„Sheroes – eine Choreografie jenseits männlichen Heldentums“, Christoph Winkler © Rolf Arnold

Jede sollte eine Shero haben. Oder: „All Heroines must die“

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Christoph Winkler inszeniert am Ballhaus Ost neue-alte Held*innen-Vorbilder, die uns aus der binären Weltordnung kaum retten können.

„Question: Tell me how you feel about this: I buy my own diamonds and I buy my own rings“, fragen Destiny‘s Child in ihrem Song „Independent Women“ 2001 und landen damit gleich für mehrere Wochen auf Nummer Eins der US-Amerikanischen Single Charts.
Damals (als es noch Single Charts gab) klangen diese Sätze nach Feminismus, Freiheitsgeist, Freund*innen- und Held*innentum.

Question: was, wenn sechs Performerinnen über ein Viertel Jahrhundert später diese Hymne ausrufen, sich in Girl-Band-Power und Holzhacken üben, männlich konnotierte Heldengesten adaptieren, übertreiben, sehr viel cooler darin aussehen (wer will noch Männer beim Holzhacken sehen?) und am Ende offen bleiben muss, was nun echte Sheroes eigentlich auszeichnet?

Nicht erst durch feministische Analysen zu Kinderbüchern ist deutlich geworden, dass es an weiblichen, erfolgreichen Vorbildern mangelt. Christoph Winkler und die sechs Tänzerinnen-Performerinnen haben sich der Schwierigkeit gestellt, tänzerische Heldinnen-Bilder zu erschaffen, gleichzeitig tappen sie bei fast bei jedem zweiten Schritt in die „Girl-Power-Falle“. Das wäre dann auch die schärfste Kritik, die sich am Stück üben lässt: „Sheroes“ setzt eine Gruppe von ausdrucksstarken und charakteristischen Tänzerinnen in Szene, die der männlichen Helden-Schablone auf jeden Fall Paroli bietet, gleichzeitig jedoch ein relativ einheitliches Bild von Weiblichkeit (Girl-Power) produziert. Da sind wir wieder bei den Repräsentationen. Indem sich die Sheroes hauptsächlich an der Abgrenzung/Aneignung längst verstaubter Männlichkeitsposen abarbeiten, können sie der alten Machtspirale nie ganz entkommen, das Held*innentum nicht neu erfinden. Diese Bredouille beobachten sie selbst am besten:

„Wir könnten jetzt eine Szene machen, in der eine Frau durch ein Dorf reitet und alle tötet, aber…“ Darum kann es irgendwie auch nicht gehen: einfach nur die stumpfen Action-Helden zu kopieren: „…aber das wusstet ihr schon alles“, heißt es zu Beginn des Stückes. Alles schon gesagt?

Question: Tell me how you feel about this: 2017 freuen sich (männliche) Theaterkritiker darüber, dass ein Stück keine „typische Feminismus-Diskurse wiederkäuen“ würde und man außerdem keine Ahnung von modernem Tanz zu haben brauche, um der Choreografie folgen zu können“ . Herzlichen Glückwunsch. Oder haben die nur nicht richtig hingeguckt? Stimmt schon: „Sheroes“ setzt an einem relativ breitenwirksamen Konzept von Heldentum an, das Stück hat durch seine Anlehnung an Pop-Kultur und durch die relativ zugänglichen Gesten und Aussagen auf jeden Fall Unterhaltungswert. Winkler scheut sich (wieder einmal) nicht vor Spaß an der Bewegung und wirkungsstarker Dramaturgie: In stylischer Musikvideo-Ästhetik fegen die sechs Tänzerinnen über die Bühne, Breakdance-Einlagen und Club-Moves wechseln sich ab mit zeitgenössischem Bewegungsmaterial. Obwohl in einer Szene nicht ganz klar wird, ob sich hier ein ironischer Seitenhieb auf somatische Praktiken eingeschlichen hat: eine Tänzerin tritt als Gruppenleiterin auf, die die anderen dazu auffordert, jetzt erst mal „im Raum anzukommen, die eigene Präsenz zu spüren“ usw., ist es dennoch spannend, einen anderen ‚freieren‘ Tanz zu sehen, der stärker von den individuellen Bewegungserfahrungen der Sheroes zu kommen scheint. Ist hier dann doch so etwas wie ein Versuch, ‚zeitgenössische‘, zukunftsweisende Held*innen-Figuren zu kreieren, angedeutet?

Andererseits kommen selbst die Sheroes nicht aus der (noch immer) binären Struktur unserer Gesellschaft und der strukturellen Benachteiligung von Frauen heraus: „If you get pregnant, you get fired.“ Wäre es nicht höchste Zeit für neue Held*innen?
Question.