Fast wie ein Perpetuum mobile bewegt sich Milla Koistinen in „On a Clear Day“, dem letzten Teil ihrer Performancereihe in den Uferstudios.
Jahrzehntelang malte die US-amerikanische Künstlerin Agnes Martin Raster- und Streifenbilder mit hypnotischer Wirkung. Durch das Prinzip der Wiederholung war es Martins Wunsch, gleichzeitig Schönheit, Erfahrungen der Unschuld und des Glücks hervorzurufen. Milla Koistinen übernimmt das repetitive Modell Martins und bewegt sich, so als würde sie ein innerer Motor von selbst antreiben. Das wirkt meditativ und sinnlich zugleich. Wie Martins Mappe mit 30 Siebdrucken „On a Clear Day“ zeigt auch Koistinen Variationen eines Musters – statt mit dem Pinsel arbeitet sie mit (ihren) Körperbewegungen in vier Werken, die sich durch Anzahl der Performer*innen, Licht- und Tongestaltung unterscheiden. „On a Clear Day“ ist der letzte Teil der Performancereihe. In „Untitled 1 (Blue)“ performte Koistinen mit zwölf, in „N:O 2“ mit fünf, in „NO. 3: Abstract Joys of Painting“ mit zwei Performer*innen und in „On a Clear Day“ ist sie letztlich allein auf der Bühne. Jede Aufführung ist eine Variation des vorher Geschaffenen.
Das Publikum sitzt auf der Bühne, in drei vorab dezent zugewiesenen Ecken. Alle blicken auf eine große Leinwand an der Bühnenrückwand. Nach einer malerischen Einführung durch den Lichtkünstler Ladislav Zajac, der ein Meer aus Grün- und Blautönen an die Wand wirft, indem er ein blaues Transparent durch eine Windmaschine leicht bewegt und auf die leicht gelb gefärbte Leinwand projiziert, betritt Koistinen in einer Diagonale den Tanzraum. Fest auf beiden Beinen und mit dem Rücken zum Publikum stehend versetzt sie ihren Oberkörper in sanfte Bewegung. Er rotiert leicht nach links und leicht nach rechts, ihr Kopf bleibt starr. Die Arme sind angewinkelt, die schulterlangen Haare trägt sie offen. Sie schwingen bei jeder Bewegung leicht mit. Auf der Leinwand, die mittlerweile wieder etwas an Farbe verloren hat, erscheint sowohl ein starker, als auch ein schwächerer Schatten von Koistinen.
Durch das Klicken eines Diaprojektors und kurze Momente der Dunkelheit werden die Bewegungsmomente zu unterschiedlich langen Tanzszenen. Mit jedem Lichtwechsel kreiert Koistinen ein neues Bild. Während sich Zajac, mit dem die Finnin zum ersten Mal zusammenarbeitet, auf das Spiel von Licht und Schatten, Farbnuancen und Dunkelheit konzentriert, wird sich Koistinen nach und nach mit kleinen, fast unbemerkten Schritten wie eine Spieluhrfigur einmal um ihre eigene Achse drehen. Mit in sich gekehrten Körper- und Armschwingungen und großen, den Raum einnehmenden Armschlägen, die sich in Geschwindigkeit und Intensität unterscheiden, inszeniert sich Koistinen stellenweise auch wie ein Perpetuum mobile. Bei genauerem Betrachten erkennt man, dass sie der rechte Arm stärker antreibt. Ein Bruch, der Abstraktion gegenüber Perfektion den Vorrang gibt.
Geschwindigkeit, Farbe, Form, Intensität ändern sich in leichten Nuancen. Fast unmerklich wechselt die Leinwand von einem sanften Rosaton in ein blasses Violett. Die Performance begleitet der sehr dezente Sound von Paul Valikoski, der nicht klar definierbar ist. Das Rauschen könnte ein Meeresrauschen sein, das (Tier-) Geräusch das einer Möwe. Auch der Sound variiert nur leicht. Mal ist er eher basslastig, dann wieder naturnaher. Weder Musik, noch Bild, noch Klang dominieren einander, sondern begleiten einander. Dadurch schafft es Koistinen, dass am Schluss auch der eigene Körper im Geist mitschwingt und die Wiederholung begrüßt. Koistinen verabschiedet sich von absoluter Körpersynchronität und setzt auf eine Bildsprache, die sich immer wieder verändert. Durch viele kleine Aktionen erschafft sie ein fesselndes Werk, das an die Magie von Agnes Martins Werken erinnert.