„The Emergency Artist“, Clément Layes © Dieter Hartwig

Interviewreihe: Tanzhybriden – Clément Layes

Mit Besen, Eimern, Kisten und Stühlen, die sich kühn und aus eigenem Antrieb bewegen, schafft Clément Layes Choreografien mit Alltagsgegenständen. Seine jüngste Recherche, „The Emergency Artist“ (2018), lässt er mit dem Hintergrund eines 90-Grad-Holzwinkels in Interaktion treten. In der Mitte des Stücks dreht sich die Konstruktion und drei Performer*innen in Schwarz erscheinen unerwartet. Ich wollte mit einem Blick ‚hinter die Kulissen‘ dem Geheimnis seiner performativen Elemente auf den Grund gehen.

Hast du den kreativen Prozess an „The Emergency Artist“ mit dem Bau der Konstruktion begonnen?
Ja. Ich hatte die Idee des Winkels, lange bevor die Proben begannen. Es dauerte eine Weile, um das Bühnenbild zu vollenden und die richtigen Materialien zu finden. Dann baute ich es zusammen mit einem der Performer, dem Visual Artist Jonas Maria Droste, in meinem Studio. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir die Objekte selbst herstellen, somit in Kontakt mit dem Material sind und Erfahrung und Objekt nicht voneinander trennen.

Wie entwickelst du die Performance in Beziehung zur Konstruktion?
Zusammen mit den Performerinnen habe ich die vielen Möglichkeiten der Konstruktion erforscht. Wir wussten, sie würde kippen und sich drehen und wir spielten mit ihren weiteren Potentialen. Alle waren daran beteiligt, die Form der Konstruktion weiterzuentwickeln und ihre Details festzulegen. Zum Beispiel sagten die Performerinnen, sie würden Treppen an der Rückseite benötigen, und so nahmen wir diese hinzu. Dies war möglich, weil das Produkt nicht fertig war, es war noch im Entstehen. Ich arbeite oft auf diese Weise: Die Dramaturgie entsteht mit der Entwicklung des Bühnenbildes. Für dieses Stück hatten wir lediglich zwei Wochen, denn die Idee war die Implementierung eines Notfalls innerhalb des kreativen Prozesses. Dies hatte zu bedeuten, dass der normale Trial-and-Error-Ablauf kondensiert war und am Ende gab es kaum etwas, das wir herausgenommen hätten. Was produziert war, behielten wir.

Würdest du dich in erster Linie als Performer, Choreograf oder als Bühnenbildner bezeichnen?
Ich studierte Tanz am Conservatoire national supérieur de musique et de danse in Lyon. Ich habe mich auch etwas mit Philosophie beschäftigt, als ich jünger war, wie mit allerhand künstlerischen Praktiken. Scheinbar wird man, wenn man eine Tanzausbildung absolviert, ab einem gewissen Punkt als Tänzer definiert. Und erst danach wird man als Choreograf wahrgenommen. Diese Art zu denken ist Teil eines spezialisierten Systems: Uns wird glauben gemacht, dass wir viele Dinge nicht tun können, wenn wir nicht ‚Experten‘ sind. In seinem Buch „Der unwissende Lehrmeister“ (1987) schlägt Rancière, als eine Provokation gegen das Monopol des Wissens, vor, dass man Dinge selbst von Leuten lernen könne, die diese Dinge nicht wissen: Du entscheidest zu lernen. In diesem Sinne denke ich, dass die Produktion von Kategorien ein Bedürfnis der Institutionen ist und kein Bedürfnis von Künstlern oder Makern. Vor fünfzehn Jahren war ich an einem Projekt mit Boris Charmatz beteiligt, in dem wir diese Kategorien tiefgehend bearbeiteten, und erforschten, wie man sich nicht von diesen definieren lässt. Seitdem versuche ich mich als frei von diesen Kategorien zu denken, vielleicht lediglich als Maker.

Deine Performances sind in hohem Maße technisch. Gibt es bestimmte Fähigkeiten, die du bei deinen Performer*innen voraussetzt?
Es gibt einige Fähigkeiten, die für diese Art von Arbeit notwendig sind, aber ich denke, dass jeder sie erlernen kann. Man braucht keine Tanzausbildung, um zu lernen, wie man ein Plié macht oder über den Boden rollt. Zum Beispiel ist einer der Performer, Steven Koglin, in „Kunst der Fortbewegung“ (art du déplacement) ausgebildet – er versteht und übernimmt Bewegungen leicht, ohne dass er irgendeinen Tanzhintergrund hätte. So ist es auch mit dem Zimmerhandwerk. Ich habe die einfachen Grundlagen von meinem Vater gelernt, als ich ihm als Kind dabei zusah, wie er Häuser baute. Es geht vielmehr um eine Art zu Denken. Für dieses Stück brauchten wir eine spezielle Bewegungs- und Sprechtechnik. Es muss nicht Jahre dauern, um eine Technik zu entwickeln – tatsächlich waren wir sehr schnell. Das Verstehen der eigenen Ziele und Visionen macht es möglich. Das ist vermutlich, wohinein man die meiste Arbeit stecken muss.

Was war dann die Vision?
Ich hatte keine Ahnung, wie das finale Stück aussehen würde, aber ich hatte eine Idee seines Gefühls. Heutzutage leben wir mit dem ständigen Gefühl, dass etwas Katastrophales passieren kann: Uns könnte ein Finanzcrash bevorstehen oder ein Kraftwerk könnte jeden Moment explodieren. Obwohl diese Gefühle von Unsicherheit oder Gefahr in unserer Hochrisikogesellschaft immer gegenwärtig sind, heißt das nicht, dass tatsächlich irgendetwas passiert, aber wir leben in Angst. Ich wollte dieses Gefühl in den Körper und die Sprache, die wir auf der Bühne verwenden, transkribieren.

Denkst du, dass das Konzept, etwas zu meistern, noch relevant ist?
Vielleicht war es für die Generationen vor uns relevant, denn das Leben in den 1960er Jahren war sehr anders. Heutzutage ist jeder so spezialisiert in ihremseinem Feld, dass es darum geht, Verbindungen zwischen diesen herzustellen. Ein geforderter Standard des Könnens ist nur in Bezug auf eine Technik relevant. Ich denke nicht, dass künstlerisches Schaffen gemeistert werden kann, ganz im Gegenteil. Künstlerisches Schaffen hat nichts mit Kontrolle zu tun, sondern eher mit einem Prozess des Loslassens und Sich-Ergebens an das Verlassen von etwas. Du kannst den Kontext designen für etwas, das eintreten möge, aber es gibt keine Garantie dafür, dass dies funktionieren wird. Mein Antrieb, etwas zu schöpfen, ist nicht mit dem Drang verbunden, etwas zu meistern, es geht mehr um einen Drang nach Freiheit und danach, etwas Unbekanntes zu schaffen. Trotzdem ist in diesem Stück alles unter Kontrolle und Meisterhaftes spürbar. Obwohl der Geist des Scheiterns immer gegenwärtig ist.

Es scheint, dass in „The Emergency Artist“ die Verwendung von Worten und Sprache ebenso wichtig war wie die Verwendung von Materialien. Was für eine Beziehung hast du zu Sprache?
Ich habe nun viele Jahre mit Sprache und Bewegung gearbeitet. Die Idee dahinter ist, dass es zwei Bezeichnungsstränge sind, der eine entwickelt sich mittels des Körpers, der andere durch die Sprache. Wenn die Bezeichnungsstränge sich überlappen, wird die Bedeutung klar. Es gibt einen Moment des Verstehens, wenn man „ah!“ sagt oder man lachen muss. Es ist wichtig, Tautologien zu vermeiden, damit es nicht zu offensichtlich wird und damit langweilig. Andererseits, wenn die beiden Bezeichnungsstränge weit voneinander entfernt sind, entsteht eine Situation des Schwimmens, in der man nicht weiß, worum es eigentlich geht. Es ist interessant, sich in diesen Bereich zu begeben, denn die Leute haben einen starken Drang zu verstehen. Uns hungert danach, Sinn aus den Dingen zu ziehen und zu wissen, was sie sagen wollen. Der Akt des Benennens nimmt sie gefangen und so liegt die politische Kraft der Arbeit im Wieder-Öffnen dessen, was die Bedeutung der Dinge sein könnte. Um dies zu erreichen, muss die Arbeit nicht dem Zweck dienen, den Drang der Zuschauer ‚zu wissen‘ zu erfüllen.

Du erwähntest zuvor deine Beschäftigung mit Philosophie. Welche Schriften haben deine Arbeiten inspiriert?
„Das Auge und der Geist“ (1960 von Merleau-Ponty. Ich interessiere mich für Phänomenologie und die Idee, dass man der Welt ohne Sprache begegnen kann. Aber sogar wenn meine Arbeit sich der Welt ohne Sprache wieder-annähern will, scheint es immer, als würde man irgendwie zur Sprache zurückkommen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Lacan wieder-lese. Ihm nach leben wir in der Sprache, es gibt nichts anderes. Ich interessiere mich auch für Neo-Materialismus, spekulativen Realismus, und die Position des Objekts aus einer nicht-menschlichen Perspektive neu-zu-denken – zum Beispiel „Vierfaches Objekt“ von Graham Harman (2011). „Vibrant Matter“ (2009) von Jane Bennett ist eine tolle Reflexion über die Kraft der Objekte und wie sehr wir beeinflusst sind durch das, was wir bauen und benutzen. Jedes Stück führt auch zu anderem Recherchieren. In der vorhergehenden Arbeit in 2017, „The Eternal Return“, war Nietzsche wichtig, während ich mich für „The Emergency Artist“, zum 50-jährigen Jubiläum von ‘68, mit situationistischem Denken und dem Revolutionsslogan auseinandersetzte.

Was machst du während deiner idealen Trainingseinheit?
Vor nicht allzu langer Zeit, zur Tanzplattform im PACT, entdeckte ich eine Technik, die „chöd“ (deinen Dämonen füttern) heißt. Es ist eine Meditationstechnik, in der du lernst, dir deinen Dämonen zu vergegenwärtigen und mit ihm zu sprechen. Du lernst, ihn zu nähren und diesen unterdrückten Teil deiner selbst zu integrieren. Du lernst zu geben was er braucht (nicht was er will). Ich war überrascht und glücklich darüber, diese Meditationstechnik entdeckt zu haben. Ich nehme auch oft an Vipassana-Meditationsretreats teil, bei denen man um vier Uhr morgens aufsteht und zehn Stunden am Tag meditiert und für zehn Tage nicht spricht. Ich mag es, mich in herausfordernde Situationen wie diese zu begeben. Wenn du älter wirst, gerätst du mehr in Muster und die Dinge werden gesetzter, somit ist dies ein Weg, weiterhin zu lernen.

Die Tanzhybriden-Interviewreihe erforscht multidisziplinäre Ansätze zeitgenössischer Performance in Interviews mit drei Künstler*innen, die ihre Arbeit entlang der hybriden Disziplinen Tanz/Musik, Tanz/Schreiben und Tanz/Bühnenbild verorten.

Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski


Die drei Originalinterviews in englischer Sprache sind unter folgenden Links zu lesen:
Tanzhybriden-Interview mit Manon Parent
Tanzhybriden-Interview mit Tim Etchells
Tanzhybriden-Interview mit Clément Layes