„Bastards“, Martin Hansen © Marc Seestaedt

Sei standhaft, duldsam und verschwiegen

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Martin Hansens Premiere „Bastards“ in den Sophiensaelen: ein Anti-Puzzle

Drei Stativlampen, drei Performer*innen-Klone – weißes T-Shirt, lila Hose –, ein im Zentrum des weiß ausgelegten Raums strahlendes Lichtdreieck aus Neonröhren. Dieses Set von Martin Hansens neuer Arbeit “Bastards” für die Sophiensaele könnte auf eine weitere der derzeit beliebten Ritual-Performances deuten. Vielleicht entpuppen sich die Dreier-Einheiten als abstrakte Versionen der drei Knaben aus Mozarts Zauberflöte. “Sei standhaft, duldsam und verschwiegen” würde als Subtext des Prologs gut passen: Ania Nowak lehnt sich in Valeska Gerts “Pausen”-Pose (Spielbein über das Standbein gekreuzt, O-förmige Arme mit nach außen gewendeten Handflächen) an die Hinterwand, Martin Hansen und Cécile Bally schauen zu. Eine Ewigkeit – oder genauso lang, wie es Gert im Original getan hat? Diese Pose nahm die Bühnen-Ikone einst in den Pausen der Kinovorführungen während des Wechselns der Filmrollen ein. Ein Entschleunigungsgestus. Schon damals galt: Alles wird schneller.

Doch der erste Eindruck trügt, nicht nur, weil Valeska Gert wohl eher zufälliger Gast und Geist des Abends war, sondern mehr noch, weil sich dieses Stück so radikal in sich selbst verliert, dass es – ließe es sich überhaupt in eine Kategorie stecken – ein Anti-Ritualstück zu nennen wäre. Keinerlei Magie, keinerlei Kraftzentrum entsteht aus der raumbestimmenden Lichtskulptur. Die Negierung ihrer Suggestivfunktion ist stark, sie wirft im weiteren Verlauf grundsätzliche Fragen auf: Wie stellt man eine (Kunst-)Welt dar, die ihre eigene Bedeutungslosigkeit nur dadurch erträgt, dass sie sich in einen gigantomanischen Zeichenzoo verwandelt? In der Überdeterminiertheit die einzig wirksame Droge gegen Unterdeterminiertheit ist. In der (Tanz-)Historie auch nur eine Spielart des Interpretationswahns der Gegenwart ist? In der eine Entschleunigungspose genauso unsinnig-sinnig ist wie eine Beschleunigungspose, weil eigentlich egal – oder zumindest unabwendbar – ist, was ist?

In seinen “Passwörtern” beschreibt Jean Baudrillard unter dem Kapitel “randomness” (das Buch liegt mir leider nur auf Englisch vor), wie durch das Ende der Subjekt-Objekt-Dialektik sowie durch die Unterordnung des menschlichen Denkens unter einen nicht steuerbaren molekularen Mikrokosmos keine Wahrheiten mehr hergestellt werden können. Was, wenn der Wahrheits- und Echtheitseffekt (“truth”-/“reality-effect”), so seine poetische Hypothese, nur in einem winzigen Universumsmoment geboren seien und sich nun bereits im Aussterben befänden? Für Hansen ist Realität (vielleicht in diesem Sinn) eine Aneinanderreihung von Fakten und Formeln, eine Kombinatorik und Rekombinatorik von Dingen und Zeichen. Auf den Message-T-Shirts der Performer steht “THIS” und “IS” und “TIMELESS”, kombiniert also “This Is Timeless” oder “Is This Timeless (?)”. Bei anderer Zusammenstellung könnte aber auch eine zeitlose Terrororganisation herauskommen.

Ähnlich zusammengewürfelt sind die sprachlichen und tänzerischen Gesten. Einmal zu viel gewürfelt wirkt die Einbeziehung einer Filmszene (aus dem Virtual-Reality-Film “Level Five” von Chris Marker), die sich szenisch kaum erschließt, ansonsten aber verdichtet sich das Spiel. Im ersten Teil werden Details von Bild-, Performance- und Eventbeschreibungen hektisch aneinandergesetzt: Schwarze Quadrate, ein weißes Quadrat, Drinks im selben Blau wie die Vorhänge, die Ankündigung eines telepathisch rezipierbaren Kunstwerks etc. Eine Deutungspanik macht sich breit. Erlösung gibt es nicht. Im zweiten Teil sind dann gut gesetzte und in materialhaft-reibender Textur akzentuierte, repetitive Bewegungen, die auch Zitatfetzen sein könnten, die Bestandteile des Antipuzzles. Hier entsteht zum ersten Mal ein kompositorischer Sog für das Auge. Aber auch dieser Sog, der wie alle visuellen Erfahrungen auf Verdichtung aus ist, wird negiert. Um ihn im Nebel zu ersäufen, ist die Kapazität der Nebelmaschine vielleicht nicht ausreichend. Wirksamer ist dagegen, einfach den Stecker zu ziehen: elektronisch und energetisch. Der schwelende, chorale Sound bricht abrupt ab, die Bewegungssequenzen verschwinden im schwarzen Loch. Ein Void als Schlussakkord, der überzeugt, und auch das mit sich reißt, was den unsinnig-sinnigen Leerstellen dieser Performance im dramaturgischen Aufbau nicht die Stirn bieten konnte.