„Silent Confrontation“, laborgras © Phil Dera

Spaziergang durch Wolken

Ein perfektes Feiertagsstück: Die Renaissanceeinfühlung “Silent Confrontation” von laborgras im Radialsystem V.

Eine ideale Landschaft aus perlend leuchtenden Farben, die filigranen Blätter der Bäume, das Schloss, die Reiter und die Figurengruppe überzogen von goldenem Licht. Eine Verkündigungsszene mit Engel und Maria, anmutsvoll konzentriert die Körperhaltungen, Maria mit ehrfürchtig-bescheiden gekreuzten Armen. Oder eine Himmelsszene mit augenrollendem Gott und einer von Eros in die Brustnippel gezwickten, sehr jugendlichen Venus, dazu eine nicht zu wonneproppige Putte, in sinnlicher Hingabe Rosenblüten schwenkend. Keine Frage: Wir befinden uns im Bilderkanon der Renaissance, mit aller Anmut, Harmonie und Geschmeidigkeit der Gesten und Körperhaltungen.

In diese Welt vollendeter Posen und Formen, projiziert an die Bühnenhinterwand und in verschiedenen Details herangezoomt, taucht das fünfköpfige Tänzer*innen-Ensemble von laborgras in “Silent Confrontation” ein. Schon das auf eine dynamische Mitte hin ausgerichtete Tableau Vivant, das die in feiertäglicher Erwartungshaltung einströmenden Zuschauer*innen auf der Bühne des Radialsystem erwartet, verspricht den Duktus von maßvoller Komposition zu halten. Und so ist es auch. Die stille Konfrontation, die der Titel des Stücks ankündigt, wird so still sein, dass das Konfrontative seine Konturen verliert, dass sich Figuren gegenseitig stabilisieren statt sich gegeneinander zu behaupten. Als Prinzip sichtbar wird das im Duett von Renate Graziadei und Cesare Benedetti, wenn sie sich gegenseitig in ihre Gesten einschmiegen und Gewichtungen der Körper in nicht-symmetrischen Haltefiguren austarieren, als wären Gewicht und Form die passenden Gegenstücke in einem Puzzle.

Die Renaissancezeit hat mit ihrer Vermessung des Menschen bis in die Gegenwart hinein einen enormen Einfluss auf Empfindung und Wahrnehmung geltend gemacht. Gerade darum ist sie in einem diskursiven Kontext, in dem Diversität hochgehalten, Idealbilder und daraus entstandene (Schönheits-)Normen ablehnt werden, verdächtigt. Der affirmative Zugang von laborgras – MariaGiulia Serantoni, Lena Meierkord, Rosalind Masson und Cesare Benededetti unter choreografischer Leitung von Renate Graziadei – überrascht daher erst einmal, lässt sich aber bald schon ausdifferenzieren. Denn der Harmoniebegriff der Tänzer*innen ist anders gelagert als derjenige der Renaissancemaler. Nicht die perfekte äußere Schönheit des Körpers als Erscheinung und das Spiel mit sinnlichen Anziehungen ist ihr Thema, sondern die Reize, die in der Kanonisierung von Bewegungen liegen: in der Auswahl und Kombination von tänzerischen Einheiten und Gesten, ihrer Akzentuierung, Dynamisierung und Setzung. Diese Richtung wird durch das einheitliche, nicht in den Vordergrund tretende Erscheinungsbild der Kostüme – erst eine locker-luftige Leinen-Variation, dann schlichte Anzüge in Orange- bis Pupurtönen – noch unterstrichen.

Begleitet werden die gestenreichen, in verschiedenen Gruppierungen ineinandergreifenden Tänze von vier Musikern. Auf Cello, Cembalo oder per Elektronik greifen sie Stücke und Motive von Renaissance-Komponisten wie Carlos Gesualdo (dessen Biografie für die absolute Nicht-Harmonie von Kunst und Leben steht), Giovanni Pierluigi da Palestrina oder Willem Byrd auf und lassen sie mal mehr, mal weniger in Klangspiele gleiten. Teils klingt das dem postmodernen Sequenzieren von Graziadei verwandte Spiel mit Strukturen und Klängen ein wenig illustrativ, gelegentlich sogar schal wie oberflächliche Meditationsmusik. Die introvertierte, empfangend-selbstentfremdete Stimmung, die von den Tänzer*innen in ihren oft perfekt geführten Stop- and Go-Phrasen entfaltet wird, wirkt jedoch als starkes Bindemittel für die Atmosphäre, so dass sich das Zusammenspiel nie verliert. In den schönsten Szenen tragen sich Bild, Musik und Bewegung gegenseitig – etwa in dem Cello-Solo von Renate Graziadei in seiner sirupartigen Gebundenheit und den in den äußerlichen Stills vorausgegriffenen Bewegungen – oder im Gruppenstück vor dem Hintergrund von Angelo Bronzinos “Allegorie der Liebe”, in dem das Cembalo MarieGiulia Serantoni über ihre Mittänzer*innen trägt wie bei einem Spaziergang durch Wolken.

Ganz erklären lässt sich diese Geschlossenheit der Atmosphäre nicht. Längst nicht alle der Ideen, die sich hinter “Silent Confrontation” vermuten lassen, sind fassbar. Manches entzieht sich beim Darübernachdenken. Die Verbindung zwischen den Werken der Maler und Komponisten, die verschiedenen Renaissanceströmungen angehören, liegt zum Beispiel nicht auf der Hand. Wichtiger aber ist: Die Harmonisierung wirkt. Etwas unaufdringlich Heilsames geht von diesem Bilderfühlen aus.

Wieder am 31.12.2016, 21:00 Uhr (mit anschließender Sylvesterfeier) und am 01.01.2017, 18:00 Uhr im Radialsystem V.