„Pink Unicorns“, La Macana ©Jörg Landsberg

Kraftvoll, akrobatisch, männlich?

In „Pink Unicorns“ der spanischen Company La Macana treffen Vater und Sohn in einem bunten Mix aus Tanz und Akrobatik aufeinander. Im Rahmen von PURPLE – 5. Internationales Tanzfestival für junges Publikum ist das Stück noch bis diesen Sonntag, 29. August 2021 im HAU1 zu sehen.

Die Schüler*innen, die am Donnerstagvormittag in der mit der Altersangabe 11+ ausgewiesenen Vorstellung im HAU1 sitzen, wurden sicherlich buchstäblich vom Klassenzimmer ins Theater geholt. Und auch der Beginn des Stücks schlägt zunächst diese Brücke, wenn sich Vater Alexis Fernández und Sohn Paulo Fernández gegenseitig nach Hauptstädten und Vokabeln abfragen. Spielerisch und immer wieder davon angetrieben, den Anderen herauszufordern, erschaffen die beiden Tänzer eine dynamische und unterhaltsame Welt. Da sind dröge Schulstunden schnell vergessen. Die Teenies der deutsch-kubanischen Schule neben mir haben den klaren Vorteil, das auf der Bühne gesprochene Spanisch direkt zu verstehen – für alle anderen gibt es deutsche Übertitel. Aber meistens sind Körpersprache und Situation aussagekräftig genug, um zu verstehen, was Vater und Sohn verhandeln.

Es wird immer wieder auf pantomimische Elemente zurückgegriffen, um die von Komik und Witz geleiteten Szenen zu gestalten. Ein einfaches Seil wird zur Schlange, die beschwört oder gegen die gekämpft wird. Als Mikro oder zum Shisha-Rauchen lässt es sich ebenfalls nutzen. Die Szenen sind für das junge Publikum gut zu entschlüsseln und greifen bekannte Elemente auf. Bei der Szene, in welcher das Seil in Kreisen auf dem Kopf gelegt ist und das andere Ende zum Shisha-Schlauch wird, schwanke ich zwischen dem Wertschätzen von kulturell vielfältigen Anspielungen und ersten Bauchschmerzen bezüglich gesellschaftlicher Stereotypen.

Aber die stimmungsgebende Musik mit ihrer guten Mischung aus popkulturellen Hits und Klassikern lässt mich zunächst weiterschwingen. Es ist auch wirklich unterhaltsam, mathematische Fakten wie einen 90-Grad-Winkel von einem leidenschaftlichen Tänzer in Badehose demonstriert zu bekommen. Offensichtlich Ballett-geschult hebt er sein linkes Bein zum rechten Winkel und lässt poetisch weitere schulverwandte Inhalte durch seinen Körper fließen. Mathematik sei Würde und Freundschaft, ruft er, und viele der Kids im Raum lachen.

Komisch sein können die beiden Tänzer, die zunächst jeweils eine sehr kurze Hose und ein langärmliges Hemd tragen, wirklich gut. Deutlich wird das zum Beispiel, als sie zu einer ersten synchronen Choreografie voller Zitate aus viralen Internet- und Tiktok-Videos, wie z.B. dem Floss-Dance, ansetzen. Auch hier sitzt die musikalische Begleitung taktgenau und der anfängliche Vanilla Ice-Klassiker verwandelt sich zu einem bunten musikalischen Medley. In selbstbewusster Entertainer-Manier holen uns Vater wie Sohn in eine bunte, kraftvolle Welt.

Dass ein gemeinsames Herumalbern die Generationen verbindet, kennen hoffentlich viele der Zuschauenden aus ihren eigenen Familien. Sich gegenseitig herauszufordern oder sich übereinander lustig zu machen, ist im familiären Kontext sicher in allen Kulturen gang und gäbe. Doch es ist schade, dass „Pink Unicorns“ in den insgesamt 70 Minuten Spieldauer nicht über diese Ebene der Komik und des Auftrumpfens hinauskommt. Energiegeladen und beeindruckend ist es ohne Frage, was die beiden Tänzerkörper an Sprüngen und akrobatischen Tricks über den Verlauf des Stückes präsentieren, aber es ist eben leider auch eine sehr einseitige Art von Männlichkeit, die Vater und Sohn auf die Bühne bringen.

Auch wenn das Thema Männlichkeit nicht explizit verhandelt wird, schwingt es mit. Und es bedient sich gesellschaftlich habitualisierter Sehgewohnheiten, wenn in der zweiten Stückhälfte die kurze Hose gegen eine Jeans eingetauscht wird und der Oberkörper frei bleibt. Einmal mehr sehen heranwachsende Kinder halbbekleidete, durchtrainierte Männerkörper, die sich gekonnt bewegen und kraftvoll springen können. Humorvoll und akrobatisch werden weiße Sixpacks in Szene gesetzt. Die wenigsten der Kids im Saal sehen wahrscheinlich so aus oder werden so aussehen, wenn sie älter sind. Bleibt zu hoffen, dass ihnen in anderen Kontexten auch andere Körper und Ideale gezeigt werden. Die unterhaltsamen Szenen und Tricks hätten wahrscheinlich auch gut mit Oberbekleidung funktioniert und die nackten Beine zu Beginn waren weitaus weniger klischeebesetzt.

Aber auch das Bewegungsvokabular selbst kommt aus diesen stereotypen Männlichkeitsbildern nicht heraus. Es sind von Beginn an ausladende Gesten muskulöser Körper, die immer wieder im Wettbewerb miteinander stehen, und viele beeindruckend hohe Sprünge, die Kraft demonstrieren. Das sind typische Bewegungsmuster dominanter Männlichkeit, wie sie tanzgeschichtlich und kulturell in den Körper und die Kunst Eingang gefunden haben. Es werden in diesem Sinne Geschlechterrollen auf der Bühne reproduziert, die wir aus einer patriarchalen Gesellschaft nur allzu gut kennen. Selbst ein Contact Impro-Duett zwischen Vater und Sohn lässt kaum weiche und liebevolle Bewegungen oder gar Berührungen zu, sondern ist geprägt vom technischen und sportlichen Körperkontakt.

Auch wenn sich die beiden gegen Ende wie zwei Wölfe anknurren oder wie Gorillamännchen auf die Brust schlagen – offensichtliche Karikaturen animalischer Dominanz – bleibt das Stück in eben dieser Sphäre. Nahtlos und ohne jeden Bruch fügen sich diese sicherlich ironisch gemeinten Übertreibungen in den bunten Kosmos aus Kraft und Testosteron. Dabei sind doch heranwachsende junge Männer und erfahrene Väter so viel mehr als das. Wo bleiben die Facetten von Unsicherheit, Traurigkeit oder Schmerz, die nicht weggelacht werden müssen?


„Pink Unicorns“ von La Macana ist dieses Wochenende, am 28. und 29. September 2021, jeweils um 19.00 Uhr im HAU1 im Rahmen von PURPLE – Internationales Festival für junges Publikum zu sehen.