Tanz-Performances im Theater zu erleben, scheint in Zeiten der Corona-Pandemie erst einmal in weite Ferne gerückt – tanzschreiber schaut auch zurück und dabei ganz konkret auf das Schreiben in Beziehung zu Tanz. Aus der Schreibwerkstatt des A.PART-Festivals, erster Teil: Ein Text von Lena Michaelis, Marlene Naumann und Anuya Rane nach der Stillen-Post-Methode zu „Ghost Insect“ von Jara Serrano am 26./27. Mai 2019.
Eine Schreiberin steht draußen (vor dem Studio) und draußen (vor der Tür), während die beiden anderen im Stück sitzen. Aus ihren Erzählungen und Beschreibungen formt sich der Text der Dritten als fiktive Rekonstruktion der Vorstellung. Hof-Geräusche von draußen und Soundspuren, die von der Bühne des Studios ins Foyer dringen, unterbrechen die Stückbeschreibung, geben Anlass zu Mutmaßungen und bezeugen das Warten vor der Tür. Die Verabredung: Lena schreibt über ein Stück, das Marlene und Anuya gesehen haben. Reaktionen von Marlene als [Kommentare].
Vor der Tür zum Studio…Ein Blick durch die abgeklebte Luke zum Studio lässt das Bild eines Spielers/Figur/Geschöpfes am Pult erkennen: es hält inne. Augenmaske, blau, gelb. Eine Strumpfmaske mit comicartigen Augen- Mund und Zahnapplikationen spielt die Sounds ab. Schwarze Klebestreifen rastern die Wand hinter ihm. Von der Bühne dringen: Punktuelle Elektrosounds. Sie bilden eine Struktur, die sich zugleich zersetzt. Das Werfen eines Wischlappens, Eintauchen. Der Sound ist repetitiv, Bahnen werden gezogen. Ich stehe im Weg, Wischgeräusche, der Boden ist feucht? [Spannend, von außen nimmst du den Sound viel detaillierter wahr. Von Innen war ich sehr eingenommen von den Bildern und Farben.]
Draußen vor der Tür… Gold-Silber-Folien-Schnipsel im Wind, Vogelzwitschern, das Dröhnen wird zu einem dumpfen Downbeat von weiter weg, Beim Hören des Beats stelle ich mir ein Hinsetzten in zwei Stufen vor und ein Hochziehen mit einem Atemzug. Flugzeuggeräusche. Längere Pause zwischen zwei Schlägen, Aussetzer, die sich verlängern. Schaufel, Sparten, Metall, rollen des Staubsaugers über den Asphalt.
Drinnen: Stille? Performer*innen oder Zuschauer*innen verlassen den Raum. Ist das schon das Ende? Es folgt, was ich nicht selbst gehört / gesehen habe: Fiktive Stückbeschreibung:
„Ghost Insect“ – ein Sprachbild als Bühnenbild? Die Inszenierung selbst, Kostüme, Farbfiguren, Eine Spielerin in Schwarz, in einer Box/Zimmer, noch eine Verwandlung – die Verwandlung? [Die Bezeichnungen der Personen auf der Bühne als Spieler finde ich sehr treffend. Du beschreibst hier ein Bild in meinem Kopf treffender als ich es selbst könnte.]
Ein Raum im Raum, Pfosten stecken ein Zimmer ab mit hängenden Gewichten, Stumpfhosen gefüllt mit Erbsen oder Linsen. Eine Spielerin in Schichten schwarzer Kleidung. Die Haut lugt darunter hervor. Gregor Samsa? mit Rundungen und Gewichten, der Körper ist geformt, jede Bewegung erschwert. In der Stille ist jedes bewegen ein Rieseln. [Für mich war der Sound eher nebensächlich, hier hat dein Nicht-Sehen wohl ein Mehr an Wahrnehmen gebracht.]
Kafka, aus dem Off, eine Voice over Passage aus der Verwandlung: Gregor Samsa…
Eine Spielerin in rot: forschend, in Mantel und mit Gehirnhelm aus weichem Stoff. Aus Insektenperspektive: eine forschende Professorin, die das Phänomen beobachtet? Blickachsen im Raum durchkreuzen die langsame Bewegung der Samsa-Figur: hinten eine blaue Ecke mit Schachbrettmuster. Ein gelber Spieler mit Strumpfmaske, mit Augen, Mund und Zähnen, mischt die Sounds ab. Ein Forscher/Musiker oder wird die Performance der Soundkreation als Mitspieler auf die Bühne gebracht? Arzt/Astronaut- Projektionsfiguren in der Abstraktion, die das Unheimliche süßlich erscheinen lassen? [Ich mag deine Beschreibung als süßlich. Das habe ich in dem Zusammenhang nicht so empfunden, dennoch beschreibt es sehr gut die Ästhetik der aufgesetzten Schweine-Masken. ]
Eingeweide treten heraus beim Betreten der Box. Keine Reaktion.
Was tritt aus der Black-Box heraus, wenn die Maske über die Maske gezogen wird?
Ist das Verbeugen ein Hängenlassen?
Bleibt ein [melancholischer Nachgeschmack] oder ein unbestimmtes Gefühl [nach der absurden Party]?
Fotos: „Ghost Insect“, Jara Serrano ©Mayra Wallraff
Die Schreibwerkstatt im Rahmen des A.PART-Festivals 2019 im ada Studio wurde von Alexandra Hennig und Johanna Withelm ausgerichtet. Hennig und Withelm haben bereits regelmäßig auf tanzschreiber publiziert, während ihrer Zeit als Studioschreiberinnen-Duo des ada Studios (2017/18) entwickelten sie eigene Methoden des dialogischen Schreibens.
Bei diesen hier auf tanzschreiber.de veröffentlichten Texten handelt es sich um Werkstatt-Texte. Sie sind in geteilter Autor*innenschaft von Teilnehmenden der Schreibwerkstatt im Mai 2019 entstanden, instant – jeweils direkt im Anschluss an den Besuch der Generalproben.
Die Schreibwerkstatt fand im Rahmen von mapping dance berlin statt, einem Modul des Projekts „Attention Dance II“, das von 2018-2021 durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und die Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert wird.