„Rasp Your Soul“, Kat Válastur © Dorothea Tuch

Hingabe an die digitale Welt zum Preis von zerraspelten Seelen

Kat Válastur entwirft im HAU 3 für “Rasp Your Soul”, den ersten Teil ihrer Trilogie „The Staggered Dances of Beauty“, eine kulturpessimistische Skizze.

„Jaaaaaaa… Yeeeeahhh. … Joaaaahhhrrrrrrr“

Ein junger Mann in Blue Jeans und weißen Sneakern räkelt sich in Worten, die nicht seine eigenen sind. Wellen durchfahren seinen Körper, seine Bauchdecke hebt und senkt sich – er reißt den Mund auf, eine Zunge streckt sich weit hervor, tastet den Umraum ab. Geschmack von Entfremdung, Fragmentierung des Subjekts liegt in der Luft. Die Worte und Regungen sind von außen diktiert, abgeschnitten von diesem Körper, der schon längst schizophren geworden ist. Seine Stimme kommt vom Band, ist elektronisch verändert – er kann ihr nur noch synchron nachsprechen, beipflichten, die Form erfüllen, obwohl immer eine Millisekunde zu spät – er kann, er muss sich im Pantomimischen zurechtfinden. Seltsam ferngesteuert und bemüht, den leeren Gesten etwas Komisch-Tragisches abzugewinnen.

Choreografin Kat Válastur beginnt ihre neue Werkreihe „The Staggered Dances of Beauty“ mit einem Solo für den Performer Enrico Ticconi, der sich wacker diesem ersten schwankenden Schönheitstanz ver-spricht. Dabei geht „Rasp your Soul“ auf eine Weise an die Substanz, dass das Seelenlose der fremdgesteuerten Bewegung im Fokus der Choreografie steht. Zwischendurch wirkt dieser Körper wie einer, der verloren auf einer einsamen Insel plötzlich fremde Stimmen hört. Ticconi bewegt sich richtungslos und unentschieden auf einem abgesteckten Teppich aus übergroßen Puzzleteilen, seine Handlungen führen ins Leere, entfalten eine eklektische Aneinanderreihung von Szenen, die sich über die Dauer des Stücks immer wieder abnutzen muss. Das Prinzip der ferngesteuerten Stimmen und des Körpers, der ihnen folgt, ist konzeptuell interessant, führt jedoch im Laufe des Stücks nicht sehr viel weiter, wenn man es einmal verstanden hat.

Die seltsame Gegenüberstellung aus elektronisch-verzerrten Stimmen (TECHNIK) auf der einen, und animalischen, archetypischen Bildern auf der anderen Seite (MENSCH ALS NATURWESEN) geht dann irgendwie doch nicht so ganz auf. Ist es denn wirklich so schlimm mit dem Internet? Rennen wir in Zukunft nur noch der eigenen Eitelkeit, dem eigenen Abbild und Likes hinterher?… Ich versuche, den Kulturpessimismus für einen Moment beiseite zu lassen und meinen Blick auf das Bewegungsvokabular des Performers zu lenken. Das wird immer dann spannend, wenn er die Stimmen, Töne und Wörter, die ihm in den Mund gelegt werden, nicht nur pantomimisch bebildert, sondern auf subtilere Weise verkörpert. Wenn die „stylische Hülle“ nicht zu den nach vorn geneigten Schultern, dem leicht gekrümmten Rücken und den schlaff und den müde gewordenen, baumelnden Armen passen will. Zugegeben: Enrico Ticconi hält dieses Marionetten-Spiel ausdauernd und konzentriert durch, das Problem ist eher, dass es sich ausschließlich in diesem Nicht-Ort (der Digitalen Welt?) abspielt und ein allzu eindimensionales Bild erschafft. Ist es nicht in „Wahrheit“ ein bisschen komplizierter? Können wir das Digitale und Analoge überhaupt noch trennen und wenn nicht – muss das zwangsläufig zu „Entfremdung“(wovon?) führen?

Ein tiefes, herzzerreißendes Jaulen erlöst Performer und Publikum aus der beklemmenden Szenerie – aber, wo liegt dieses sogenannte Draußen?