„wesen“, Jenny Haack / „Blickfang/Blick-Fänger“, Anja Weber © gezett

Vom Olm zur Sphinx

Jenny Haack und Anja Weber tanzen zu Poesie und Musik und lassen die Künste zueinander finden.

Das drei D poesie Festival vom Haus für Poesie geht in die zweite Runde. Insgesamt werden dreizehn Produktionen zu sehen sein, die die Begegnung von Musik, Tanz und Poesie erproben. Im besten Fall entsteht auf diese Weise eine neue Verschränkung der Künste, die andere Sichtbarkeiten erzeugen und die ästhetische Wahrnehmung schärfen. Mit „Wesen“ und „Blickfang/Blick-Fänger“ waren zwei Arbeiten zu sehen, in denen die Künste sich nahe standen. Beide haben den poetischen Text als Grundlage, um ihn relativ „treuherzig“ in Bewegung und Klang zu überführen. Das runde poetische Gesamtbild lädt dann die meiste Zeit zum Verweilen ein.

Von Vorn: Anja Weber bewegt sich organisch, beständig, unaufgeregt durch den Raum. Zwischen viel Bodenkontakt und den Vertikalen dehnt sie ihren Körper aus und faltet ihn wieder zusammen. Zu ihren Bewegungen gesellt sich ein Dröhnen, ein metallisches Jaulen, von Echos durchzogen. Maya Consuelo Sternel ist die Musikerin, die ein eindrucksvolles Djane-Set (das Theremin) bedient und aus dem auch übereinander gelagerte Stimmen des Gedichts „Sphinx – Hinter Gittern“ von Anne Duden in elektronischen Samples ertönen. Neben vielen, eher kleinteiligen Bühnenelementen, die ein poetisches Gesamtkonzept unterstreichen sollen und darin jedoch etwas zu unentschieden zum Einsatz kommen (eine Sanduhr, drei Spiegel, mehrere kleine Bälle, die über die Bühne rollen) ist es vor allem das tänzerisch-musikalische Spiel zwischen den ungleichen Körpern, das Aufmerksamkeit erregt. Anne Duden schreibt von der Sphinx, die über Jahrtausende, über apokalyptische Städte wacht und schließlich versteinern muss, um sich selbst nur noch als Fata Morgana, als Zerrbild, erblicken zu können. Auf der Bühne wird dieses düstere, unbeweglich-fragmentarische Bild gespiegelt. Eine experimentierfreudige, unpolierte Arbeit, der man die Liebe zum eigenen Gegenstand anmerkt.

Das Duo Jenny Haack (Tanz) und Hui-Chun Lin (Cello und Stimme) haben sich hingebungsvoll einem kleinen, blinden Wurm gewidmet, der die Tiefe des Meeres, beziehungsweise das Gedicht von Jan Wagner bewohnt: der „Grottenolm“. Mit weit reduzierteren Mitteln – Bewegung, Instrument und einer Videoprojektion, die Wassertropfen auf den Boden zeichnen, erschaffen sie die mystisch-düstere Welt des Olms. Dabei verkörpert Jenny Haack das schlüpfrige, scheue Tier, das nichts oder alles von der Welt wisse, so eindrücklich, dass man sich mit ihm ganz verbunden fühlen kann. Der Text wird in dem Fall von den zwei Frauen gesprochen, gesungen oder gewispert und auch, wenn Ausdruck und Inhalt an manchen Stellen zu eindeutig zusammenfallen, agieren sie mit einer Konsequenz, die eine kleine poetische Welt aufmacht. Wieder sind es die ungleichen Körper von Musikerin und Tänzerin, die interessante Verschränkungen von Bühnenpräsenz, Bewegung und verschiedene Formen von Virtuosität ergeben. Schönster Moment des Abends, wenn Hui-Chun Lin sich zuletzt von ihrem Stuhl erhebt, ihr Cello mit behäbigen Schritten neben sich her zieht und schließlich hinter dem Instrument verschwindet.

Wie immer ist das Nebeneinander von Sprache und Tanz ein Balance-Akt, die Gefahr, allzu leicht in Illustration, Bebilderung oder Bedeutungs-Pathos abzurutschen bei beiden Arbeiten im Ansatz präsent. Das ist dann auch die spannende Reflexion auf der Wahrnehmungsebene als Zuschauer*innen: Wann tritt die Bewegung hinter die Sprache zurück? In welchen Momenten kann ich mich der Musik, der Lyrik, der Bewegung hingeben – selbst zwischen den Künsten springen oder der Wahrnehmung erlauben, abzuschweifen?