Bei den Potsdamer Tanztagen präsentieren Eko Supriyanto mit „Balabala“und Daina Asbhee mit „Unrelated“ politische Stücke mit sehr unterschiedlichen ästhetischen Strategien.
Schweres Stampfen. Mahlendes Drehen der Handgelenke. Ein hochgezogenes Knie, machtvoller Ausfallschritt, die Fäuste übereinander als umklammerten sie einen Speer. Und dabei stets: der bohrend direkte Blick ins Publikum. Fünf Frauen exerzieren in Eko Supriyantos „Balabala“ bei den Potsdamer Tanztagen nordindonesische Kriegstänze und Kampfkunst – Bewegungsmaterial, das traditionell eher Männern vorbehalten ist. Tief eingeleibt erscheint das Gezeigte: Enorm kraftvoll und energiegeladen, zugleich aber schwerelos elegant wirken die gesprungenen Kombinationen, die unablässigen Kicks und Wechselschritte zu heiter anmutenden Gesängen oder treibenden Trommelklängen. Tief in den Knien, den gestreckten Oberkörper vorgebeugt, erwecken die Tänzerinnen den Eindruck von Bodenhaftung, auch wenn sie sich unablässig ermüdungslos in die Luft katapultieren. Diese Fünf, so denkt man, wissen um ihren Standpunkt.
Emanzipatorisch ist das Anliegen, das Supriyanto mit „Balabala“ (2016) verbindet. Jenseits gesellschaftlich vorgegebener Pflichten (und oft wohl auch: häuslicher Gewalt, so der Ankündigungstext) entdecken sich – stellvertretend für die Frauen ihrer Community im nordindonesischen Jailolo – die fünf Tänzerinnen als ein kraftvolles Kollektiv. Dass sie keine Bühnenprofis sind, sondern im vergangenen November in Jakarta erstmals vor einem größeren Publikum standen, ist kaum vorstellbar, so fokussiert und präsent wirken sie in ihrem Tun. Gelassenheit strahlen sie aus bei höchster Anstrengung, locker entspannt erscheinen ihre Körper trotz der aufgebotenen Athletik. Eine mit Krieg und Kampf assoziierte Anspannung manifestiert sich lediglich in den Fäusten, die sie fast durchgängig geballt halten.
Formalismen statt Folklore
Verdanken mag sich die irisierende Kombination von Mühelosigkeit und Konzentration dem Kampfkunsttraining – Elemente des in unzähligen Varianten verbreiteten indonesischen Pencak Silat hat Eko Supriyanto in „Balabala“ aufgenommen. Auch ein lang gewachsenes Vertrauen mag eine Rolle spielen: Seit 2012 arbeitet der javanesische Choreograph mit der lokalen Community in Jailolo, einer Stadt auf der Insel Halmahera in der nordindonesischen Provinz Maluku Utara (bei den europäischen Kolonisatoren als „Gewürzinseln“ oder „Molukken“ bekannt). Dort hat er auch Yimna Meylia Meylan Runggamusi, Siti Sadia Akil Djalil, Yezyuruni Forinti, Mega Istiqama Arman Dano Salch und Dian Novita Lifu gecastet. Ein Lebendig-Halten und Bekanntmachen der traditionellen Tänze – hier: Cakalele und Soya-Soya – hat sich Eko Supriyanto zur Aufgabe gemacht..Mit „Balabala“ gastierte die Truppe etwa in Singapur, Sidney, Antwerpen oder Frankfurt.
Über ein folkloristisches Projekt geht „Balabala“ allerdings weit hinaus: Zum Bühnenstück formt Supriyanto das appropriierte Material, indem er es verfremdet, fast analytisch formalisiert. Getanzt wird nicht im Kreis, die Verständigung findet nicht innerhalb der Gruppe statt – wie man das bei traditionellen Tänzen vermuten würde –, sondern die fünf Frauen sind fast durchweg frontal zum Publikum ausgerichtet, wie ein Keil mit der Spitze zu den Zuschauer*innen oder auch lose im Bühnenraum verteilt. Verlangsamt, die Posen eingefroren, einzelne Schritte unablässig wiederholt, werden die einem gemeinschaftlichen Ritual entlehnten Bewegungen zur Demonstration eines auch individuellen Behauptungswillens. „Aufsteigen, sich erheben“ bedeutet balabala laut Programmheft – ein Wandel gesellschaftlicher Hierarchien ist angezeigt, so der Titel. Oder eine Wiederherstellung: In den 60ern durften Frauen den Cakalele tanzen, wie Supriyanto auf Fotodokumenten feststellte. „Balabala“ ist daher eher eine kraftvolle Restitution als eine brachiale Revolution.
Brutalität ohne Befreiung
Ein politisches Anliegen hat auch Daina Ashbee. Für ihr Duett „Unrelated“ (2014), das die Potsdamer Tanztage in ihrem diesjährigen Kanada-Fokus zeigen, wählt sie allerdings einen radikal anderen Ansatz als Eko Supriyanto. Während dieser den Weg der Formalisierung geht, setzt die kanadische Choreographin auf die Erzeugung von Emotion. Ihr Thema ist die Gewalt gegen indigene Kanadierinnen – mehr als 1.000 Frauen wurden zwischen 1980 und 2012 ermordet, rund 200 gelten als vermisst, die Dunkelziffer ist vermutlich hoch, so die kanadische Bundespolizei. Rassismus und Armut, Drogenhandel oder Sexarbeit sind Gründe, warum indigene Frauen in Kanada überproportional häufig Opfer von Gewalttaten werden, so zitiert das Programmheft Amnesty International. Harter Stoff! In entblößt-schutzloser Nacktheit steht Paige Cully auf der Bühne des Potsdamer T-Werk und versucht, mit ihrem Blick einen Kontakt herzustellen, tastet das Publikum ab nach Verbündeten. Überpräsent ist ihr entkleideter weißer Körper, der in eine kaum merkliche Schutzhaltung gekrümmt erscheint – minimal vorgeneigte Schultern, vorsichtige Schritte wie auf Scherben. Eine malträtierte Hülle, aus der es kein Entkommen gibt.
Stark ist dieses Bild. Aber allzu eindeutig erscheint die Wirkabsicht, das Gezeigte als Mittel zum Zweck. „Unrelated“ ist Anklage und Statement, mitgefühlter Schmerz – auch Daina Ashbee gehört der von Gewalt betroffenen Minderheit der Métis an –, übersetzt in fast pantomimische Körperbilder: Areli Moran markiert Faustschläge ins eigene Gesicht, wirft sich gegen die Rückwand als würde sie brutal gestoßen und ringt somnambul wie unter Drogen mit einem metallenen Garderobenständer. Bei Paige Cully gewinnen einzelne Sequenzen mehr Vielschichtigkeit. Ihre Haare, strähnig schwarz vors Gesicht gekämmt, wirken wie ein schützender Vorhang – und zugleich wie ein Symbol weiblicher Autonomie. Wenn sie, nackt auf allen Vieren, ihren bloßen Hintern gegen die Rückwand rammt und dazu mit der Ferse aufstampft, oszilliert dieses Bild zwischen sexueller Misshandlung und wilder Auflehnung, schmerzvoller Pein und dem wütenden Zerren eines gefangenen Tieres an seiner Kette.
Emanzipieren jedoch kann sich in „Unrelated“ keine der beiden Performerinnen, anders als die Frauen bei Supriyanto. Befangen in einem gewaltvollen, abstumpfend-betäubenden Universum, nehmen Cully und Moran nur vorsichtig Fühlung auf, scheinen einander im Raum eher zu spüren denn wirklich wahrzunehmen. Am Schluss treten die beiden an einzelne Zuschauer*innen heran, ihnen ein Fell zum Fühlen reichend oder die Hand, in einer pathosgeladenen Geste des Verbindung-Suchens. „Unverbunden“ bedeutet das englische unrelated: Überwinden wollen Ashbee und ihre Tänzerinnen diese Trennung. Sensibilisieren für das Leid der Frauen. Mitleid wecken. Zweischneidig ist dieses gut gemeinte Unterfangen. Ausweglos bannt es die Frauen in die Opferrolle.