„Dandelions“, Vincent Bozek © Santtu Laine

Wohlfühlambiente für Kollapsbewusste

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Mit „Dandelions: Catharsis“ gestaltet Vincent Bozek in den Uferstudios eine Softversion des Klimawandels

Reinigend verspricht die Performance “Dandelions: Catharsis” zu werden: “Unsere” Gefühle angesichts der drohenden ökologischen Katastrophen sind die Grundlage der kollapsbewussten Choreografie, die eine neue Aufmerksamkeit und Wertschätzung für unseren blauen Planeten wecken möchte. Flankiert von zwei Talks im September und November siedeln Vincent Bozek und Simo Vassinen ihr dreiflügeliges künstlerisches Projekt zwischen Tanz und Gesellschaftsforschung an. Die choreografische Mitteltafel präsentierten sie in den Weddinger Uferstudios – und enttäuschen die geweckten Erwartungen.

Kontaktlos auf je eigenen Bahnen bewegen sich Orlando Rodríguez und Kasia Wolińska unter einer einzelnen Glühbirne zwischen den gefliesten Wänden im Studio 1. Symbolträchtig mutet die Konstellation aus Körpern, Material und Umwelt an: Zwei planetare Organismen im Präparationssaal, das Licht verlöschend, Endzeitstimmung – bizarr wie die von Lautréamont inszenierte Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf dem Seziertisch. Vielleicht liest man in die vereinzelten Zeichen einen Zusammenhang hinein, der ihnen gar nicht beigegeben wurde: In die eisschollenblaue Kleidung, bestehend aus Jogginghosen und einem am Rücken unnütz doppelgeknöpften Shirt. Oder in die knöchelhohe Steinskulptur mit der Anmutung zwischen Hünengrabminiatur und Hündchen, die anfangs mitten auf der Bühne steht – durch ihr Hüpfen werden die beiden im Vergleich riesengroßen Tänzer*innen die Steine lockern, die Skulptur zerstören. Heißt das, es ist Zeit, Festgefügtes aka Gewissheiten zu beseitigen? Oder: Das Anthropozän schlägt zu?

Zeit für derartige Assoziationsspiele ist genug während der einstündigen Performance: Abgesehen von minimalen (Stimmungs-)Schwankungen bleibt die Temperatur durchgängig die gleiche. Das Licht (Susana Alonso) wird heller und weißer, mal leuchtet ein Rechteck im Bühnenhintergrund auf oder die Körper werden golden geflutet. In der akustischen Atmosphäre (Simon Bauer) wird das Rauschen isoliert, der puckernde Bass oder die orgelähnlich melodische Schwingung, der ortlose Sound wird etwas lauter oder leiser. An einen katastrophischen Klimawandel oder eine emotionale Eruption, wie sie sich für mich mit einer Katharsis verbinden, erinnert nichts in diesem Ambiente. Die sanft schwingende Amplitude der Performance verbindet sich assoziativ eher mit dem Begriff “Selbstheilungskräfte”.

Angenehm anzusehen ist durchaus, was die beiden wohltrainierten Tänzer*innen bieten. Individuell bis idiosynkratisch sind ihre Bewegungsmuster: Rodríguez wirkt kraftvoll-elastisch, er orientiert sich mitunter faunartig gebeugt oder elegant gelagert gen Boden, aber immer wieder aufstrebend gen Decke, die Arme ausgebreitet. Zwischen den Händen rollt er Kugeln, er lehnt denkerisch den Kopf in die Hand, pflückt und pustet gar den titelgebenden Löwenzahn. Wolińska ist einem eher modernen Idiom verpflichtet; sie zeigt kleine geschrittene und gesprungene Kombinationen zwischen isolierten Gesten: Ihre Finger bewegen sich sacht wie Blätter im Wind, sie kreiselt über die Bühne und wagt Balancen, gestützt nur von ihrem Kopf und einem Zeh. Und, bei beiden, angelegentlich: Tiersilhouetten. Affe, Vogel, Fisch.

Trotz einer Fülle an Bewegungsmaterial kommt mir dabei nicht der Gedanke an eine Diversität, die in Gefahr wäre, sondern der an das Immergleiche: nicht im Sinne eines zyklischen Werdens und Vergehens, sondern einer unnatürlichen Stasis. Die Performance navigiert in meinem Empfinden nah am Kitsch. Falls das hier Gefühle sind, so ergreifen sie mich nicht. Und wenn schon engagierter Tanz: Sozialen Wandel könnte man auf lauen Lüftchen nicht begründen.