„Dialog direkt Kinshasa – Berlin“ von Gintersdorfer/Klaßen im HAU 2 als Forschungs-Performance mit Verve und ohne Statistik
Es ist still im HAU 2, als auf einer großen Leinwand die Bilder erscheinen. Sie laufen den Betrachter*innen regelrecht davon, wie bei einer rasenden Dia-Show sehen wir Schlag auf Schlag eine bunte Abfolge an Fotos ohne Kommentar. Dem Titel nach sind sie vermutlich in Kinshasa aufgenommen und zeigen Menschen, Skulpturen, Zeitschriften, Künstlerwerkstätten. Die rasenden Eindrücke sind flüchtig und gleichsam einprägsam – sie sind gewissermaßen die Einführung in die Welt der Künstler*innen, die an diesem Nachmittag Einblicke ihre künstlerische Praxis gewähren. Dann kommen die Bilder wieder, diesmal aber mit Live-Kommentar von Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly, einem ivorischen Sänger und Performer, der auf den Bilder bereits durch seinen exaltierten Look mit blondgefärbten Haaren und langen Ohrringen aufgefallen ist. Auf französisch beginnt er das schon einmal Gesehene zu erläutern, neben ihm der Performancekünstler Hauke Heumann, der singend, fast trällernd das Gehörte live übersetzt. Sie erzählen von der Academie des Beaux-Arts in Kinshasa und mit Augenzwinkern von ihrer angeblichen Ähnlichkeit zur Berliner UdK, an der die Professor*innen beständig versuchten, ihren „alten Scheiß“ wieder aufzukochen und die Student*innen, dagegen zu revoltieren.
Körperlich engagiert und lebhaft, mit vielen Gesten, die sowohl SKelly als auch Heumann exzessiv verwenden, präsentieren sie uns einen dicklichen, älteren Mann auf einem Sofa, den „Minister der Mülltonnen“; dieser habe eine „Schule des künstlerischen Nachdenkens“ gegründet und sei berühmt für seine Collagen, die „nichts Positives“ an sich haben. Die Vorstellung des Ministers der Mülltonnen dient den beiden Künstlern dazu, die Performance zu kontextualisieren: Es geht um die Frage „Wer erzählt wie von was?“
Zwar ist der Performance in ihrer Vorankündigung der Rahmen gesetzt, sich mit der Thematik der sogenannten Millenium-Goals der UN auseinandersetzen zu wollen, die zum Ziel hatten, bis 2015 die Armut in der Welt zu halbieren. Doch ohne sich mit Statistiken zu beschweren, begeben sich die seit Jahren in der Elfenbeinküste arbeitenden Gintersdorfer/Klaßen mit ihrer aktuellen Performance diesmal in ein anderes afrikanisches Land, um die Menschen vor Ort zu Wort kommen zu lassen zu dem viel beschworenen Fortschritt, oder eben zu seinem Ausbleiben. Wer will schon über die abstrakten Millenium-Goals sprechen, während es im Kongo auch ohne Zutun der Politik künstlerisch „voll abgeht“?
Besonders amüsant performt der in Kongo geborene Schauspieler und Komiker Roch Bodo den „Artikel 15“, eine Art Lebensweisheit der Kongoles*innen: „Schlagt euch durch, um zu leben“, heißt er und dreht sich vor allem darum, anderen Menschen Komplimente zu machen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Zur Untermalung dessen springt SKelly ein und singt ein Berlin-Lied, in dem er die Berliner, ihre Stadt und ihr Deutschsein über den grünen Klee lobt. Schmunzeln macht sich breit und das Gefühl, tatsächlich glauben zu wollen, was SKelly da singt.
Schön zugespitzt ist auch die Szene, in der Bodo mit zwei riesigen Moskitonetzen an Wischmobstangen bewaffnet durch den Raum schreitet und diese schließlich über SKelly und die Performerin Dada Kahindo Siku ausbreitet, während Heumann kommentiert: „Wer hat eigentlich gesagt, dass Malaria mit Insekten zusammenhängt?? 6 Millionen Moskitonetze!!“ Er nimmt damit Bezug auf die Prävention von Malaria durch Moskitonetze und die Verteilung selbiger durch die UN, frei nach der Devise „Was man zählen kann, wird auch in Angriff genommen“. Diese Stellungnahme hat zweifellos politischen Charakter, offenbart sie doch das Nichterreichen der Ausrottung von Malaria und das „Überstülpen“ von Maßnahmen von außen, die nicht den gewünschten Erfolg zeigen.
Leichtfüßig und unkompliziert handhaben Gintersdorfer/Klaßen mit ihrer aktuellen Performance ein fettnäpfchenträchtiges Thema, auch wenn rätselhaft bleibt, warum sie im Programmheft als Tanz angekündigt war: die Millenium-Entwicklungsziele der UN treten hinter der lebhaften künstlerischen Szene Kinshasa zurück.