„How to proceed“, ZOO/Thomas Hauert © Bart Grietens

Umwickelt und verstrickt

Thomas Hauert und seine Company ZOO bringen mit „How to Proceed“ eine Deutschlandpremiere, ihr eigenes Geburtstagsgeschenk zum 20-jährigen Jubiläum, mit bunten Stoffschnüren zu den Potsdamer Tanztagen. Ein Sprachen- und Stimmenwirrwarr, ein Verstricken und Verknäulen in stets aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen und in jeder Menge Stofffetzen.   

„Wie rechtfertigst du deine Privilegien? Wie gehst du mit den Dingen um, die dich demoralisiert haben? Wie lebst du dein Leben von Tag zu Tag, ohne dass dir diese Sachen, auf die Stimmung schlagen?“ Der in Brüssel lebende Schweizer Choreograph Thomas Hauert startet mit den großen Gesellschaftsfragen, während er sich selbst in den Stoffschnüren verwickelt hat und wie eine Raupe im Kokon im Netz einer Spinne gefangen scheint. Doch die Produktion seiner eigenen Company ZOO bleibt nicht in der lähmenden Ohnmacht solcher Fragen stecken, die man sich vielleicht in einer Midlifecrisis oder angesichts scheinbar unlösbarer gesellschaftlicher Probleme stellt.

Die acht, fast neun, Performerinnen – eine von ihnen ist hochschwanger – befreien sich immer wieder lautstark, kraftvoll und selbst-ironisch schimpfend aus ihren eigenen Verstrickungen in Stoffknäulen. Die zahlreichen bunten Streifen wabern über den Bühnenboden, umgarnen die Performerinnen auf immer wieder neue Art und Weise und stehen als ein chaotisches Gewebe im Zentrum der Aktionen. Die Performer*innen spinnen aus den bunten Schnüren ein Netz, durch das sie sich kontinuierlich neue Wege suchen und dabei verschiedene Bewegungsarten erkunden, die Stoffleinen zu übersteigen, darunter durch zu klettern oder sich hinein zu lehnen, während gemeinsam an dem dichter werdenden Netz gewoben wird.

Die mehrere Meter langen, bunten Stoffbänder befinden sich zu Anfang auf einem am Boden liegenden fast unsichtbaren Raster, das ebenso darauf befestigte kugelige Stoffobjekte in Fußballgröße wie von Geisterhand über den Tanzteppich huschen lässt. Die Tänzerinnen sind ein perfekt eingespieltes Team, das genau weiß, wie es zusammen im richtigen Moment mit dem passenden Timing die Fäden zieht, dass man als Zuschauerin denken könnte, die Objekte hätten ein Eigenleben entwickelt. In Soli, in Duo-, Trio- und Gruppenkonstellationen finden improvisationsbasierte Bewegungsrecherchen in einem Hauert-typischen Stil statt: Eher ein zärtliches, wenn auch nüchternes Antasten und Schmecken der Bewegung, eine Suche nach sich gegenseitig ergänzenden Formen, als ein virtuoses Ausstellen der physischen Fundstücke aus dem Probenprozess. Es liegt etwas Reduziertes, Minimalistisches in der Bewegungsausführung, vielleicht auch inspiriert durch die Arbeit mit Anne Teresa De Keersmaekers Company Rosas und David Zambrano, mit denen Hauert vor der Gründung seiner Company performte.

Die Übergänge zwischen den einzelnen Soli, Duo-, Trio- und Gruppenkonstellationen, dem objektbasiertem Schnur-Chaos und den bewegungsfokussierten Improvisationssequenzen werden unprätentiös aufgelöst, wie in einer Probensituation. Trotzdem basiert die Produktion auf einer intelligent und durchdacht gearbeiteten Dramaturgie, die eng mit den musikalischen Kompositionen verwoben ist. Die akustisch anmutenden Soundcollagen unternehmen einen Ritt durch verschiedene Stile und bekannte Titel, sind alle elektronisch erzeugt und ähnlich wie das Stoffgewebe zerschnitten, neu zusammengesetzt, überlagert und mit verzerrten Stimm-Fetzen aus dem Pool an Beschimpfungen und Fluch-Vokabeln angereichert.

ZOO scheint die Antworten auf die anfangs gestellten Fragen im bunten, lauten und selbst provozierten Chaos zu suchen. Schreiend und fluchend – in allen Sprachen, die in der Company zusammen kommen – rennen die acht Performerinnen über die Bühne und umwickeln sich so lange mit den filigranen Stoffbahnen, bis menschgewordene zottelige Stoffbälle aufeinander zurasen, sich anspringen und sich in einem humorvollen, lustvollen Kampf verstricken. So verfallen sie – und ich als Zuschauerin – sicher nicht einer negativen Stimmungsspirale, während wir versuchen, Antworten auf die großen Fragen aktueller Gesellschaftspolitik zu finden. Thomas Hauert und sein ZOO-Ensemble finden einen spielerischen Zugang, der geschickt die Metaebenen der aufgeworfenen Fragen öffnet und verwebt, ohne sie den Zuschauerinnen in Moralapostelmanier aufzudrängen. „How to Proceed“ lässt zahlreiche Perspektiven und Diskurse hervorblitzen, ohne sich in seinem bunten Stoffchaos zu verheddern.