„I just wanna fucking dance oder Begeisterung und Protest“, Fleischlin/Meser © Roberto Conciatori

Protest durch Bewegung – ein performatives Lexikon

Ist gewaltlose Rebellion durch körperliche Bewegung möglich? Das Performance-Duo Beatrice Fleischlin aus Zürich und Anja Meser aus Berlin präsentieren mit “I just wanna fucking dance oder Begeisterung und Protest” eine kritische Studie zu friedlichen Protestformen und stiften die Zuschauer*innen dabei frivol zum zivilen Ungehorsam an.

Vor denkbar simpelster Kulisse beginnen Fleischlin/Meser ihre Tänze. Nur eine schwarze Leinwand, auf der nach und nach Daten erscheinen, die offenbar die historischen Ereignisse konkretisieren, die wir im Folgenden als präzise Choreografie sehen. Sie zeigt uns friedliche Protestperformances, etwa von dem als Standing-Man bekannt gewordenen Tänzer Erdem Gündüz, der feministischen Punkrock-Band Pussy Riot oder von Ellie Cole, der tanzenden Frau an der Bushaltestelle, deren Tanzvideo zum viralen Youtube-Hit wurde. Nicht jeder der Tänze lässt sich seiner/m Autor*in zuordnen, aber es geht hier auch nicht um Vollständigkeit. Es geht um die Vielheit der diversesten Formen, die alle dasselbe Ziel haben: maximale Aufmerksamkeit auf bestehende Missstände zu richten. Indem Fleischlin/Meser die von ihnen ausgewählten Beispielperformances durch das reduzierte Setting ganz auf den körperlichen Ausdruck fokussieren, wird der Tanz zum verdichteten Protestpotential. Das Unisono-Hüpfen, das sie bis zur merklichen Erschöpfung vollführen, ist so einerseits als Protest zu verstehen, der mit den Mitteln des Tanzes arbeitet, andererseits aber vor allem Ausdauer erfordert.

Doch nicht nur das: Fleischlin/Meser beziehen durch die Auswahl der Tänze, Video- und Audioeinspieler klare Stellung gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und soziale Ungleichheit. Das merkt man nicht nur an der Hingabe, mit der sie sich selbst bewegen, sondern auch an den emotionalen Audiobotschaften, die sie ausgewählt haben. Durch die Dunkelheit des Raumes dröhnt eine Kaskade aus Reden und Statements verschiedenster (prominenter) Persönlichkeiten. Wir hören den Bürgerrechtler Martin Luther King, die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai, den Politiker Gregor Gysi, wir hören pointierte Aussagen wie “In the age of information, ignorance is a choice” oder, großer Lacher, “Der Mensch ist das Problem. Der Mensch ist ein Hurensohn”.
Keine Umwege der Political Correctness zuliebe und vor allem Spaß bei der Sache: die beiden Performer*innen stehen dem Engagement ihrer Protestvorbilder in nichts nach, wenn sie sich zu dem extrem eurotrancigen Track “I just wanna dance” von Jsto/Alison Jiear slapstickmäßig verausgaben. Die Video-Collage, die im Stile von Chatroulette auf der rechten Seite die ausgelassen tanzenden Performer*innen zeigt und auf der linken die verschiedensten Reaktionen derer, die den Tanz (vermeintlich) beobachten, gibt dem Abend die Prise Leichtigkeit, die inspirierend und aktivierend wirkt. Wenn es also um körperliche Bewegung und Ausdauer als Modus des Protestes geht, ist dies eben nicht verharmlosend, sondern wird als reelle Möglichkeit der Rebellion interpretiert.

Etwas subtiler, aber nicht minder verlockend kommen dann noch die von Fleischlin/Meser entworfenen Szenarien des zivilen Ungehorsams daher: “Stellen Sie sich vor”, spricht Meser sanft in ein Mikrofon, “Sie sind im Zug. Fahrkartenkontrolle. Sie gehen auf Toilette und schließen sich ein, obwohl Sie ein Ticket haben, und bleiben die gesamte Fahrt über drin.” Eine kleine Bewegung, der Gang zum Klo, vielleicht ein Sturm im Wasserglas und doch ganz schön subversiv.

Am Ende gehen auch einige Zuschauer*innen aufs Klo, genauer gesagt in eine Holzbox, die rechts auf der Bühne steht. Sie folgen der Aufforderung auf den Flyern, die Fleischlin/Meser zuvor ins Publikum geworfen haben: “We need you in the box now”. “Occupied”, blinkt es rot über der Box, ehe die Gruppe wieder aus der Box tritt. Sie alle tragen Schweinemasken, Symbol des Protests gegen Korruption, und tanzen nun selbst. Ein Szenario, das suggeriert: So einfach kann es sein, in die Bewegung zu finden, die den Protest bildet. Just fucking dance!