„Dancing To The End“, Nir de Volff © Ruthe Zuntz

Tödliche Einfälle

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Nir de Volffs “Dancing To The End” beim israelisch-deutschen ID-Festival im Radialsystem spielt sich durch Todesarten.

Wer kennt nicht die schlaflosen Nächte, die einen quälen, wenn der Tod wieder einmal angeklopft hat: ob metaphysisch oder ganz real, ob beim Grübeln oder im Freundeskreis, in der Familie, im eigenen Leben. Meistens erlöst die Mühle des Alltags irgendwann, aber an der Fähigkeit, der existentiellen Leere zu begegnen, ändert sich kaum etwas. Der Choreograf Nir de Volff geht es grundsätzlicher an – er scheint Hegelsche Ambitionen zu haben: “Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut…, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes”. 2013 hat er seine Performance “Dancing To The End” in Bangkok zum ersten Mal aufgeführt, seitdem tourt er mit dem Stück über Todeskonfrontationen und passt es von Ort zu Ort den Erfahrungen seines Tänzer*innen-Casts an.

Die Berlin-Version entstand für die zweite Ausgabe des ID-Festivals im Radialsystem V, mit dem der Gründer und künstlerische Leiter Ohad Ben-Ari israelische Künstler*innen, die in Deutschland arbeiten, kollektive Sichtbarkeit verleiht – gewissermaßen ein Pendant zum derzeit bitter diskutierten Festival (exil-)palästinensischer Perspektiven “After The Last Sky” im Ballhaus Naunynstraße, allerdings nicht wie dieses vom Senat, sondern direkt von der Beauftragten für Kultur und Medien gefördert. In diesem Jahr liegt der Fokus von ID auf “Migration told through Israeli-German art” und schließt nicht nur den Austausch mit deutschen, sondern auch etwa mit türkischen und palästinensischen Künstler*innen ein. Diese Erweiterung des Erfahrungshorizonts hätte vielleicht auch “Dancing To The End” gut getan. Denn in einem Stück über den Tod tagesaktuelles Sterben auszublenden und stattdessen die Tänzerin Katharina Maschenka Horn oberflächlich und in Klischee-Mädchen-Manier ihre dahingegangenen Haustiere aufzählen zu lassen, wirkt in einer Stadt, die derzeit Tausende vor dem Tod Geflüchteter aufnimmt, weniger keck als plump.

Die Besetzung, zu der außerdem Chris Scherer und der Choreograf selbst gehört, ist vor allem mit der in Femme-Fatale-Manierismen verlorenen Horn ebenso wenig geglückt wie der künstlerische Zugriff auf das Thema. Das fängt mit dem Titel an, der von ferne an Leonard Cohens “Dancing Me to the End of Love” erinnert, aber ja eigentlich einen Zusammenhang zwischen Tanz und Tod herstellen will. Bei mir ruft dieses Themenpaar zunächst Assoziationen an ekstatische Tanztechniken wach, die wie alle ekstatischen Praktiken auf die Erfahrung des Ich-Tods zielen. Nir de Volff denkt an Strawinskys “Frühlingsopfer” und Saint-Saëns’ sterbenden Schwan. Auch eine Option, aber eine, die ein starkes Konzept braucht, um nicht als kitschverdächtiges Zitat daherzukommen. Ein paar perlenkettenmäßig aneinandergereihte Bodenfiguren aus der Modern-Contemporary-Kiste, ein schlaflos-unruhiges Hin- und Herwerfen oder eine finale Diagonale dreier Todesengel (oder schwarzer Schwäne?) reicht da nicht.

Generell interessiert sich der Choreograf mehr für Assoziationen, Zitate und kurzlebige Bühneneinfälle (wie mit Flüssigfarbe gefüllte Luftballons) als für inhaltliche Ausformulierungen. Collage ist das Prinzip: Eine Slideshow zu Kunst und Tod mit Vanitas-Motiven, Magritte, Millet, Kahlo, einer dicken toten Dame im Feld etc., eine Musikcollage zwischen Pop und Barock, eine Kostümierung zwischen zeitgenössischem Todesengel (blonde Perücke und Anonymous-artige Maske) und Glamour-Existentialisten-Outfit (schwarz mit Metallic-Sprengseln), ein paar persönliche Erfahrungen zum Thema, ein bisschen ins Publikum gepiekster Sarkasmus, wenn Katharina Horn den Zuschauenden ihre Todesarten prophezeit. Eher Spektakel als Gefühl scheint der Motor dieser Performance zwischen dance macabre und schlechtem Kabarett zu sein. Denn eines kann der Cast ganz sicher nicht: Szenen. Sprachliches sitzt weder in den Erzählweisen noch in den Pointen. (In der Erfolgsproduktion “Never Forever” von Falk Richter und Nir de Volff/Total Brutal, die derzeit mit teils demselben Cast an der Schaubühne läuft, übernimmt den Sprachpart klugerweise der Dramatiker.)

Immerhin ein Witz war ganz gut: Da will der Teufel das Mädchen davon abhalten, ins Paradies zu gehen. Sein Argument: Dort wimmle es von IS-Jungs und Jungfrauen. Aber waren es solche Pointen, worum es de Volff ging? Wohl eher nicht. Wenn nach seinem persönlichen Bericht von Todesangst beim israelischen Militärdienst der Choral “Erbarme Dich” aus Bachs Matthäuspassion eingespielt wird und ihn in angedeuteten (auto)-aggressiven Bewegungen mit sich spült, entsteht kurz eine atmosphärische Dichte, die vermuten lässt, dass dieser Todestanz mehr als Hegel-ultra-light hätte werden können.