„Shut up and dance“, Christoph Winkler ©René Löffler

Offen bleiben für neue Möglichkeiten

Christoph Winklers zweite Produktion für junges Publikum, „Shut up and dance“, feierte im Herbst 2018 bei den TANZKOMPLIZEN seine Premiere. Coronabedingt ist ein Video des Stücks zurzeit auch im Rahmen von TANZKOMPLIZEN für zuhause – Online-Spielplan für Eltern und Kinder während der Corona-Krise abrufbar. Christine Matschke sprach mit Christoph Winkler über seine Einstellung zum Tanz und Schwierigkeiten während des Lockdowns.

Worum geht es in „Shut up and dance“?

Es geht darum, was man mit Tanz ausdrücken kann, was die Möglichkeiten sind von Tanz, im Gegensatz zu Sprache. Wo ist das Limit, wo ist die Stärke? Beispielsweise gibt es jede Menge Wörter für „tanzen“, aber die treffen es nie ganz.

Der Titel Deines Stücks klingt nach einem klaren Statement, fast wie eine Anspielung auf die zeitgenössische Berliner Szene.

Das war nicht so gemeint. Es ist natürlich legitim zu sagen, dass man niemanden darstellen und dem Publikum ermöglichen möchte, dass es nur die Körper sieht. Aber ich finde es schwierig, wenn daraus eine Ästhetik entsteht, die dann alle für die nächsten 10 Jahre machen. Die Möglichkeiten sollten offen bleiben und man sollte die Dinge relativieren. In Westafrika etwa gibt es zig Tiertänze, und die sind nicht bloß mimetisch. Aber in unserem Kreis ist es dann plötzlich etwas total Verrücktes, wenn sich jemand so etwas ausdenkt, ganz ´genuin´. Mit unserem Kunstapparat hieven wir vieles auf ein sehr hohes Level, was dann in die Archive kommt und von anderen weißen Menschen für bedeutend erklärt wird. Das ist schon knallhart.

Zu viel Verpackung?

Ja, Framing, Framing, Framing. Wenn man sieht, wie viele Bewegungstalente es um den urbanen oder außereuropäischen Tanz herum gibt. Und was dagegen bei uns im zeitgenössischen Tanz passiert: Es wird dekodiert ohne Ende. Dabei ist es dann auch nichts groß anderes. Das führt zu einem sehr limitierten Choreografie-Begriff, wie ich finde. Eher, als dass es ihn aufmacht.

Die drei Tänzer*innen in „Shut up and dance“ kommen aus Burkina Faso, Deutschland und Kanada und bringen unter anderem Tänze aus ihren Heimatländern ein. Mit Body-Mind Centering (BMC®) und Labans Neun-Punkte-Technik kennen sie sich alle drei aus.

Ich wollte die ganze Bandbreite an Tanz aufmachen. Das Aussäen mit der Hand kann Tanz sein, wie im Bauerntanz, den Ahmed Soura zeigt. Das Schuheputzen aber auch, wie in der Brandenburgischen Schuhpolka. Oder eben auch das Tanzen mit der eigenen Leber wie im BMC.

Ist Tanz ein Mittel zu mehr Toleranz?

Tanz kann irgendwie alles sein. Aber, wer da auf der Bühne steht, sollte man im Tanz für junges Publikum nicht unterschätzen und das junge Berliner Publikum ist nun einfach mal postmigrantisch. Wenn jemand wie Ahmed Soura auf der Bühne steht, der einen coolen Hip-Hopper nicht nur spielt, sondern tatsächlich einer ist, und der auch noch muslimisch aufwuchs, dann hat das einen enormen Effekt. Wenn die Kinder sich da selber sehen, in groß, dann macht das etwas aus. Und Ahmed kann über sich lachen, der gibt spielerisch ein ganz anderes Vorbild her.

Mit welchen Schwierigkeiten sind Du und Deine Tänzer*innen zurzeit konfrontiert? Müsst Ihr nun demnächst alle in überdimensionalen Wasserbällen auf die Bühne? – In solch einem hast Du ja neulich eine der zwei „Tabori Auszeichnungen“ entgegengenommen, die neben dem eigentlichen Tabori Preis jährlich verliehen werden.

Wäre ´ne Möglichkeit (lacht). Nein, im Ernst, man muss einfach sehen, wie sich das entwickelt. Meine Stücke sind eh alle online, schon seit Jahren. Ich stelle prinzipiell immer alles sofort hoch, weil ich da ein bisschen kommunistisch eingestellt bin: Wer Steuergelder bekommt, muss sein Zeug zur Verfügung stellen. Ich hätte auch kein Problem ´ne weitere Videoarbeit zu machen, wenn es jetzt so bleibt. Natürlich wäre es am schönsten, wir könnten wieder auf die Bühne und alles tanzt. Aber wir müssen eben gucken, wie es sich entwickelt. Neunzig Prozent unserer Leute sind aus dem Ausland. Das heißt, wenn Reisestopp ist, ist erst einmal alles auf hold. Viele unserer Tänzer*innen sind ja auch aus afrikanischen Ländern und überall finanzieren unsere Projekte über die Gagen von den Leuten Projekte lokaler Communities mit, wie etwa die „Dance Revolution East Africa“ in Uganda von Robert Ssempijja.

Siehst Du eine besondere Schwierigkeit für den Tanz für junges Publikum anlässlich der aktuellen Situation? Die Sparte ist ja noch recht jung …

Ich finde es gut, dass diese Sparte mittlerweile mehr Aufmerksamkeit bekommt. Das war höchste Zeit. Und es hat ja heute auch nicht mehr so ein Geschmäckle, etwas für Kinder zu machen. Gob Squad mit ihrem Kinderstück „BEFORE YOUR VERY EYES“ etwa, da ist ja die ganze Expertise zeitgenössischer Performance drin. Also, ich glaube nicht, dass das jetzt einfach zurückgedreht wird. Im Gegenteil, die Akzeptanz wird steigen.

Ist bei Dir bereits ein nächstes Stück für junges Publikum in Planung?

Ich habe schon einige Stücke gemacht, die das Potenzial zum Jugendtanzstück haben. „Tales of the funky“ oder „Sheroes“ etwa. Und ich habe auch schon Erfahrungen mit Schulklassen über vergangene Projekte an den Sophiensaelen, gemeinsam mit TUSCH. Mit „Rechtsradikal“ sind wir damals direkt an die Schule und haben etwas in den Klassen gemacht. Aber eine zweite Schiene baut man nicht mal eben nebenbei auf. Deshalb brauch ich einen Partner, der eine Expertise auf diesem Gebiet hat und die ganze Organisation macht, so wie die TANZKOMPLIZEN.


Zur Webseite >>> COMPANY CHRISTOPH WINKLER


„Shut up and dance“ von Christoph Winkler (Premiere: 16.10.2018) — Altersempfehlung: ab 8 Jahren / ab 3. Klasse — Spielort: Schillertheater-Werkstatt — Choreografie: Christoph Winkler — Tanz: Ahmed Soura, Deva Schubert, Sarina Egan-Sitinjak — Bühne: Christoph Winkler — Kostüme: Valentina Primavera — Licht: Martin Pilz

Videolink „Shut up and dance“ (Altersempfehlung: ab 8 Jahren) >>> https://vimeo.com/303257646 — Weitere Materialien: Bewegungsaufgaben für zu Hause – Link zum PDF >>> https://tanzkomplizen.de/wp-content/uploads/2020/04/SHUT-UP-AND-DANCE_Bewegungsaufgaben-für-Zuhause.pdf


TANZKOMPLIZEN für zuhause (verlängert bis zum Ende der Sommerferien, abrufbar bis zum 9. August 2020) – Link zum gesamten Online-Spielplan für Eltern und Kinder während der Corona-Krise >>> https://tanzkomplizen.de/vermittlung/online-spielplan/