Frames of Reference, site-specific interactive installation by Dirk Sorge ©Jovana Komnenic

Sie sind nicht eingeladen

Kate Brehme* von Berlinklusion reflektiert über You Are Not Invited, eine Protestaktion der Gruppe im Haus der Statistik im Jahr 2019. Mit dieser „Nicht-Ausstellung“ – eine Ausstellung, zu der niemand eingeladen wurde – untersuchte Berlinklusion das Verhältnis zwischen Gentrifizierung, der temporären Nutzung von Räumen, die nicht vornehmlich Kunsträume sind, für kulturelle Zwecke und den neoliberalen Strukturen, die unzugängliche Arbeitsbedingungen für Kunstschaffende in Berlin aufrechterhalten.

Im Laufe der Jahre hat Berlinklusion – ein in Berlin ansässiges Netzwerk von Menschen mit und ohne Behinderungen, das sich für mehr Barrierefreiheit in Kunst und Kultur einsetzt – keinen eigenen physischen Raum zum Arbeiten gehabt. Meine Kolleg*innen Jovana Komnenic, Dirk Sorge, Kirstin Broussard und ich haben immer zu Hause, in Cafés und mit Partnerorganisationen an unserem gemeinsamen Ziel gearbeitet, und zwar integrative und barrierefreie künstlerische Veranstaltungen und Projekte in Berlin anzubieten. Wir waren in dieser Situation, weil wir wie viele andere gemeinnützige Kunstinitiativen darum gekämpft haben, in der Stadt finanziell tragbare Arbeitsräume zu finden. Ein zusätzliches Problem ist, dass die wenigen zur Verfügung stehenden und erschwinglichen Räume – sei es für Ausstellungen, kulturelle Veranstaltungen, Workshops oder um Kunstorganisationen zum Thema Zugänglichkeit zu coachen – oft nicht barrierefrei sind. Deswegen können Kunstschaffende und Menschen aus dem Publikum mit Behinderungen oft überhaupt nicht an Kunst- und Kulturangeboten teilnehmen. Angesichts der Tatsachen, dass Menschen mit Behinderungen die größte Minderheit der Welt bilden, dass die meisten Menschen irgendwann in ihrem Leben mit einer Behinderung leben werden, und dass die globale Gesamtzahl der Menschen, die in Städten wohnen, ebenfalls zunehmen wird, ist dies ein Thema, das uns alle betrifft.

Als letztes Jahr das ehemalige Haus der Statistik in Berlin Mitte im Rahmen der städtischen Initiative Pioniernutzung als bezahlbarer Raum für Kulturschaffende angeboten wurde, haben wir dies aus den eben genannten Gründen sofort als Chance begrüßt, zu erproben, wie es wäre, ein wirkliches Zuhause für unsere Aktivitäten zu haben und wie es wäre, das Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen, das wir seit unserer Gründung aufgebaut haben, körperlich in Erscheinung treten zu lassen. Unser ursprüngliches Vorhaben war ein kuratiertes Programm von Pop-up-Ausstellungen und Filmvorführungen mit Künstler*innen mit Behinderungen in Form einer Reihe von Mini-Residenzen. Der Raum war für uns besonders attraktiv, weil er sich im Gegensatz zu vielen anderen Kunst- und Kulturräumen in Berlin im Erdgeschoss befand, über eine Rampe am Haupteingang und eine barrierefreie Toilette verfügte, auch wegen seiner zentralen Lage, und weil er mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht zu erreichen war. Mit anderen Worten, er war relativ barrierefrei. 

Leider haben unsere tatsächlichen Erfahrungen vor Ort gezeigt, dass dieser Raum bei weitem nicht barrierefrei ist, sowohl hinsichtlich des Gebäudes an sich als auch der Art und Weise, wie es verwaltet wurde. Generell war das Hygienelevel der Toiletten nicht akzeptabel; die einzige barrierefreie Toilette wurde als Lagerraum genutzt. Die Flure, die vom Haupteingang zu unserem Raum führten, waren teilweise blockiert. Noch schlimmer war jedoch das Gefühl der Ausgrenzung aus der sogenannten „Community“, die die Initiative Pioniernutzung ins Leben rufen wollte. Die Kommunikation mit den Organisator*innen der Werkstatt ließ viel zu wünschen übrig. Zu den Community Meetings, wo wir unsere Nachbar*innen und ihre geplanten Projekte kennenlernen sollten, wurden wir entweder nur kurzfristig oder gar nicht eingeladen. Daher war uns eine uneingeschränkte Teilnahme nicht möglich und wir konnten unsere Bedenken zu den unterschiedlichen Barrieren dort nicht thematisieren. 

Wir überlegten, wie wir mit unserer ursprünglichen Idee, Mini-Residenzen mit Künstler*innen mit Behinderungen zu kuratieren, weiter vorgehen sollten. Dabei begannen wir tiefer darüber nachzudenken, inwiefern die unzureichende Barrierefreiheit der Initiative Pioniernutzung ein Symptom größerer Probleme war: Wen und welche Körper stellt man sich in solchen sogenannten partizipativen Stadtentwicklungsprojekten als städtische „Pioniere“ vor?1 Sicherlich nicht Menschen mit Behinderungen. Dazu kommt noch, dass bestimmte Kreise es möglicherweise für durchaus akzeptabel halten, dass Kulturschaffende viele unbezahlte Arbeitsstunden aufbringen, um einen heruntergekommenen Raum ohne funktionierende Heizung und ohne ordnungsgemäß funktionierende Toiletten zu renovieren (und das auch noch aus eigener Tasche zu finanzieren), um eine reduzierte Miete für die Nutzung eines solchen Raumes zahlen zu dürfen – aber viele Kulturschaffende mit Behinderungen haben dieses Privileg einfach nicht. Unsere Frage lautete daher: Warum können diese staatlich subventionierten Räume für die kulturelle Arbeit nicht so geplant und verwaltet werden, dass sie tatsächlich von allen genutzt werden können?

Untitled by Kirstin Broussard ©Jürgen Scheer

Ursprünglich hatten wir vor, Künstler*innen mit Behinderungen dazu einzuladen, künstlerisch auf diesen spezifischen städtischen Raum zu reagieren. Aber schlussendlich entschieden wir uns, überhaupt niemanden einzuladen, weil wir diese von Barrieren geprägten Arbeitsbedingungen, mit denen wir selbst konfrontiert worden waren, nicht weiterleiten und reproduzieren wollten. Stattdessen kreierten wir in diesem Raum eine Art Protestausstellung – eine „Nicht-Ausstellung“ – zu der niemand jemals eingeladen werden würde. Da wir die Miete bereits bezahlt hatten, beschlossen wir, unsere eigenen Kunstwerke zu installieren, die Ausstellung zu dokumentieren, alles wieder abzubauen und dann die Ausstellung von einem materiellen in einen virtuellen Online-Raum zu verlagern, wo sie zumindest für unser Publikum zugänglicher war, als sie es im Haus der Statistik gewesen wäre. Es war uns wichtig, diesen Raum zu unseren eigenen Bedingungen zu nutzen. Wir haben unsere Anstrengungen reduziert und dem Druck, einen öffentlichen Akt künstlerischer Arbeit zu performen, der letztlich nur dem Image der Initiative Pioniernutzung gedient hätte, nicht nachgegeben. Wir haben die Möglichkeiten, die uns dieser physische Raum bot, wahrgenommen und ihn dabei zeitlich und räumlich nur soweit genutzt, als es unseren eigenen individuellen Körpern genehm war, um miteinander zu kooperieren und eine experimentelle Ausstellung zu unseren eigenen Bedingungen zu kreieren. Gemeinsam erarbeiteten wir für diese Ausstellung ein weitreichendes kuratorisches Konzept über Vernetzung und Korrelationen. Meine Kolleg*innen wählten für die Ausstellung bereits existierende Kunstwerke von sich aus – manche waren neuere Werke, andere waren älter – die für sie mit dem Raum, dem Paradigma der Unzugänglichkeit, mit dem wir konfrontiert waren, und den größeren Themen der Ausstellung verbunden waren. 

Dirks ortsspezifische interaktive Installation Frames of Reference, bestehend aus 36 gedruckten Wörtern umrahmt von kleinen Bilderrahmen aus Holz, wurde entlang der freiliegenden Holzstreben einer unverputzten Spanplattenwand installiert. Durch Umstellen der Bilderrahmen konnten verschiedene Sätze gebildet werden. Es waren Wörter aus sechs verschiedenen Kategorien: Verben, Begriffe für Zeit, Begriffe für Verortung, Quantifikatoren für Subjekte, Quantifikatoren für Objekte und Konjunktionen. Zum Beispiel: „If some always have everything here.“

Die fünf Fotocollagen aus Kirstins Serie If One Were Two (2018 / 2019, fortlaufend) zeigen komplexe Landschaften, die ein feiner Goldmetallfaden horizontal in zwei Hälften teilt. Dieser Faden, der sie metaphorisch und tatsächlich verbindet und der sowohl Raum als auch Zeit zu verdichten vermag, ist der einzige Hinweis darauf, was oben von unten trennt oder Realität von Spiegelung. 

Jovana zeigte zwei Arbeiten: Water Land Heavenly Bodies und Contratto d’alloggio / Contract of Accommodation. Die minimalistischen Zeichnungen und Malereien der Serie Water Land Heavenly Bodies (Acryl auf Leinwand und Papier, 2018) zeigen eine Vielzahl von Objekten und Perspektiven – Grundelemente von Landschaftsbildern wie Land, Wasser, Sonne und den Raum selbst, die sich zu einem neuen Ganzen verweben und sich potenziell weiter verflechten, verändern und erweitern können. Die zweite Arbeit war ein Ausschnitt aus Jovanas Installation Contratto d’alloggio / Contract of Accommodation (2004), bestehend aus einem verrostetem Eisenrahmen, Glas, Druck auf Papier und PVC, einem Elektromotor, Staub und Schmutz – ein Verweis auf ein neurologisches System, in dem alle Zellen miteinander verbunden sind.

You Are Not Invited, exhibition view from outside ©Jürgen Scheer

Unsere kleine performative Aktion war vielleicht nicht das, was man von uns erwartete, als wir in den winzigen Raum zogen, der uns im Haus der Statistik angeboten worden war – und sie war sicherlich nicht das, was wir ursprünglich geplant hatten. Dennoch hoffen wir, dass sie in gewisser Weise auf den oft ausgrenzenden Charakter solcher kultureller Stadtentwicklungsinitiativen aufmerksam machen wird und die Organisator*innen solcher Projekte dazu ermutigt, von Anfang an Menschen mit Behinderungen mitzudenken, damit solche temporären, bezahlbaren Räume tatsächlich von allen genutzt werden können. 


Deutsche Übersetzung von Nine Yamamoto-Masson 

* Kate Brehme ist Kuratorin und Kunstvermittlerin mit einer Behinderung. Zusammen mit ihren behinderten und nichtbehinderten Kollegen Dirk Sorge, Jovana Komnenic und Kirstin Broussard leitet sie Berlinklusion, das Berliner Netzwerk für Zugänglichkeit in Kunst und Kultur. Mit jeweils mehr als fünfzehn Jahren Erfahrung als Künstler, Kunstvermittler und Kuratoren, die an der Schnittstelle von zeitgenössischer Kunst, Zugang und Inklusion arbeiten, ist Berlinklusion bestrebt, die Berliner Kunstszene durch kreative Projekte und Beratungstätigkeit sowohl für Künstler als auch für das Kunstpublikum zugänglicher zu machen. www.berlinklusion.de   

  1. „Sogenannt“, weil es aus den Dokumentation zum partizipatorischen Prozess, durch den die Initiative Pioniernutzung für das Haus der Statistik konzipiert wurde, ersichtlich ist, dass in diesen Prozess keine Gruppen oder Communities einbezogen wurden, die sich mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen auskennen, besonders von Kulturschaffenden mit Behinderungen.
    https://hausderstatistik.org/pioniernutzungen/