“Aural Haptics”, Chen/Nørstebø/Eda/Kaseki, soundance festival berlin 2020, Videostill ©BEAM SPLITTER

Hautnah Vibrieren

Nach A.PART und NAH DRAN: extended blicken wir weiter auf alternative Formate für Tanz-Festivals und –Reihen. Die Aufführung “Aural Haptics” von Audrey Chen, Henrik Mukeby Nørstebø, Megumi Eda und Yuko Kaseki wurde für das digital adaptierte soundance festival berlin 2020 im DOCK 11 kreiert, einer Plattform für Werke aus Zeitgenössischen Tanz, Echtzeitmusik, Improvisation und angrenzenden Stilen.

Aus dem fast zweiwöchigen Programm des soundance festival berlin (17.-27. Juni 2020) hat mich der Titel “Aural Haptics”, oder akustische Berührungen, angeregt, um aus dieser okulozentrischen und berührungsarmen Zeit wegzukommen. Unsere Gesellschaft ist schon stark visuell geprägt und während der Pandemie hat sich das noch einmal gesteigert. So habe ich mich für eine Reise weg vom Sehen und Schauen — die meisten gehen ins Theater, um etwas zu sehen — und zurück zu unseren ‘Nah’-Sinnen, dem Tastsinn und dem Gehörsinn, entschieden, um etwas zu spüren. Tanz und der Körper bringen das Haptische in den Vordergrund, aber auch Musik oder Klang entstehen aus Berührungen, die über akustische Wellen wiederum unsere Ohren berühren. Angeregt hatte mich auch, dass jedes Werk am Tag der Vorstellung zwischen 15-19h als Installation im DOCK 11 und ab 19h als Stream auf dem YouTube-Kanal des Festivals zu sehen war. Und ich wollte selbstverständlich wieder physisch ins DOCK 11.

Die Atmosphäre ist den Weg wert: in dem kaum beleuchteten Saal hängt eine Projektionsfläche vor zehn sehr distanzierten Stühlen auf der aufgeräumten Tribüne. Bei dieser Projektion bin ich der einzige Gast. Das dreiteilige “Aural Haptics”, eine Scored Improvisation, spielt mit Bewegung, Klang und Projektionen. Das ‘Natürliche’ ist bevorzugt: einfache, langsame und bewusste Bewegungen, die besondere Qualitäten hervorrufen, statt technischer Schritte und Körperhaltungen, sowie Klänge und Laute, die mit dem eigenen Körper oder dem Instrument (Posaune) erzeugt werden, statt Melodien und Harmonien. Das Ganze hat etwas Meditatives. Aus der Vogelperspektive der Kamera bewegen sich die Performer*innen im Dunkel auf einer runden Projektionsfläche und werden Teil von Bildern aus ins Wasser reflektierter Bäume und im Wasser schwebender Kastanien-Blüten. Elektrische Klänge kreischen und hektische Techno-Beats stören die Harmonie, bevor die Stille mit im Wasser schwebenden Performer*innen und Geräuschen von Tropfen und Vogelzwitschern zurückkehrt.

Die Installation hat ihren Charme und bringt die Vorstellungen zurück an den Ort, an dem sie aufgeführt wurden. Die Umgebung ist kuratiert und sehr atmosphärisch. Was entstanden ist, sind Kunstwerke zwischen Live-Performance und Tanzfilm. Das Auge der Kamera schneidet die Realität anders als unseres. Die Filme sind keine Dokumentation: Die drei Kameras von “Aural Haptics” erlauben einen Blick von oben und Close-ups, und so entsteht eine neue Ästhetik. Zugleich kann man das schnelle Zusammenstellen des Produkts nicht mit dem langen Prozedere der Tanzfilm-Produktion vergleichen. Nur zweimal aufgeführt und dabei aufgenommen, wird das Material schon zu einem fertigen und ungewollt fixen Produkt (Improvisationen leben im Moment). “Aural Haptics” hat es geschafft, mich in einen einfühlsamen Zustand zu versetzen. Ich habe sozusagen mit dem Werk und der Umgebung vibriert, aber selbstverständlich war es eine andere Art des Empfindens. Da liegt der Unterschied zwischen Tanz und Film: auf der Bühne agieren lebende Körper, und wir spüren deren Präsenz, Wärme und Ausstrahlung, während auf der Leinwand oder dem Bildschirm vermittelte Körper zu sehen sind, in die wir uns nur durch Vorstellung und Erinnerungsvermögen einfühlen können. Ich hoffe, dass sich im August, nach unserer kurzen tanzschreiber-Sommerpause, die Situation geändert hat. 

Foto: Zuschauer-Setting während des Screenings von “Aural Haptics” im DOCK 11, soundance festival berlin, Juni 2020 ©Katja Vaghi


“Aural Haptics” >>> Audrey Chen (BEAM SPLITTER) – Stimme, Elektronik | voice, electronics. Henrik Munkeby Nørstebø (BEAM SPLITTER) – Posaune, Elektronik | trombone, electronics. Megumi Eda, Yuko Kaseki – Tanz, Choreografie | dance, choreography.

soundance festival berlin 2020, Links zu den Videos >>> https://www.youtube.com/channel/UCRUiHc3g038W5eZEVke7JFA/videos und https://soundance-festival.de/#.