„Neverendings“, Sergiu Matis © Marc Schuhmann

„Remembering the Future“

Future. Future. Zum 40. Geburtstag der Tanzfabrik, schlagen wir uns hingebungsvoll die Nächte um die Ohren, rufen Tanzgeschichte und -zukunft in die Welt hinaus und lauschen … ihrem Echo. Ein Nachhall dreier ausgewählter Stücke der Tanznacht 2018.

„Aus dem Echoraum“ – lautet das diesjährige kuratorische Motto der Tanznacht und tatsächlich kann man die Patenschaft der sagenumwobenen Nymphe auf dem Gelände der Uferstudios auch spüren. Die Stücke antworten aufeinander, wenn auch über Bande. So verschränken die gezeigten Stücke Stimme und Körper, Musik und Bewegung miteinander, arbeiten sich an der Figur der Wiederholung ab und lassen (Tanz)-Geschichte widerhallen. Ein Fest der Déjà-vus und des Nebeneinander von heiseren, freundlichen, lautlosen, waghalsigen (…) Stimmen.

Die ewige Wiederkehr des Gleichen?

So blickt der im post-sozialistischen Rumänien aufgewachsene Tänzerchoreograf Sergiu Matis auf die Zeiten der Oktoberrevolution zurück. In der epischen, dreistündigen Tanzperformance „Neverendings“ stellen sich Fragen nach dem Scheitern vergangener und der (Un-)Möglichkeit zukünftiger Revolutionen. Die (Alb-)Träume vom Sozialismus schlafwandeln und toben in Gestalt der sechs Tänzer*innen/Performer*innen Jule Flierl, Martin Hansen, Gyung Moo Kim, Orlando Rodriguez, Maria Walser und Diletta Sperman. Sie formieren sich zu schrägen Chor-Brigaden, die Marschlieder so schnell anstimmen wie ihnen die Töne im Hals stecken bleiben. Revolutionärer Pathos verformt sich zu schrillen Lauten, zu Gestammel brüchig gewordener Manifeste – die Zukunft ist unaussprechlich geworden, denn „truth lies“. Wofür noch kämpfen? Mit erhobenen Fäusten und stolzen Blicken wirbeln sie agitatorisch neuen Hoffnungen entgegen, schaffen Paläste und Mauern aus Pappe – Bau Auf! – um sie gleich wieder einzureißen. Erschöpfung und Enthusiasmus liegen gekonnt nahe beieinander. Matis und sein Team haben sich getraut, die schwierigen und großen Fragen zu stellen – Gerechtigkeit / Solidarität / Freiheit / Gleichheit – sie schwanken zwischen Aufbruchstimmung und kritischer Distanz. In kleinen Spieleinlagen führen sie Konflikte frei nach „sozialistischem Realismus“ vor, erzählen davon, wie ihnen Lenin im Traum erschienen ist oder klagen als Sohn Günther Schabowskis (alias Jule Flierl) über verhasste Privilegien im Arbeiter- und Bauernstaat und dem gerade noch vereitelten „Fehler“ des Vaters. Was, wenn es diesen Sohn gegeben hätte, der den Vater an die Stasi verraten hat, bevor dieser die Reisefreiheit verkünden konnte.

Besonders ist, wie „Neverendings“ es schafft, die theatrale Ebene mit Bewegungsmaterial („movement never lies“) den vielen Gesangseinlagen zum Mosaik vergangener/zukünftiger/fiktionaler/tatsächlicher Revolutionsbilder zu vereinen. Ein dem Thema angemessener Größenwahn haftet dieser Performance an, in der uns Zuschauer*innen auch einiges abverlangt wird. Wir durchqueren an diesem Abend mehrmals die schon eingerissenen Mauern, taumeln schließlich der „anderen Seite der Medaille“, entgegen dort, wo (endlich) die Diktatur der Arbeiterklasse herrschen soll … Drüben befinden wir uns dann in einem schmalen Tunnel (zwischen den Welten) – Schwellenritual zum Kommunismus geht nicht ohne Hardcore. Unbarmherziges Strobo-Licht lässt Raum und Zeit auseinander fallen. Die Revolutionäre geraten außer sich, heizen die Stimmung mit Mikros und Körpereinsatz an. Utopie ist Ekstase. Diese drei Stunden sind voller bild- und stimmgewaltiger Momente und berühren auf humorvoll-kluge und waghalsige Weise den Konflikt mit den (eigenen?) politischen Visionen. Warum muss(te) der Sozialismus scheitern? Daran schließen sich so viele Fragen wie Antworten an – eine Kreisbewegung: neverending.

Wiederholung als Prinzip

Die Tanznacht bietet auch Gelegenheit, erste, viel versprechende Ansätze, „first stagings“ zu zeigen. Zwei davon haben die Wiederholung zum künstlerischen Prinzip erhoben.

Was passiert mit Sprache und Bedeutung, wenn der immer gleiche Text in vier Stimmen, von vier verschiedenen Körpern in identischen Gesten ausgerufen wird? Zoë Knights lässt in „The Parts of the Belly“ die immer gleiche Katastrophe – den ominösen aufziehenden Sturm – verkünden. Sie und die Performer*innen Benjamin Pohlig, Sunniva Vikør Egenes und Don Mabley-Allen formieren sich zunächst zu einem Prolog des Vorsprachlichen – aus dem Flüstern, Stammeln und Stottern entwickelt sich allmählich eine Choreografie-zu-Text, die an einen Western oder typischen Action-Film erinnert: „Ey, you think Iʼm crazy – is that what they told you?!“, rufen sie immer wieder lässig-herausfordernd aus, wobei ihr Gegenüber sich hinter der Vierten Wand versteckt zu haben scheint. In selbstironischer Actionheldenmanier lassen sie sich ein paar Abwehrrollen über die Tische nicht nehmen, hauen mit Fäusten auf die Platten, erheben den Zeigefinger um zu verkünden: „Theeeeeeere is a stooooooorm coming!“ Über die Wiederholungen und die Vierstimmigkeit ergeben sich zuweilen interessante Verschränkungen, obwohl sich die Vier merklich konzentrieren müssen, nicht aus der Reihe zu tanzen. Mit etwas mehr Routine hätte „The Parts of the Belly“ wohl noch andere Bedeutungsebenen berühren können. Die Prophezeiung als choreografisches Stilmittel ist sicher eine spannende Spur, auch wenn diese Versuchsanordnung eher dem Kopf als dem Bauch zu folgen scheint.

Das Stück „FIGURED“ in der Choreografie von Sheena Mc Grandles zeigt, wie komplex und vielschichtig sich Wiederholung gestalten kann. Im Duett mit Annegret Schalke hat sie eine skurril-neurotische Akkumulation von Momentaufnahmen geschaffen, die in kurzer Zeit ganze Beziehungsdramen/-komödien/-rätsel aufzurufen imstande sind. Die zwei Performerinnen, die nebenbei im lässig-urbanen Style (Röhrenjeans, Boots, Goldkette über T-Shirt) unschlagbar cool aussehen, bewegen sich entlang einer Wand aus Spanplatte in präzise-reduzierten Bewegungen, deren Fluss immer wieder unterbrochen wird. Wie ferngesteuert werden sie immer vor und zurückgespult, sie selbst erscheinen als virtuelle Figuren, lebendig gewordene „Gifs“ – gespenstisch animierte Bilder. Die Soundkulisse – sägende Sirenen, alarmierende Töne – trägt der aufgeregten Stimmung Rechnung. Das Stocken und nicht-Fließen-Können der Bewegung hat etwas tragisch-komisches. Die Begegnungen zwischen ihnen bleiben immer mechanisch-unberührt und darin obszön. Hand auf die Hüfte, Kopf zur Seite, Augenklimpern. Perfekt-eingerastet. Nach einiger Zeit wirkt diese ganze Choreografie, der gesamte Raum wie ein Abziehbild. In der seltsamen Zweidimensionalität entlang der horizontal gestreckten Wand liegt auch ein Geheimnis: Was geschieht dahinter?

„Remembering the Future“, unter diesem Motto feiert die Tanzfabrik ihren 40.Geburtstag, das Erscheinen der gleichnamigen Publikation und viele durchzechte Tanznächte von gestern, heute und morgen.