„Wonderwomen“, Melanie Lane © Hannes Kempert

Muskelfrauen

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Melanie Lane setzt zwei “Wonderwomen” im HAU Hebbel am Ufer kraftvoll in Szene

Die Comic-Superheldin “Wonderwoman” inspirierte die Choreografin Melanie Lane zu ihrer Performance über Kraft, Stärke und Wettbewerb. Anfang der 1940er Jahre galt die Amazonenprinzessin als Ikone des Feminismus, da sie einer männerdominierten Welt entfloh und seitdem für Recht und Gleichheit einstand. Zwar sind die beiden Bodybuilderinnen Rosie Harte und Nathalie Schmidt in “Wonderwomen” keine Superheldinnen, aber sie betreten auch gemeinsam eine testosterongesteuerte (Kraftsport-)Welt. Beide treten in der Kategorie “Frauen-Physics” an. Ihre Körper formen sie nach ihren eigenen Vorstellungen. Jeder Bereich ihres Körpers ist definiert, der Körper wird zum muskulösen Kunstwerk.

Nicht zum ersten Mal arbeiten Melanie Lane und Nathalie Schmidt zusammen; bereits 2014 choreografierte Lane die Bodybuilding Routine von Nathalie Schmidt. Wie Schmidt in einem Interview verrät, würde sie gerne durch die Teilnahme an einem Wettbewerb als Personal Trainer entdeckt werden. Erfahrungen auf der Bühne hat die dreifache deutsche Meisterin mit einer Nebenrolle als Dienerin in “Turandot” am Theater Chemnitz gesammelt. Rosie Harte hingegen studierte Theater und zeitgenössischen Tanz an der UCLA, außerdem ist sie Leadsängerin einer Elektro-Swing-Gruppe. Sie arbeitet als Tanz-, Drama- und Stagecoach und nahm bisher an 18 Bodybuilding-Veranstaltungen teil.

Eine Tribüne ist auf der Bühne des HAU1 aufgebaut, sodass das Publikum den Performerinnen sehr nah sein kann. Der eigentliche Publikumsraum bleibt leer. Ein schwarzer Stoff, der an einen schimmernden Ölteppich erinnert, bedeckt die ganze Bühne. Im Halbdunkel erkennt man am rechten Rand eine Frau in naturfarbener Kleidung. Hände, Kopf und Füße sind nackt. Die dunkle Fläche bringt ihren trainierten Körper zur Geltung. Links hingegen ist der Teppich leicht eingedreht und erhebt sich etwas. Die kopfförmige Spitze lässt einen Menschen darunter vermuten. Nach und nach erkennt man Bodybuildingposen. Es sind Posen, die im Wettkampf Pflicht sind. Die Gestalt dreht sich nach vorne und winkelt für den Doppelbizeps beide Arme an, die Rückseite folgt. Eine Körperhaltung, die Mann und Frau im Wettbewerb gleich ausführen. Die Form der Frau nähert sich der des Mannes an; weibliche Gesichtszüge werden härter und der Busen straffer. Auch Schmidts und Hartes Körper sind transformiert; spannen sie später die Muskeln an, fehlt wirklich nur noch das Superheldinnenkostüm.

Nach einem kurzen, nachtschwarzen Moment liegen beide Frauen auf dem Ölteppich. Langsam winden sie sich und verharren liegend in ihren Posen. Beide Frauen keuchen, weil sie aus dem Bauch heraus atmen. Jede Bewegung scheint ein großer Kraftakt zu sein. Sie kontrollieren sie bis ins kleinste Detail. Ihre stark geschminkten Augen sind schwarz umrandet, der dunkel-glitzernde Lidschatten ist auf die Farbe des Untergrundes abgestimmt. Ändert sich die Szene, dann verändert sich auch die Beleuchtung. Die Wechsel sind jedoch nicht abrupt, möchten die beiden Performerinnen etwas ändern, dann nehmen sie es selbst in die Hand. Alles, was auf der Bühne passiert, steuern sie selbst. Möchten sie Glitterregen, dann sprühen sie glitzernde Farbe in die Luft. Kein Element verwenden sie mehrmals, ändern Frisur und Outfit selbst. Je mehr Kleidung sie ablegen, desto mehr treten ihre Muskeln in Erscheinung. Ihre Körper wirken fast unwirklich.
Nathalie Schmidt und Rosie Harte stemmen einander, simulieren Wettkampfsituationen und trainieren mit langen Stangen als seien sie Hanteln. Immer wieder ziehen sie die Stangen mit angewinkelten Armen zu sich. Leise sprechen sie eine Art Mantra: “squeeze. muscle. show.” Ein Mantra, das sie wohl im Training tagtäglich anwenden müssen, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen und um weiterhin jeden Muskel ihres Körpers kontrollieren zu können.

Jede der beiden Frauen gewinnt die Aufmerksamkeit des Publikums für sich und verliert sie wieder. Einmal nimmt Harte ein schwarzes Glitzertuch, dreht sich mit dem Rücken zum Wonderwomen-Publikum und wendet sich dem leeren Publikumsgraben des HAU1 zu, als würde sie ihren Sieg feiern wollen, ein andermal balanciert Schmidt eine sehr lange Stange in der Luft und stellt die Stange schräg. Harte tippelt tänzelnd im Hohlkreuz und mit starrem Blick nach oben unter der Stange hindurch. Trotz Hartes imposanter körperlicher Erscheinung liegt die Faszination bei Schmidts Balanceakt. In solchen Momenten kann man sich den harten Konkurrenzkampf im Business vorstellen. Durch ihre abwechslungsreiche Choreografie in Licht, Bewegung und Ton schafft es Melanie Lane, dem Publikum das Thema Kraftsport näherzubringen.