„Why death was just death“, Leila Patzies & Bláthin Eckhardt ©ada Studio/Corali Maluquer

Im Wechselspiel zwischen Tanz und Musik

Die Performance-Reihe NAH DRAN, die 2007 ihren Anfang nahm, hat wieder mal drei neue Stücke von jungen Berliner-Choreograf*innen dem Publikum vorgestellt, aufgeführt am 22. & 23. Januar 2022 live im ada Studio und anschließend für vier Tage als Videostream verfügbar. In ihren Bildern und Stimmungen ganz unterschiedlich, waren alle Stücke von einer Klangsphäre gekennzeichnet, die als ein wesentlicher Bestandteil des choreografischen Geschehens auf der Bühne agierte. 

Drei Stücke hintereinander an einem Aufführungsabend. Drei verschiedene tänzerische Ansätze, drei unähnliche visuelle Erlebnisse, drei Auseinandersetzungen mit unterschiedlichsten Themen. Zuerst “Why death was just death” von Tänzerin und Choreografin Leila Patzies und der Musikerin Bláthin Eckhardt mit seiner unruhigen, dunklen Atmosphäre. Die Performance wirkt expressiv in großen zirkulären Bewegungen von Patzies, ist jedoch von einer nach innen gerichteten geistigen Suche geprägt, die am Ende in Müdigkeit, Depression oder Kapitulation mündet. Atemnot kommt einem als Stichwort in den Sinn, vor allem wenn Atemgeräusche in dem Raum hörbar sind. Dabei werden Texte aus dem Haruki Murakami-Roman “Tokyo Blues” von Eckhardt zitiert. Ein im Stück nicht vorkommender Satz aus dem Buch lautet: „Wenn du von Dunkelheit umgeben bist, ist die einzige Alternative, bewegungslos zu bleiben, bis sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben.” Patzies scheint mit dieser Dunkelheit zu kämpfen bis sie bewegungslos bleibt. 

Als zweites kommen Lena Reyle und Johanna Seiler mit „The Core – the art of speaking one language“. Die Vokalkünstlerin/Improvisatorin Seiler singt a capella. Manchmal fließend und melodisch, manchmal stoßweise, aber immer spielerisch und mühelos. Diese Mühelosigkeit und Freude am Spielen macht sich auch im Tanz von Reyle bemerkbar, der ihren Hintergrund im klassischen Tanz spüren lässt. Im Gegensatz zum ersten Stück des Abends strahlen ihre fließenden, leicht hüpfenden Bewegungen eine immense Leichtigkeit aus. Beide Künstlerinnen kommen in ihrem Ausdruck harmonisch zusammen. Wichtiger ist aber, dass ihre Ausdrucksformen, ohne eine Symbiose einzugehen, einem Eigenleben mächtig sind.

„funky seranade”, das letzte Stück des Abends – zugleich das formalste – hat eine Erforschung über das Wechselspiel zwischen Musik, Rhythmus und Bewegung in seinem Zentrum. Die minimalen, suchenden und messenden (vor allem Arm- und Hand-)Bewegungen von Jung Sun Kim, die Kontrabass-Experimente von Clara Gervais und die Tape-Aufnahmen sind alle vom gleichen Takt angetrieben. In diesem vorbestimmten Rahmen kreieren Kim und Gervais fast ritualistische Bilder und Klänge. Dabei sprechen sie entweder mit klaren Konturen eine kontrollierte Sprache oder fallen aus der Struktur und entdecken neue performative Möglichkeiten. In beiden Fällen wird Wiederholung als ein kreatives Mittel zur Entfaltung eines gleichermaßen technischen und menschlichen Prozesses eingesetzt. Das Wort “funky” im Titel des Stücks weist nicht nur auf eine Musikrichtung hin, die von repetitiven Bässen geprägt ist, sondern heißt auch außergewöhnlich und unkonventionell, was die Natur des Stücks genauso gut wiedergibt.

In diesem inhaltlich diversen und anregenden Tanzprogramm ist die Rolle von Musik und Klängen als gleichwertige Bühnenelemente die Qualität, die allen Stücken gemein ist. Bei “Why death was just death” erleben wir das durch die Live-Präsenz von Bláthin Eckhardt. Ihre atmosphärische Musik durch Gitarre und Effektgeräte und ihre Improvisation mit Texten sind keineswegs eine reine Begleitung zum Tanz. Durch ihre Intensität steuern sie die Stimmung der Tänzerin und des Stückes. “The Core – the art of speaking one language” stellt Stimme und Tanz als zwei Partner dar, die einzeln eine Vollständigkeit erreichen, aber auch zu einem künstlerisch-harmonischen Miteinander fähig sind. Auch “funky serenade” macht diese Gleichwertigkeit schon im Bühnensetting sichtbar. Neben einem Quadrat, auf dem die Tänzerin sitzt, sehen wir ein weiteres Quadrat mit zwei Lautsprechern darauf. Musik und Tanz halten sich mal gefangen, mal versuchen sie sich voneinander zu befreien. Sie bleiben aber immer unzertrennlich. Diese Abwechslung zwischen einer gewollten Abhängigkeit und einer kreativen Eigenständigkeit zieht sich durch das etwa einstündige Programm und verbindet die Stücke zu einem schlüssigen Ganzen.


NAH DRAN mit den Performances „Why death was just death“ (Leila Patzies & Bláthin Eckhardt), „The Core – the art of speaking one language“ (Lena Reyle & Johanna Seiler) und „funky serenade“ (Jung Sun Kim, Komposition: Clara Gervais) war am 22./23. Januar 2022 live im ada Studio zu sehen und anschließend für vier Tage als Videostream verfügbar.

Die nächste Ausgabe, NAH DRAN extended: Looking After, wird am 19./20. Februar 2022 live aufgeführt, die Aufzeichnung ist anschließend bis zum 25. Februar 2022 ebenfalls als Videostream online verfügbar. Der virtuelle Besuch der Veranstaltungen ist kostenlos, mit dem Erwerb eines .com(munity) Ticket können sie die damit verbundene Arbeit des ada Studio finanziell honorieren.