„Pornographie der Emotionen“, bücking&kröger © Katharina Meyer

Seelenschau mit Winkebein

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Mit „Pornografie der Emotionen“ skizziert das Duo bücking&kröger eine Metapher für den wandelnden digitalen „Zeit-Körper“ und zeigt, dass auch abstrahierte Gefühle Gänsehaut auslösen können

Die Bewegungssprache von Raisa Kröger und Florian Bücking, seit 2014 alias bücking&kröger, ist bemerkenswert. Sie erfordert eine hohe Körperbeherrschung, steckt aber auch voller physischer Widersprüchlichkeit. Gerade deshalb scheint sie wie gemacht für eine Zeit, in der sich Menschen mehr denn je als optimierte Produkte ihrer selbst inszenieren.

Beim Betreten des ehemaligen Tanzsaals des Ballhaus Ost liegen bücking&kröger mit geschlossenen Augen auf dem Bühnenboden. Ihre tiefenentspannten Körper sind auf sterile weiße Rückenlehnen drapiert, die ihre kaum beleuchteten Oberkörper und Köpfe rahmen – ein Internet-Profilbild ohne Foto verknüpft mit einer meditativen Innenschau, die sich im Laufe der Performance als soziale Leerstelle entpuppen wird. Drei weiße Stellwände mit abstrakten Reliefstrukturen erweitern den assoziativen Facettenreichtum dieses (seelischen) Leerraums und führen ihn in höhere Sphären: Ein Zustand geistiger Erleuchtung wie auch eine digitale „Matrix“ (mit Cyborg-Ladestation) lassen sich aus diesem extrem minimalistischen Szenario herauslesen.

Modemgeräuschfetzen erklingen. Langsam kommt Bewegung in die beiden wie auf Standby gestellten Körper. In Zeitlupe führen bücking&kröger ihre Hände zu ihren Gesichtern und beginnen ihre Köpfe von einer Seite auf die andere zu drehen. Nach einiger Zeit zucken ihre Augenlider – eine weitere Energiezufuhr aus unbekannter Quelle – und die Augen sind geöffnet. Die nunmehr sichtbaren Pupillen folgen seltsam zeitverzögert demselben halbrunden (Virtual-Reality-Brillen-) Bewegungsradius. Diese Mischung aus natürlich-organischen und künstlich anmutenden, weil energetisch wie rhythmisch gestörten, Bewegungsabläufen, zeichnet die paradoxe Körperästhetik von bücking&kröger aus – zwei computeranimierte Figuren, die noch keine perfekten Menschendoubles sind, meint man hier erleben zu können!

Mit „Pornografie der Emotionen“, seiner zweiten abendfüllenden Produktion, widmet sich das talentierte Duo dem Thema überhöhter Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Die dabei „zur Schau gestellte Intimität“ setzt es mit einem „Ausverkauf der Gefühle“ gleich, wie sich der Ankündigung zur Performance entnehmen lässt. Auch wenn das grell bunt wechselnde und neue Gefühlsregungen ankündigende Licht Pop-Charakter hat, geht es hier ganz und gar nicht unterhaltsam zu. Wut äußert sich in einem kraftaufwendigen Luftpumpen und verpufft, um Platz zu machen für Freude, Unsicherheit, Einsamkeit, Angst und Gleichgültigkeit. Ein sich unverstanden-Fühlen, traurig- und verzweifelt-Sein folgen. Die widersprüchlich zwischen organischer und technisierter Körperlichkeit oszillierende Ästhetik von bücking&kröger erzeugt eine abstrakte und stagnierende Emotionalität, die – gerade weil der Aktionsradius der Performer*innen rhythmisch seltsam beschränkt und eingeschränkt wirkt – keine befreiende Veräußerlichung erfährt. Die Gefühlsäußerung zerfasert und verpixelt im Übergang zur nächsten, noch bevor sie zu einer eindeutigen Geste wird und eine innere Haltung zum Ausdruck zu bringen vermag.

Auch das Verhältnis zwischen den Performer*innen wirkt seltsam entkoppelt. So agieren sie zwar in jeder Szene dicht nebeneinander, scheinen aber nicht wirklich in Beziehung zueinander zu stehen – ein Internet-Paar, das alles über einander weiß und sich doch nicht in und auswendig kennt. Eines, das per Mausklick übereinander verfügen kann wie über Besitztümer – mehr Pornografie als Erotik und Eros scheint hier im Spiel zu sein. Und weiter: Ein Internet-Paar, welches die jeweiligen eigenen Gefühle auf den anderen projiziert, da es den anderen niemals in seiner leiblichen Ganzheit und somit auch nicht als Anderen erlebt. Kurzum: Zwei Narzissten, die ihre Ichs grenzenlos in das weltweite Netz ausweiten und kein Platz für ein Du und ein Wir in ihrem Universum haben.

Am Ende der Performance kriegt sich das bezugslos nebeneinander her agierende Paar und bücking&kröger den Zuschauer an die Gefühlsangel. Die merkwürdig angespannte Distanz zwischen den Performer*innen wird durch Contact Improvisationen aufgelöst. Allerdings nur scheinbar: bücking&kröger liegen zu einer Art Kamasutra-Stellung miteinander verschränkt vor dem Publikum und lassen ihre Unterschenkel wie aus dem Scharnier gesprungene mechanische Körperteile baumeln. Dazu regnet es Goldkonfetti und tönt elektronisch verzerrtes Glockengeläut. Gänsehaut stellt sich ein, obwohl hier nichts mehr sinnlich ist, höchstens die Idee vom symbiotischen Zusammensein. Doch das Glücks- und Intensitätsversprechen schnelllebiger Selbstoptimierungs- und -befriedigungsstrategien lockt wie eine japanische Winkekatze in die schöne Scheinwelt des Kapitalismus. Die Illusion ist desillusioniert, die Matrix zerstört, die emotionale Intimität nichts als ein Geschäft. Ade, höheres Bewusstsein!