „Market of Love“ absolut nicht gelungen finde und mich frage, wie Du das siehst. Fühlst Du Dich wohl mit dem Stück?
“Wir spielten das Stück gestern zum ersten Mal in Berlin. Die Performance ist zum Teil fest geschrieben, zum Teil hat sie eine flexible Struktur, die durch die Interaktion des Publikums entsteht. Es ist für meine Arbeit bedeutend, dass das Publikum nicht nur Beobachter und das Theater nicht nur ein Platz für Repräsentatives ist, sondern auch ein Ort, an dem sich soziale Phänomene entfalten können. Das Berliner Publikum hat sich sehr gut auf das Spiel eingelassen, es akzeptierte seine Rolle als Miterzeugende einer Erfahrung. In dieser Beziehung kann ich sagen, dass ich mich wohl fühlte.”
Wie aus Deiner Antwort hervorgeht, ist „Market of Love“ ein partizipatives Stück. Warum wurde das in der Programmankündigung nicht so formuliert? Und warum kündigst Du nicht an, dass Du die Strategie des Speed-Datings als – großzügig formuliert – choreografisches Mittel benutzt?
“Ja, Speed-Dating ist sicherlich ein choreografisches Mittel, zumindest aus der Perspektive der sozialen Choreografie heraus betrachtet. Wir haben ziemlich lange darüber nachgedacht, wie wir das Stück ankündigen. Die Premiere fand im Schloss Solitude statt, einem Stipendiaten-Ort oberhalb von Stuttgart, das heißt in ziemlicher Distanz zu Alltag und Stadt. Wir wollten aber für die Performance nicht unter uns bleiben sondern auch Leute ansprechen, die von außerhalb kommen, und zwar nicht nur Leute, die sowieso zu Speed-Datings gehen, sondern vor allem auch Leute, die vielleicht nicht kommen würden, wenn wir dieses Label darauf kleben.”
Ein Trick.
“Ich würde es nicht einen Trick nennen. Wir interessieren uns für das Spiel zwischen Fiktion und Realität, um damit bestimmte Phänomene zu problematisieren, über die man sonst vielleicht nicht nachdenkt, weil man sie nicht erfährt.”
Für mich ist Speed-Dating ein Phänomen, das uns beschäftigte, als es vor einigen Jahren aufkam. Inzwischen haben massenweise Journalist*innen Selbstexperimente in dieser Beziehung gemacht, Freund*innen haben es aus Neugier ausprobiert. Wenn man das System, das als Erfindung sicher interessant ist, einmal verstanden hat, ist es relativ banal. Was interessiert Dich daran fürs Theater?
“Mein Stück hinterfragt unseren Liebesbegriff sowie die Prozesse, durch die dieser geprägt wurde. Das tun wir aus zwei Perspektiven: erstens jener der Massenmedien und zweitens jener der sogenannten hyperrealen Welt sozialer Netzwerke. Gefühle werden in beiderlei Hinsicht zur Ware gemacht. Das Speed-Dating verstärkt diesen Aspekt durch seine Geschwindigkeit und seinen Fokus. Die Teilnehmer*innen werden zu Konsumenten, Wählern, Entscheidern. Wir beziehen uns damit beispielsweise auf Alain Badiou und sein Buch „Lob der Liebe“, in dem er unter anderem beschreibt, wie die Methoden des Marktes unsere intimsten und authentischsten Gefühle penetrieren. Die Art, wie wir wahrnehmen, ist viel konstruierter als wir annehmen. Und im Speed-Dating kommt noch hinzu, dass das Gegenüber eine Art Verstärkerfunktion einnimmt im Bezug auf das, was wir zu suchen glauben.”
Das Publikum wird nicht nur zum Speed-Dating sondern auch zum Speed-Dancing aufgefordert. Ich finde transgressive Aufforderungen manchmal gut, weil sie einen auf eine Art herausfordern, auf die man sich selbst vielleicht nicht konfrontieren würde und somit neue Selbsterfahrungen generieren. Paartänze gehören für mich nicht zu dieser Art Herausforderungen. Ich mag sie in bestimmten Situationen oder eben nicht. Ich habe nichts Neues über mich gelernt.
“Die Performance ist in zwei Teile gegliedert. Das Speed-Dating geht über in eine Fiktion, die das Material abstrahiert. Alle Zitate, die wir für diese Transformation benutzen, stammen aus Hollywood-Filmen. Das Speed-Dancing steht für „Dirty Dancing“, einem der Klassiker unserer Kindheit, der unser Bild von glücklichen Beziehungen prägt.”
Ich kann mich erinnern, dass Eure Kostüme auf diesen Bezug hindeuteten, aber das hat für mich noch keine Atmosphäre ergeben, in der sich irgendetwas fiktionalisiert hätte. Wenn man plötzlich mit jemandem tanzen muss, ist man erst einmal sehr mit sich selbst beschäftigt. Und da Ihr ständig von Filmzitat zu Filmzitat gesprungen seid, war es mir nicht deutlich, dass wir uns mit irgendeiner spezifischen Szene identifizieren sollten.
“Die Tanznummer von [den Mitperformer*innen] Chris Scherer und Zeina Hanna, die dem gemeinsamen Tanzen vorausging, war ebenfalls ein Quote aus Dirty Dancing. Und die Situation selbst natürlich auch. Generell war es unsere Strategie, durch das Bombardement mit Zitaten eine Überzeichnung einer bestimmten Gefühlsrealität zu herzustellen.”
Du hast Zitate aus Filmen von den 1930ern bis heute benutzt. Alle stehen sie für eine romantische, possessive und selbstverständlich heteronormative Auffassung von Liebe. Warum wählt Ihr diese Erzählweise, von der wir uns gerade in der Performanceszene ja schon weit entfernt haben?
“Wir wollten ein dominantes Paradigma verwenden. Wir benutzen Filme, die für die Haltung der Massenmedien stehen.”
Mit Massenmedien meinst Du Hollywood-Kino?
“Ja. Das ist für mich der Ort, an dem der Begriff der Liebe entpolitisiert wurde, an dem unsere emotionale Kartografie produziert wurde – also das heißt, die Oberfläche, auf der wir uns bewegen.”
Was wäre die politisierte Form der Liebe?
“Das wäre eine Spiegelung der sehr heterogenen Praktiken von Liebe, von solchen, die jenen Filmbildern nahestehen, zu solchen, die ihnen am entferntesten sind. Wenn wir die Strategien des Hollywoodfilms in „Market of Love“ überzeichnen, dann genau um diese Frage zu stellen: Was wäre, ästhetisch gesehen, eine politisierte Form von Liebe?”
Ich würde gerne zurück auf die Atmosphäre kommen und nun, nachdem wir über die strategischen Mittel der partizipatorischen Performance gesprochen haben, auch über die Qualität der nicht-partizipatorischen Performance sprechen. Chris Scherer und Du, Ihr singt beispielsweise, und Chris tanzt Salsa, allerdings habe ich ihn schon besser tanzen sehen, und was Gesang angeht, hört sich das bei Euch beiden nicht sonderlich gut an.
“Es geht uns bei der Performance nicht um das ästhetische Objekt. Ich frage mich weniger, ob die Darbietung gut oder schlecht ist als welche Situation ich damit herstellen will, welche Erfahrung. Virtuosität ist in dieser Beziehung sekundär. Mehr noch, sie könnte sogar störend sein, weil das Publikum auf diese Art eine größere Hürde zu überwinden hätte, wenn es später selbst tanzen soll.”
Das ist nachvollziehbar, aber ich empfinde Eure Haltung als zu unklar. Es wird nicht klar, wie Euer Verhältnis zum Material ist, ob Ihr es ernst nehmt oder Euch darüber lustig macht und warum. Ich dachte, Ihr seid einfach von Speed-Dating fasziniert und garniert das ein bisschen.
“Wie gesagt, spielen wir dominante Muster aus, um sie damit zu kritisieren. Nach Deiner Kritik frage ich mich, ob die Tatsache, dass das Publikum zur Selbsterfahrung aufgefordert wird, die Wahrnehmung in gewissem Sinn beeinträchtigt. Vielleicht lässt das eigene Involviertsein die Distanz zum Thema schrumpfen. Das wäre für mich ein Punkt aus unserem Gespräch, über den es sich lohnt nachzudenken.”