Jochen Roller lädt zum feministischen, dekolonialen und queeren Tratsch über deutsches Indianertum in die Sophiensaele. Beinahe ohne Tanz. Mit viel Frauen-Tamtam und Therapie-Workshop.
Eine multikulturelle Truppe von vier feschen Frauen macht zusammen Party und quatscht danach die ganze Nacht über „Winnetou“. (Hä? -) Das mutet etwas befremdend und unzeitgemäß an, ist aber als Idee erstmal nicht total daneben, gibt der gut 130 Jahre alte Klassiker doch auch heute noch für jede (Laune) etwas her: Den exotischen Frauenschwarm Winnetou; Karl May, den alten Chauvinisten; die unerfüllte Liebe zwischen Old Shatterhand und Nscho-tschi oder auch die vermeintlich völkerverständigende Freundschaft zwischen den Blutsbrüdern. Aber, mal ehrlich, welcher ernsthaft feministisch ambitionierte Lesezirkel liest heute noch Karl May? (— Falls das zu anderen Zeiten überhaupt jemals der Fall war). Angekündigt wird Jochen Rollers „Winnetou I“-Interpretation nämlich als Neuerzählung aus dekolonialer, queerer und eben auch feministischer Perspektive. Tatsächlich rückt Roller seine Karl-May-Kritik aber in ein küchenpsychologisches und -politisches Ambiente.
Ein Theaterzelt im Festsaal der Sophiensaele dient als Projektionsfläche für eine Videodokumentation über deutsche HobbyindianerInnen — in der sächsischen Karl-May-Stadt Radebeul finden jährlich die gleichnamigen Festtage statt. Mit einer Wildwest-Kulisse wird hier des Schriftstellers und seiner Romane gedacht und öffentlich „Indianistik“ betrieben. Klingt nach einem Orchideen-Studienfach, ist aber eine klischeeverhangene Re-enactment-Tradition von indianischen Bräuchen und Alltagsleben mit wissenschaftlichem Anspruch. Auch selbsterwählte Squaws sind hier begeistert: „Frauen konnten bei den Indianern den Weg einer Kriegerin gehen“. Wie das genau funktionierte, wird im Interview nicht weiter ausgeführt. Ist fürs gefühlte Indianerin-Sein aber sicher auch nicht so wichtig.
Die eigentliche Performance beginnt, im Zelt, mit Traumfängerei. Vier Performerinnen unterschiedlicher Ethnien, in knallrotem Seiden-Outfits sowie Feder und Strass geschmücktem Haar à la 20er-Jahre-Swing-Sause haben soeben noch unaufgeregt stampfend zu House-Musik abgetanzt. Jetzt lümmeln sie – ganz Kabarettdamen – auf einem rot-plüschigen Sofa-Rondell und betreiben bedeutungsschwanger Traumdeutung. So erzählt Serfiraz Vural, dass ihr Menstruationsblut im Traum in einen großen Ozean geflossen, ihr ein Seepferdchen (- bei dieser Fischart sind die Männer schwanger) erschienen und sie schließlich als muschelumschlossene Perle wiedergeboren worden sei. Frauen, so könnte man Roller hier verstehen, sind von Natur aus Blutsschwestern. Auch der Versuch frauenspezifisches (?) Esoterikgehabe mit Vorstellungen von indianischer Seherkunst zu verbinden, kommt hier eher derb als witzig daher. Vom Querverweis auf den Gender-Diskurs ganz zu schweigen.
Dieses gewollt komische und undifferenzierte Spiel um Bedeutung, das fundierte Kenntnis und emotionalem Tiefgang gleichsetzt, zieht sich durch die gesamte Performance. Man fühlt sich wie in einem dieser amerikanischen Wir-sexy-Hausfrauen-müssen-doch-was-bewegen-Filme. In einem zwischen politisch ambitioniertem Lesezirkel, Uni-Interpretationsseminar und Popcorn-Alibi schwankenden Beisammensein schlüpfen Latai Taumoepeau, Ari Hoffmann, Kelly Pineault und Serfiraz Vural, jeweils mit einer englischen „Winnetou I“- Ausgabe bewaffnet, abwechselnd in die Rollen von Old Shatterhand und seinem „Roten Bruder“. Dabei üben sie ein bisschen Kapitalismus- und Religionskritik. Auch die Flüchtlingsdebatte wird mit vorwurfsvollem Ton an das Publikum gestreift. Meinungsverschiedenheiten und aufgesetzter Zickenkrieg kommen unter den Frauen auf genauso wie gemeinsame Langeweile und Trübsinn. Serfiraz Vural, die wohl überhaupt sehr präsent ist an diesem Abend, lädt ihren Frust über den eigenen Hang, immer allen alles recht machen zu wollen mit einer schwäbischen Salatparabel beim Publikum ab – noch ein Frauenklischee! Da hilft auch keine unfreiwillig komische metaphorische Emanzipation mehr: Ari Hoffman erzählt, sie habe sich bei einem Casting für die Rolle der Nscho-tschi beworben und eine Absage bekommen. Mit einer Spur von Trotz (?) weist sie darauf hin, dass sie diese aber auch gar nicht mehr übernehmen wolle. Schließlich ist Winnetous Schwester im Roman nicht nur unterrepräsentiert, sondern repräsentiert auch das Klischeebild der sich für einen Weißen aufopfernden Indianerfrau (– Pardon, Indigenen).
Zu allerhand unpointiertem Sprechtheater gesellen sich ein paar spärliche Tanzeinlagen: rhythmische Sportgymnastik mit Tier und Mann bezähmenden Peitschenband, Ausbeutungs- Contact-Improvisation sowie lautstammlerisch unterlegte Geisteraustreibungsgesten. Professionelle Schauspielerinnen hätten die kritischen Passagen bei Karl May sicher humorvoll herausarbeiten können. In puncto Tanz hätte man Roller für dieses Stück mehr Mut zur ästhetischen Tiefe gewünscht.
Am Ende soll das Publikum dann auch noch in einen dekolonialen Selbsttherapie-Reigen einstimmen. Latai Taumoepeau verteilt geschnipselte Papier-(Vodoo)Püppchen und probt mit dem Publikum einen Workshop für HobbyindianerInnen, Marke „Besieg Deinen inneren Indianer“. Die armen Deutschen sollen per No-Manifest (— nein, das ist kein Verweis auf Yvonne Rainer, wie auch —) missioniert werden und jeglicher Indianerbegeisterung abschwören — kein Indianer-Spielen mehr, keine Bad-Segeberg-Besuche und — ganz wichtig — statt „Indianer“ nur noch „Indigene“ sagen. Als Feminismus-Persiflage, in der vermeintlich politisch korrekt ambitionierte Frauen sich selbst als Klischee-Bedienerinnen entlarven, will die Performance nicht so richtig aufgehen. Wie hieß es da noch in der Videodokumentation: „Ein Indianer ohne Lagerfeuer ist wie Kaffee ohne Wasser“. Vom Tanzethnologen Roller, der die Exotik im Deutschen populärwissenschaftlich gekonnt und schelmisch gewitzt in Bewegung umsetzt, fehlt hier jede Spur. „Blutsbrüder“ ist der letzte und leider am wenigsten gelungene Teil seiner Trilogie „finding Germany elsewhere“.