Groteske Tennisspieler*innen lotsen uns quer durch die Kulturgeschichte: „Jaguar“ von Marlene Monteiro Freitas in Zusammenarbeit mit Andreas Merk im HAU 2.
Sie sind schön anzusehen, diese beiden Tennisspieler*innen mit bronzefarbener, makelloser, glänzender Haut. Aber sie sind auch befremdlich mit ihren rot überschminkten Mündern und kohlschwarzen Balken dort, wo eigentlich die Brauen sitzen und die an Gustav Gründgens als Mephisto oder die Tänzerin Valeska Gert denken lassen. Dieser erste Eindruck steht zugleich für die Architektur des neuen Stückes der Choreografin Marlene Monteiro Freitas in Zusammenarbeit mit dem Tänzer Andreas Merk, dessen Essenz das energiesprühende Oszillieren zwischen Schönem und Befremdlichen, Komischem und Tragischem ist.
Wie die beiden Künstler*innen das Übereinbringen von Gegensätzlichem als (Bewegungs-)Prinzip derart konsequent verfolgen, dass eine ganz eigene Ästhetik entsteht, ist faszinierend. Das leichte, schnelle, kleine, dauerhafte Zucken, das immer etwas Maschinelles an sich hat, aber auch an den Bewegungsablauf von Erdmännchen erinnert, dominiert die Körper selbst dann, wenn Freitas und Merk ein erotisch-hüftenlastiges, aber etwas zu schnelles Duett tanzen, an dessen Ende ein leidenschaftlicher Kuss steht. Es ist dieses Bewegungsprinzip, das das Schöne konterkariert und immer wieder ins Groteske verzerrt, Befremden auslöst oder gar Ungläubigkeit. In rasantem Tempo und mit einer Virtuosität, die einen Schleier des Schmerzes über das Geschehen legt, bewegen sich Freitas und Merk durch den minimalistisch gestalteten Bühnenraum, der lediglich von einem dezenten Rahmen aus Stahlrohren und Neonleuchten eingefasst wird. Sie tanzen Samba, sie spielen Tennis, sie laufen wie Blinde mit Gehhilfen – doch nie tun sie nur das.
Immer auch ist da diese Überzeichnung, die Überbetonung bestimmter Bewegungen oder Attribute wie die Interaktion mit den Handtüchern, die, zunächst als Sportaccessoire, später dann als Objekt zur Verwandlung dienen. An ihnen bleibt bei zunehmender Verausgabung der Tänzer*innen auch die bronzene, karnevaleske Farbe zurück, wie um eine körperliche Realitätsannäherung zu provozieren und das Geschehen auf der Bühne in all seiner eigentlichen Unmöglichkeit zur Schau zu stellen. Ein Handtuch ist außerdem verantwortlich für das skurrilste Bild des Abends: Andreas Merk, in Krähenposition hockend, hält das Handtuch so, dass es den gesamten Mittelteil des Körpers verbirgt und nur noch Kopf und Unterschenkel zu sehen sind – der Kopf erscheint so überdimensional groß und fast wie ein Otto Dix-Porträt.
Schwierig einzuordnen bleibt die Abfolge der verschiedenen Sequenzen, die sich inhaltlich und sehr voraussetzungsreich mit verschiedenen Aspekten und Persönlichkeiten der jüngsten Kulturgeschichte beschäftigen. Mary Wigmans Hexentanz geistert durch den Körper Merks ebenso wie die gewaltig-wuchtige Musik Strawinskys auch hier seine Frühlingsopfer fordert. Gen Ende wird noch ein bläulich anmutendes Styropor-Pferd von beachtlicher Größe zerlegt, das – als Anspielung auf die Künstlergruppe Der Blaue Reiter – bereits seit Beginn der Choreografie am linken Bühnenrand stand. Die sichtliche Anstrengung dabei ist natürlich auch die Anstrengung der Künstler*innen mit dem historischen Material und des Umgangs damit. Freitas und Merk scheinen in ihrer Choreografie auch deshalb die Betonung auf das schwankende Moment zu legen, immer zerrissen zwischen Einflussnahme, Virtuosität und Verausgabung. Wermutstropfen bleiben dabei die bildungsgeschichtlichen Andeutungen, die nerviges Distinktionslachen provozieren.